Andreas Wagner

Mit Grundeinkommen geht es den Menschen in Finnland besser – warum wird es also als Misserfolg gewertet?

In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? In dieser Woche geht Silvia in ihrer Thirtysomething-Kolumne der Frage nach, ob wir unser Verhältnis zu unserer (mentalen) Gesundheit wirklich erst überdenken wollen, wenn es schon zu spät ist.

Enttäuschende Nachrichten aus Finnland? Wohl kaum

Gerade wurden die ersten Ergebnisse einer Studie aus Finnland veröffentlicht, für die 2.000 zufällig ausgewählte Menschen ohne Arbeit zwei Jahre lang 560 Euro monatlich erhalten haben. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen, zu dem sie sich etwas hätten dazuverdienen können – oder eben auch nicht. Ein Ergebnis: Im Vergleich mit einer Kontrollgruppe, die aus Menschen bestand, die ebenfalls keine Erwerbsarbeit hatten,  aber kein Grundeinkommen erhielten, fanden sie weder besser noch schlechter auf den Arbeitsmarkt zurück.

Ein anderes Ergebnis: Die Menschen mit dem Grundeinkommen empfanden weniger Stress als die Kontrollgruppe, fast 60 Prozent empfanden ihren Gesundheitszustand als sehr gut oder gut und sie hatten zudem „ein stärkeres Vertrauen in ihre Zukunft und ihre eigenen gesellschaftlichen Mitwirkungsmöglichkeiten“, wie es die Studienleiterin Minna Ylikännö formulierte. Und dennoch wird in vielen Medien die Nachricht so vermeldet: Der Test für das Bedingungslose Grundeinkommen ist gescheitert. So hieß es etwa in der „Welt“: Warum Finnlands Grundeinkommen alle enttäuscht.“ Oder in der FAZ: „Wie die Finnen sinnlos Geld verschenkt haben.“

Und ich frage mich: Habe ich andere Ergebnisse gelesen als sie? Wohl kaum, und eigentlich sollte es mich nicht wundern, wie wenig für viele die Erfolge für die Gesundheit der Menschen im Gegensatz zu ihrer Leistung auf dem Arbeitsmarkt wiegen.

Vom Nutzen und der Gesundheit eines Menschen

Denn die traurige Ahnung ist: Wenn die Ergebnisse umgekehrt gewesen wären, die Menschen also nicht weniger Stress und nicht mehr Vertrauen in die Zukunft gehabt hätten, aber wieder vermehrt in Lohnarbeit gekommen wären, hätten sich die Meldungen zur Studie vermutlich anders gelesen. Denn dann hätten viele ganz sicher großzügig über die Gesundheitsaspekte weggelesen, weil es endlich die Gewissheit gäbe: Es gibt einen Betrag X, mit dem wir die „Nutzlosen“ in unserer Gesellschaft endlich nutzbar machen können. Aber Menschen sind nun mal keine Maschinen – und das ist wohl die größte Enttäuschung unserer vom Kapitalismus besoffenen Gesellschaft.

Aber es ist nur erschreckend, sondern auch sehr naiv, dass weniger Stress, ein besserer Gesundheitszustand und ein Mehr an Vertrauen in die Zukunft nicht als Erfolg gewertet werden. Denn ist es nicht genau der Mangel am Vertrauen in die Zukunft, an der unsere Gesellschaft krankt und ist es nicht genau das, was wir brauchen, um eine Zukunft gestalten zu können? Und leiden wir nicht dauernd unter dem Hamsterrad, in dem wir uns alle kaputtlaufen und das zudem keine Zeit mehr dafür lässt, am Kitt für unser Miteinander zu arbeiten? Keine Zeit lässt für Visionen, im Großen und im Kleinen?

Was für Antworten haben wir auf die sozialen Fragen?

Wieso, verdammt, messen wir der Gesundheit von Menschen so wenig Wert bei? Mentale Erkrankungen nehmen immer mehr zu, überall herrscht zu viel  Druck, zu viel Stress und Schlafmangel. Und die Einsamkeit wächst – obwohl wir uns alle immer und überall erreichen können. Es ist doch wirklich nicht zu viel verlangt, dass wir uns mal klarmachen, dass sich das durch ein paar gelesene Glücksratgeber oder Yogastunden nicht viel ändern wird. Wir müssen unser Leben umstellen, wenn wir dem beikommen wollen. Das bedeutet, wir brauchen strukturelle statt individuelle Lösungen, wenn wir eine gesunde Gesellschaft haben wollen, die die Kraft hat, eine Zukunft zu gestalten! Und das fängt damit an, dass wir die Gesundheit eines Menschen nicht als nettes Add-on sehen und es geht weiter damit, dass wir nicht mehr vom „bezahlten Nichtstun“, sondern vom „unbezahlten Vieltun“ sprechen, das so viele Menschen heute in Familien, im Freund*eskreis, in Vereinen einbringen.

Zudem: Geht es bei der Debatte um ein Bedingungsloses Grundeinkommen wirklich darum, mehr Menschen in Arbeit zu bringen oder nicht viel mehr darum, dass wir uns in Zeiten, in denen wir uns einem massiven Wandel auf dem Arbeitsmarkt gegenübersehen, Lösungen dazu zu überlegen, welche Hebel wir in Bewegung setzen müssen, damit sich Menschen, die den Übergang nicht reibungslos schaffen, nicht isoliert und abgehängt fühlen sowie sich nicht zurückziehen? Hebel finden, wie wir soziale Fragen etwa im Bereich der Pflege und Care-Arbeit lösen – oder hinsichtlich kultureller und gesellschaftlicher Teilhabe etwa für Menschen in Hartz IV –, die uns doch jetzt schon um die Ohren fliegen?

Uns einfach entlasten, wo kämen wir da hin?

Darüber hinaus sind die Daten noch nicht final erhoben, sondern haben wir einen erste Einschätzung bekommen. Gescheitert ist hier, ganz egal wie man die Ergebnisse gewichtet, noch gar nichts. Was wäre etwa, wenn einige der Menschen, die im ersten Jahr nicht in den Arbeitsmarkt eingestiegen sind, noch in der Planung für ihre Selbstständigkeit stecken, und etwa genau dafür sparen? Was ist, wenn diese Menschen sich gegen mehr Erwerbsarbeit und dafür mehr ehrenamtliches Engagement entschieden haben? Was ist, wenn sie es nun leichter haben, Menschen bei sich zu Hause zu pflegen – ob Kinder oder ältere Verwandte, Nachbarn, Mitmenschen? Und wenn wir schon beim Nutzen sind: Wie viel würden wir im Gesundheitssystem sparen, wenn Menschen durch das Grundeinkommen messbar gesünder werden? Es würde uns doch alle entlasten – zuallererst die Menschen selbst, die es betrifft! Es ist, so gerne das behauptet wird, eben keine romantische Haltung, in Zukunftsfragen eine humanistische Perspektive anzunehmen!

Wenn das alles kein weiterer Antrieb dafür ist, über ein Bedingungsloses Grundeinkommen zu diskutieren, dann sollten wir uns fragen, auf was für eine Gesellschaft wir damit in Zukunft zusteuern. Ganz sicher auf keine, in der wir ein besseres Miteinander, weniger Auseinanderdriften, weniger Egoismus finden werden. Und ist es nicht gerade das, was wir gerade dauernd beklagen?

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