Wofür arbeiten wir eigentlich? Um die Miete bezahlen zu können? Für die große Karriere? Für Statussymbole? Glücklich macht das oft nicht. Drei Geschichten von Menschen, die es gewagt haben, ihr Berufsleben umzukrempeln.
Leben um zu arbeiten? Arbeiten um zu leben?
Beate Scheder hat für das Magazin „Noveaux“ drei Menschen getroffen, die sich getraut haben, ihr altes Berufsleben hinter sich zu lassen und sich auf die Suche nach dem Sinn ihrer Arbeit zu begeben.
Mimi Sewalski, 35, Geschäftsführerin des Marktplatzes für nachhaltige Produkte „Avocado Store“
„Ich bin ein absoluter Bauchmensch. Wenn ich für ein Unternehmen arbeite, dann will ich darin aufgehen, mit meinem Herzen und zwar komplett. Nach meinem Studium – ich habe Soziologie und Kriminologie studiert – ging ich nach Tel Aviv und arbeitete dort erst mal in einem Startup. Später zog es mich nach Bologna und zum Schluss nach Hamburg, wo ich in einer Werbeagentur begann. Strategische Beratung wurde zu meinem Traumjob. Ich konnte schreiben, vielseitig und kreativ sein. Meine Kundenprojekte waren fast immer sehr spannend. Bis ich auf einmal eine Strategie für ein Produkt ausarbeiten sollte, das definitiv nicht gesund war, aber als gesund verkauft werden sollte. Nach einiger Zeit habe ich gemerkt, dass ich aus diesem Grund morgens nicht mehr gerne zur Arbeit gehe. Ich konnte mich einfach nicht mehr begeistern. Parallel machte ich zufällig in dieser Zeit ein Coaching. Und egal welchen Test wir gemacht haben oder welche Fragen mein Coach mir gestellt hat – das Ergebnis war immer, dass ich mir mehr Sinnhaftigkeit wünsche. Als mir das klar wurde, habe ich in der Agentur gekündigt. Ich habe dann gekellnert, aber auf Dauer fehlte mir dabei intellektuell etwas. Umweltschutz war immer ein Thema, das mich interessiert hat. Also begann ich freiberuflich, nachhaltige Events zu organisieren. Auf einer Messe – ich präsentierte dort die zehn besten Nachhaltigkeitsprodukte – hat mich der Gründer von Avocadostore.de gesehen. Eigentlich wollte er mich nur für seinen Blog filmen, dann hat er mich einfach gefragt, ob ich für ihn arbeiten wolle. Und ich wollte. Einen Tag später saß ich schon im Avocadostore.de-Büro. Das war 2011, kurz nach der Gründung. Zuerst war ich für die Akquise zuständig, heute bin ich Geschäftsführerin. Mittlerweile weiß ich, was diesen Sinn, den ich gesucht habe, ausmacht. Ich fühle mich zum einen jeden Tag in meinen Fähigkeiten gefordert, weil in einem Startup ständig etwas Neues ansteht – zum anderen trage ich dazu bei, die Welt ein bisschen besser zu machen, indem ich Menschen helfe, ihr Konsumverhalten positiv zu verändern.“
Mimi hat EDITION F an dieser Stelle schon mal ein Interview gegeben.
Norman Schumann, 31, Gründer der nachhaltigen Jobbörse fairarbeiten.de
„Ich habe mein Mathestudium damals begonnen, weil es das war, was mir am meisten Spaß gemacht hat. Ein bestimmtes Berufsziel hatte ich nicht. Viele meiner Kommilitonen gehen nach dem Studium zu Versicherungen, Unternehmensberatungen oder Banken. Dort verdienen sie viel Geld, ohne aber je zu hinterfragen, woher das stammt. Die gehen zum Beispiel zur Deutschen Bank, die bekanntlich Geschäfte mit Katar macht und mit Waffenhandel Geld verdient. Das kommt für mich nicht infrage. Bis zum Sommer des vergangenen Jahres habe ich an der Uni gearbeitet. Dort hätte ich nach der Promotion bleiben können, aber das wollte ich nicht. Ich wollte mir lieber einen Job suchen, der meinen nachhaltigen und ethischen Kriterien entspricht. Das war jedoch nicht einfach. Es gibt solche Jobs zwar, aber man muss sie erst finden. Mir ist bei meiner Suche aufgefallen, dass ein zentrales Forum fehlt, das transparent darstellt, was dieser Job oder diese Firma bietet und was sie nachhaltig macht. Anstatt mich auf eine dieser Stellen zu bewerben, die ich gefunden hatte, kam ich so auf die Idee, selbst so etwas zu gründen, eine Onlinebörse für nachhaltige Jobs. Und das habe ich dann gemacht. Gemeinsam mit einem Kommilitonen, der ein guter Programmierer ist, habe ich fairarbeiten.de entwickelt. Mir geht es immer sehr auf die Nerven, wenn die Leute sagen, was man alles tun müsste und es dann nicht einfach in die Hand nehmen, weil sie zu bequem sind. Klar hatte ich Zweifel, aber mein Glaube an die Idee war stärker. Jeden Morgen bin ich mit dem Gedanken aufgestanden, die Idee noch besser zu machen. Ich habe mit vielen Leuten darüber gesprochen und habe versucht, mir eine Bestätigung von außen zu holen. Natürlich habe ich zwischendurch darüber nachgedacht, dass es schön wäre, jetzt viel Geld zu verdienen und finanziell abgesichert zu sein. Meine Kommilitonen haben zum Teil unglaublich hohe Einstiegsgehälter, aber dafür kann ich morgens in den Spiegel schauen. Ich könnte nicht schlafen, wenn ich für eine Firma arbeiten würde, die zum Beispiel Tierversuche macht, oder bei einer Unternehmensberatung, die Geld spart, indem sie Arbeitsplätze streicht. Das ist es doch nicht wert. Bei fairarbeiten.de sind wir noch in der Gründungsphase. Zurzeit lebe ich von Arbeitslosengeld I. Bereut habe ich diesen Schritt nie, auch wenn die Finanzierung schwierig ist. Mit Förderprogrammen und Investoren ist es eben auch so eine Sache: Es gibt zwar viele Programme für Startups, aber die werden oft von Firmen finanziert, die meinen Vorstellungen von Nachhaltigkeit nicht entsprechen. Das lehne ich ab. Wenn wir von denen Geld nehmen würden, könnte ich ja gleich für sie arbeiten.“
Andreas Feldmann, 42, Geschäftsführer der Hilfsorganisation „Ingenieure ohne Grenzen“
„Ich hatte nie daran gedacht, in einer NGO zu arbeiten, heute bin ich Geschäftsführer von einer. ,Ingenieure ohne Grenzen’ wurde 2003 als technisch ausgerichtete Hilfsorganisation gegründet. Die Gründer waren Ingenieure, die zuvor im Ausland, genauer gesagt in Tadschikistan, gearbeitet hatten, und danach Ideen hatten, wie man dort den Menschen helfen könnte. Sie riefen die Organisation ins Leben, weil es so etwas noch nicht gab. Die Strukturen fehlten. Im ersten Projekt ging es darum, die Wasserversorgung wiederherzustellen. Heute haben wir viele Projekte in der ganzen Welt. Im Nepal kümmern wir uns zum Beispiel gerade darum, dass die Menschen nach dem Erdbeben wieder in ihren Häusern wohnen können. Ich bin 2006 zu ,Ingenieure ohne Grenzen’ gekommen, weil ich den Gründer kannte. In der Zeit habe ich an einer Hochschule Betriebswirtschaftslehre unterrichtet. Ich hatte BWL und Marketing studiert und wollte eigentlich nach Spanien und dort im Sportbereich arbeiten. Damals war es noch ein sehr kleiner Verein, der Mitglieder suchte. Ich wurde erst Fördermitglied, dann Mitglied und ehrenamtlicher Mitarbeiter. Am Anfang habe ich gar nicht richtig erfasst, was das alles bietet. Erst im Laufe von ein bis zwei Jahren habe ich gemerkt, wie wichtig diese Arbeit eigentlich ist und dass man da wirklich etwas aufbauen und etwas bewegen kann. Ich bin immer mehr hineingerutscht, habe immer mehr mitgearbeitet und irgendwann kam der Punkt, wo wir gemerkt haben, rein ehrenamtlich geht es nicht mehr. Als der Vorstand mich fragte, ob ich Geschäftsführer werden und die Strukturen aufbauen wollte, habe ich gleich ja gesagt. Die Folge war, dass ich drei bis vier Jahre kein Geld verdient habe. Ich war lange auf dem Jobcenter. Das was eine spezielle Erfahrung für jemanden, der BWL studiert hat. Ich will das nicht missen. Man lernt dort einiges. Wenn man bei einer NGO arbeitet, gibt man seinem Leben einen speziellen Sinn. Nur ums Geld verdienen ging es mir nie. Geld ist auch wichtig, damit man seine Miete bezahlen kann, aber ich wollte immer etwas machen, was mit vielen anderen Menschen zu tun hat und wo man auch etwas in der Welt bewirken kann. Ich hatte wirklich Glück, schließlich hatte man mich gefragt, ob ich eine international tätige, deutschlandweit agierende und organisierte Hilfsorganisation aufbauen wollte. Mir war klar, dass das nicht so häufig passieren wird. Mein Umfeld hat mich hingegen für verrückt erklärt. Die Familie, Freunde, alle. Ich habe immer daran geglaubt. Ich wüsste nicht, ob ich zweimal im Leben die Kraft hätte. Man liegt auch schon mal nachts wach und hat Angst, dass alles nicht klappt. Jemand, der sicherheitsverbundener ist oder einen normaleren Lebensstandard anstrebt, kann so etwas nicht machen. Für mich ist anderes wichtiger; die Möglichkeit zu haben, Dinge zu verändern zum Beispiel. Und man lernt sehr viel über Menschen, über die Welt, jeden Tag. Ich glaube, dass das wenige Jobs bieten. Man hat eine hohe Eigenverantwortung und kann die auch bewusst wahrnehmen. Das kann einem eine hohe Befriedigung verschaffen, birgt aber auch die große Gefahr auszubrennen.“
Dieser Text erschien zuerst im Magazin Noveaux. Wir freuen uns, dass wir ihn auch bei uns veröffentlichen können.
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