Foto: Generation Grundeinkommen | Flickr | CC by 2.0

Warum das bedingungslose Grundeinkommen mehr ist als eine romantische Idee

Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine verträumte Idee linker Künstler*innen? Nein, ganz sicher nicht. Es ist ein sehr realistisches Konzept, das wir nun auf humanistischer und ökonomischer Ebene verhandeln müssen. Und es wird vielleicht die Maßnahme sein, die unsere Gesellschaft davor schützt, noch weiter auseinandergerissen zu werden.

Wer eine Grundsicherung ohne Arbeit erhält, hat keine Motivation mehr

„Einen festen Betrag um die 1.000 Euro pro Monat, ganz unabhängig davon, ob jemand einen Job hat oder nicht – und das für jeden Bürger? Das ist doch unbezahlbar! Und arbeiten, will dann auch niemand mehr!“ Das sind Sätze, die man gerne im Zusammenhang mit dem bedingungslosen Grundeinkommen hört. Und es sind Sätze, die nicht nur ganz viel über unser Gesellschaftsbild erzählen, sondern auch, dass viele noch nicht begriffen haben, wie stark sich unsere Arbeitswelt gewandelt hat – und vor allem, wo wir uns damit noch hinbewegen.

Die Überlegungen zu einem bedingungslosen Grundeinkommen sind keine neuen, das Denkmodell gibt es in unterschiedlicher Ausarbeitung seit Jahrzehnten. Etwa durch den US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedmann, der in den USA in den 60er Jahren ein ähnliches Programm unter dem Begriff der „Negativen Einkommensteuer“ zur Diskussion stellte. Mit der Testphase zum bedingungslosen Grundeinkommen in Finnland, die in 2017 starten soll, und dem geplanten Experiment in Kanada sowie der Abstimmung am 5. Juni in der Schweiz, bei der sich die Bürger zu rund 80 Prozent gegen die Grundsicherung entschieden haben, hat die Debatte nun aber neuen Aufschwung und auch eine Wendung erfahren. Denn nach rein theoretischen Überlegungen, können wir das Konzept auch bald anhand von konkreten Daten diskutieren.

Wir brauchen Daten, um die Scheu gegenüber neuen Konzepten abzubauen

Und die brauchen wir auch, um in der Angelegenheit weiterkommen zu können. Denn ob die Entscheidung der Schweizer eine Absage an die Idee an sich ist oder ob die mangelnde Ausführung der Finanzierung des Projekts abgeschreckt hat, lässt sich nur schwer beurteilen.

Trotz der Absage aus der Schweiz, muss man aber grundsätzlich festhalten, dass es dafür, womit die Piratenpartei in Deutschland vor ein paar Jahren noch grandios gescheitert ist, heute mehr und mehr Zustimmung gibt. Kein Wunder, denn was gerne als ein Almosen für einige wenige abgetan wird, die sonst an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, ist ein Thema, das die breite Masse angeht – denn wir alle stehen unsicheren Zeiten auf dem Arbeitsmarkt gegenüber, die auch jetzt schon spürbar sind. Das bedingungslose Grundeinkommen ist also weit mehr als eine romantische linke Idee, sondern könnte vielmehr ein wichtiges Instrument für Staat und Wirtschaft werden, um neben den gesellschaftlichen auch die ökonomischen Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Und genau deshalb sprechen sich auch immer mehr Köpfe aus der Wirtschaft für das Konzept aus.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist weit mehr, als eine romantische Idee

Was genau die sich davon versprechen? Nun, das ist schnell erklärt. Einerseits ist unser Sozialsystem an einen Arbeitsmarkt und eine Lebensrealität angepasst, die es so nicht mehr gibt. Lückenlose Lebensläufe, unbefristete Arbeitsverträge, 9-to-5-Arbeitsmodelle, Präsenzkultur, klassische Rollenverteilung, steigende Geburtenzahlen – all das erzählt vom Vergangenen oder befindet sich auf dem Rückmarsch. Hinzu kommt die Schere zwischen Arm und Reich, die jetzt schon gefährlich weit auseinanderklafft – etwas, dass sich mit den vorhandenen Strukturen kaum regulieren lässt, sondern noch viel schlimmer: immer weiter aufreißen wird. Wenn wir hier also einfach so weitermachen wie bisher, steuern wir langfristig auf einen gesellschaftlichen und ökonomischen Kollaps zu.

Wir müssen uns daran gewöhnen, dass die Digitalisierung nicht nur bedeutet, dass wir unsere Daten in einer Cloud sichern und von überall arbeiten können. Die technischen Errungenschaften, die unseren Alltag glücklicherweise immer mehr vereinfachen, werden eben auch verstärkt dazu führen, dass es bestimmte Arbeitsplätze in naher Zukunft einfach nicht mehr gibt. Jeder Job, der ersetzt werden kann, wird auch ersetzt werden – so dass irgendwann Automaten unser Geld kassieren, Autos montieren, uns operieren, und und und. Das ist keine Science Fiction: Wir wären auch heute schon längst in der Lage, viel mehr Jobs wegfallen zu lassen, nur gibt es eben noch keinen Idee dazu, was wir in Folge dessen mit all den Menschen machen, die dann nichts mehr zu tun haben.

Wer kauft eigentlich noch ein, wenn keiner mehr Geld hat?

Aber irgendwann wird und muss das kommen und was machen wir dann mit den Menschen, deren Arbeit nun von Computern erledigt wird? Irgendwann werden zu wenige Menschen da sein, die durch klassische Arbeit noch ausreichend verdienen, um unsere Sozialsysteme zu erhalten – mal ganz abgesehen davon, was es mit einer Gesellschaft macht, die zur Hälfte aufs Abstellgleis gestellt wurde. Und wer kauft dann eigentlich noch Autos? Wer reist in die Südsee? Wer geht noch Sushi essen? Oder kauft sich das neue Smartphone?

Wir werden unsere Systeme neu denken müssen, wenn wir unser Land zukunftssicher machen wollen. Wir müssen die Begriffe Arbeit, Leistung und Freiheit voneinander losgelöst denken können. Wir müssen aber auch unser Verständnis von einer Gesellschaft ändern, wenn wir wirklich Angst haben, sie würde sich mit Plus-Minus 1.000 Euro pro Monat in der Mehrheit einfach nur faul auf die Couch legen und vor dem TV aufgebahrt auf den Tod warten. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir mit einer Grundsicherung existenzielle Ängste abschaffen können, was Menschen freier, kreativer und mutiger werden lässt. Denn was der Arbeitsmarkt und damit unsere Wirtschaft von morgen doch unbedingt braucht ist genau das: Gründergeist, kreative Lösungen, genug Freiheiten, um keine Angst vor neuen Situationen zu haben. Vielleicht entsteht auf diesem Weg sogar, was wir brauchen: neue Berufsbilder, neue Jobs.

Außerdem machen 1.000 Euro – oder jegliche Summen, die gerade in diesem Zusammenhang in den Mund genommen werden – niemanden reich, lassen niemanden ausgesorgt haben. Doch selbst wenn: Wenn die Motivation für Arbeit und Engagement nur an Geld geknüpft wäre, wie genau erklärt man sich dann Multimillionäre, die weiterarbeiten oder all die vielen Ehrenamtler, ohne die unsere Gesellschaft schon jetzt an einem ganz düsteren Punkt wäre? Es ist eine fatale Sicht, auf die, die wir sind.

Aber neben der humanistischen Seite ist es eben auch die liberale, die das Grundeinkommen wahrscheinlicher und vor allem attraktiver macht. Denn die Arbeitswelt der Zukunft hat kaum noch Sicherheit zu bieten. Was sich anbahnt, ist ein Freiberuflertum, dass den klassischen Status als Festangestellter fast komplett tilgen wird. Es wird darum gehen, sich von Auftrag zu Auftrag zu hangeln und immer wieder um Kunden und Projekte zu werben, in Teams zu arbeiten, die sich nur für eine bestimmte Zeit zusammenfinden – und da wird der Preis bestimmen, wer den Zuschlag bekommt. Voraussetzungen, die gesicherte Einkommen zu Nichte machen. Und ein Staat, der keine Arbeitsplätze mehr garantieren kann, muss sich eben um neue Modelle kümmern – nicht aus Milde, sondern aus reinem Eigeninteresse an einer Wirtschaft, die nicht komplett zusammenbricht.

Die Allheilslösung ist noch nicht gefunden

Es wäre aber auch falsch, das bedingungslose Grundeinkommen, so wie es derzeit diskutiert wird, als fertige Allheilslösung zu sehen. Natürlich stellen sich noch viele Fragen zur Umsetzung, zur Höhe und dazu, wie die Gesellschaft darauf reagiert. Denn nein, noch gibt es eben keine verlässlichen Daten die Auskunft darüber geben, wie eine Gesellschaft, die seit Jahrhunderten auf Leistung und Stolz durch Arbeit getrimmt wurde, mit einer Situation umgeht, in der das weitestgehend wegfällt.

Und natürlich werden auch nicht alle gut finden, wenn ihr Nachbar nicht arbeitet, aber trotzdem ein gutes Leben führen kann. Neid wird eine Rolle spielen und genau deshalb müssen wir Leistung und Erfolg neu definieren, wir müssen uns neu denken und wie und wo wir wirken können, wenn es unsere Jobs in dem Sinne nicht mehr gibt – und wir müssen lernen, wie es ist, wenn sich unsere Freiheit zu wählen, zu suchen und zu denken durch eine gesicherte Grundexistenz erhöht. Und das wird eine verdammte große Herausforderung sein.

Und dennoch muss man eben festhalten, dass wir uns eine rein pessimistische Sicht auf das Modell nicht leisten können. Ebensowenig wie das Misstrauen, dass wir uns gegenseitig engegenbringen. Eine Gesellschaft, die man von Ängsten und Druck befreit, legt sich lahm? Warum denken so viele genau das, obwohl es Druck und Ängste sind, die Menschen lähmen. Wenn wir eine gute Zukunft bauen wollen, müssen wir doch eines zuerst: uns gegenseitig vertrauen.

Was würdet ihr tun, wenn eure Existenz auch ohne Arbeit gesichert wäre?

Titelbild: Generation Grundeinkommen | Flickr | CC by 2.0

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