Foto: Avocadostore

Mimi Sewalski: „Oft merkt man erst, wie kalt das Wasser ist, wenn man drin ist“

Mimi hatte ein bewegtes Berufsleben, bis sie da landete, wo sie sich richtig wohl fühlt.

 

Auf der Suche nach dem, was glücklich macht

Viele haben ihre Leidenschaften schon sehr lange. Leidenschaften, die einen antreiben, ohne dass man sie allzu ernst nimmt. Und dann probiert man vieles aus, bis man schließlich wieder dort ankommt, wo man gestartet ist. So ähnlich ging es auch Mimi. Sie hat sich schon sehr früh mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt, aber erst vor zwei Jahren hat sie ihr Interesse auch zum Beruf gemacht. Wir haben mit ihr über das Suchen und Finden, das nicht ganz durchsichtige Thema „grüne“ Produkte und den Alltag als Geschäftsführerin gesprochen.

Mimi, du bist seit 2013 Geschäftsführerin von Avocadostore.de. Wann wurde deine Leidenschaft für das Thema Nachhaltigkeit geweckt?

„Tatsächlich schon in der Grundschule. Ich bin stolze Gründerin des „Clubs der Mülleimer“ im zarten Alter von acht Jahren. Wir waren anfangs zu dritt – später bis zu 70 Kids, die Müll aufgesammelt haben. In der Straße, auf Wegen, Verkehrsinseln und am Stadtrand. Einmal haben wir ein Chemiefass neben einem Spielplatz gefunden. Natürlich wurde das Ganze von ehrenamtlichen Erwachsenen betreut, und wir haben sogar einen Preis der Stadt Hannover gewonnen und durften zu Greenpeace fahren.“

Kannst du uns etwas zu deinem beruflichen Werdegang erzählen?

„Mein Lebenslauf könnte die Überschrift tragen: ‚Das Leben ist nur so bunt wie man selbst’. Ich habe Soziologie und Kriminologie studiert, bin dann nach dem Studium nach Israel und habe dort für Startups im Bereich Marketing und Vertrieb gearbeitet. Nach insgesamt fünf Jahren in Israel und Italien bin ich nach Hamburg gekommen und habe mich in der Werbung ausprobiert. Ich dachte damals, das wäre mein Traumjob, bis ich Kunden hatte, mit deren Produkten ich mich nicht identifizieren konnte. Es folgte ein Ausflug in die Gastronomie, wo ich ein Restaurant geleitet und mich parallel in meiner Freizeit ehrenamtlich für ‚grüne’ Projekte engagiert habe. Meine wichtigste Karriere-Entscheidung war definitiv, dass das, was ich acht bis zehn Stunden am Tag mache, Sinn für mich machen muss. Im Jahr 2011 hat mich dann Avocadostore.de gefragt, ob ich für sie arbeiten möchte.“

Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag von dir aus?

„Ich bin definitiv kein Morgenmensch, dass heißt vor neun Uhr trifft man mich nur selten im Büro an. Meistens nehme ich mir dann erst mal ein bis zwei Stunden, um die wichtigsten E-Mails zu beantworten. Wir gucken morgens auch immer gleich auf unsere Kennzahlen und besprechen Ausreißer sofort. Ich versuche pro Tag nicht zu viele Termine zu haben, da ich für mich finde, dass ein zu vorstrukturierter Tag zu wenig Zeit für Kreativität lässt. Gedanken muss man manchmal treiben lassen, damit sie zu Ideen werden. Wir arbeiten in einem Großraumbüro, und da bekommt man sowieso viel mit, was des Öfteren zu sehr ergiebigen Spontanmeetings führt. Ein normaler Bürotag endet meist gegen 19 Uhr. Es gibt dann noch Tage, wo ich unterwegs bin: bei Händlern, bei Kooperationspartner, auf Veranstaltungen, Vorträgen oder Messen. Ich bin ein sehr vielseitiger Mensch und immer den gleichen Arbeitsalltag zu haben, langweilt mich sehr schnell. Deswegen ist es großartig, dass ich fast jeden Tag mindestens eine Sache, die ich noch nie vorher gemacht habe.“

Du hast beruflich bereits vieles ausprobiert. Was überwiegt bei dir dabei mehr, die Entdecker-Neugier oder einfach der Mut, immer wieder ins kalte Wasser zu springen?

„Bisher war es weniger die Entdecker-Neugier, als vielmehr das Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Ich bin ein starker Bauchmensch und wenn mein Bauch sagt, ich muss das jetzt machen, hat mein Kopf manchmal keine Chance. Und dann ist es einfach auch eine Frage der Umgebungstemperatur, wie kalt einem das Wasser dann wirklich vorkommt, in das man springt. Oft merkt man erst, wie kalt das Wasser ist, wenn man drin ist.“

Der Online-Store bietet die unterschiedlichsten „grünen“ Produkte an. Was genau bedeutet in dem Fall eigentlich „grün“?

„Viele Menschen denken bei ‚grün’, ‚fair’ und ‚eco’ erst einmal an Wollpullis, Sandalen und Müsli. Aber genau das bedeutet es eben nicht mehr. Heute stehen ‚Grün & Co’ meist für modernes Design, faire Produktion, gute Qualität, Verzicht auf Chemie in der Herstellung, smartes Wirtschaften und manchmal sogar für alternative Wirtschaftskonzepte.“

Es gibt so viele unterschiedliche Zertifikate und die Handels- sowie Produktionsketten können ganz schön verschlungen sein. Wie stellt ihr für Kunden sicher, dass sie auch wirklich erhalten, was ihr ihnen versprecht?

„Wir versuchen die Schwammigkeit des Begriffs ‚Nachhaltigkeit’ anhand unserer zehn Kriterien transparenter zu machen. Jedes Produkt, das bei uns verkauft wird, muss mindestens zwei erfüllen. Die häufigsten Kriterien sind beispielsweise ‚ressourcenschonende Herstellung’, ‚Bio-Rohstoffe’, wie etwa Bio-Baumwolle, ‚faire und soziale Herstellung’, ‚cradle to cradle’und ‚recycelbar oder recycelt’. Welches Kriterium erfüllt ist, steht bei jedem Produkt in der Beschreibung. Zusätzlich achten wir auf den ganzheitlichen Eindruck des Händlers. Wir sprechen mit ihm, wir sehen uns seine Unterlagen an, gegebenenfalls Zertifikate, aber auch die Website und die Kommunikation. Die Branche wächst ungemein und natürlich gibt es dann mal Händler, die versuchen, grün zu erscheinen, es aber nicht sind. Auch kann sich ein Unternehmen verändern, so dass es vorkommen kann, dass wir einen Händler oder seine Produkte wieder von der Plattform nehmen. Außerdem können Produkte und Händler von Kunden bewertet und kommentiert werden, und auch so machen wir den Begriff der Nachhaltigkeit transparent.“

Viele scheuen sich vor hohen Preisen. Warum lohnt es sich dennoch, in diese zu investieren?

„Erstens: Es ist ein Mythos, dass Bioprodukte immer teuer sind. Zweitens: Gerade wir Kinder der 80er Jahre haben oft schon viel Geld für Markenklamotten ‚Made in China’ ausgegeben. Warum also nicht Geld für ein Produkt ausgeben, das zum Beispiel für faire Produktion steht? Drittens: Ich wünsche mir, dass mehr Menschen anstatt nach „Warum sind Bioprodukte teuer?“ zu fragen, eher die Perspektive ändern und fragen „Warum sind herkömmliche Produkte eigentlich so billig? Und natürlich haben nachhaltige Produkte oft eine bessere Qualität, die nachhaltige Wertschöpfungskette schont die Umwelt und nachhaltig konsumieren ist heute kein Opfer mehr, sondern kann richtig Spaß machen.“

Lernst du noch Menschen kennen, die noch immer Vorurteile gegenüber einem nachhaltigen Lifestyle hegen?

„Ich habe oft das Gefühl, wenn ich Leuten das erste Mal von unserem Store erzähle, dass ich sofort in eine Schublade gesteckt werde, in der ich lieber nicht sitzen möchte. Mir hilft es sehr, anhand von praxisnahen Beispielen und Argumenten diesen Vorurteilen entgegenzutreten. Ein paar Zahlen und Fakten schaden auch nie.

Menschen, die sich mit fairen und Bioprodukten auseinandersetzen, wird gerne ein Hang zur Missionierung nachgesagt. Erwischt du dich manchmal dabei, dass du jemand unbedingt von deiner Einstellung überzeugen willst?

„Ich gehe eher subtil vor. Dogmatismus bringt auch bei mir selbst nichts. Ich trage nachhaltige Mode und wenn Freundinnen fragen, wo ich das Kleid herhabe, verrate ich das gerne und erwähne dann erst, dass es aus Bio-Baumwolle ist. Oder ich fahre einen Elektroroller, was wahnsinnig Spaß macht und bringe vielleicht den einen oder anderen auf die Idee, mal über Elektromobiliät nachzudenken. Am besten klappt es mit dem Essen. Ich baue selbst Gemüse an und dann bringe ich schon mal was mit ins Büro oder koche für Freunde. Das Gemüse schmeckt einfach und überzeugt in erster Linie durch Qualität. Niemand kann in allem nachhaltig sein. Es sind die kleinen Schritte, die zählen. Welchen Schritt man zuerst gehen will und ob überhaupt, dass muss jeder selbst entscheiden.“

Welches Klischee sollte man „grünen“ Produkten gegenüber denn dringend mal ausräumen?

„Das ‚grüne’ Produkte nur etwas für flotte Damen über 50 Jahren in Walle-Walle-Kleidern sind, die hauptsächlich Müsli essen, weil alles andere in Bioqualität zu teuer ist.“

Und wo wollt ihr mit dem Avocadostore in fünf Jahren stehen? Gibt es da (unternehmerische) Träume?

„Wir waren die ersten, die nachhaltigen Konsum online für viele zugänglich gemacht haben. Wir fühlen uns als Pionier und haben wir uns in den letzten Jahren eine starke Position erarbeitet. Wir wachsen seit fünf Jahren über 40 Prozent jährlich und hoffen, in ein paar Jahren im Mainstream angekommen zu sein. Unser Ziel ist es, mehr Menschen dazu zu bringen, nachhaltiger einzukaufen. Wir werden dann hoffentlich die führende Plattform sein, auf der man für jedes herkömmliche Produkt eine ‚grüne’ Alternative findet.“

 

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