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Immer erschöpft sein ist nicht normal – warum Familien die 20-Stunden-Woche brauchen

In Berlin fand am Wochenende eine Konferenz für Familienblogger*innen statt. Unsere Chefredakteurin Teresa Bücker hat dort einen Keynote-Vortrag gehalten, den ihr hier in der Textversion nachlesen könnt.

Blogfamilia – eine Konferenz für bloggende Eltern

Am Samstag, den 5. Mai 2018, fand in Berlin wieder die Blogfamilia statt, eine Konferenz für Austausch und Vernetzung von Familienblogger*innen mit einem vielfältigen Programm aus Vorträgen, Workshops und Diskussionsrunden. Ich hatte die Ehre nach dem Grußwort der neuen Bundesfamilienministerin Franziska Giffey die Keynote als thematischen Impuls zu sprechen und stelle das Manuskript des Vortrags hier gern online. Danke an Alu und den Verein für die Einladung!

Auf der Website der Blogfamilia werden Links zu weiteren Berichten von der Konferenz gesammelt und die Gewinner*innen des Blogfamilia-Awards vorgestellt. Ich wäre wahnsinnig gern den ganzen Tag geblieben um mehr vom Programm mitzubekommen und mich mit den vielen engagierten Menschen dort auszutauschen, konnte aber – natürlich auch aus familiären Gründen – nur den Vormittag über bleiben. Ich hoffe es klappt dann, nächstes Jahr komplett dabei zu sein.

Der kurze Vortrag von mir reißt viele Themen nur an. Ich freue mich sehr, wenn ihr in den Kommentaren ergänzt, was ihr vielleicht schon selbst zum Thema geschrieben habt, wir ihr bestimmte Dinge löst und mit welchen Menschen oder Organisationen wir uns mal zu den Themen redaktionell oder für andere Veranstaltungen unbedingt mal austauschen sollten

Hinweis: Das Manuskript weicht an einigen Stellen ein wenig davon ab, was ich gesagt habe.

Keynote Blogfamilia 2018

Guten Morgen,

ich freue mich sehr, heute hier sprechen zu dürfen, und dass ich das tue, bildet schon viel von Fragestellungen der heutigen Blogfamilia ab, denn Alu rief recht kurzfristig und meine Woche war ohnehin sehr voll, ich wusste, ich habe meine Tochter am Wochenende (sie wird im Wechselmodell groß, daher ist mir jedes Wochenende mit ihr heilig), ich hatte schon zu viel gearbeitet und würde müde sein, und habe aber gleichzeitig das Bedürfnis verspürt, hier zu unterstützen und über mein Hiersein etwas zurückgeben zu können, denn bei EDITION F bekommen wir auch immer wieder wahnsinnig tolle Unterstützung von allen Seiten.

Dieses Gefühl kennen sicherlich viele von euch hier, denn für viele ist das Blog ein Engagement, das sie noch zusätzlich zur Erwerbsarbeit machen, zusätzlich zur Familienarbeit, zu anderem politischen und ehrenamtlichen Engagement. Blogger*innen sind engagiert und sie treibt etwas an, das weit über ihre persönlichen Interessen hinausgeht, sonst könnten sie ja auch Tagebuch schreiben. Und das sage ich, obwohl die so genannten Tagebuch-Blogs ja maßgeblich dazu beigetragen haben, dass es die Blogs von heute so gibt, und die Tagebuch-Elemente  haben auch nach wie vor Berechtigung und Funktion. Denn bei wem, wenn nicht Familien gilt: Das Private ist auch politisch?

Familien, ganz besonders mit Kindern, sind ein Tor zur Welt, die wir, sobald Kinder in unser Leben treten, noch einmal ganz anders wahrnehmen. Vielleicht ist das sogar Teil der Antwort, warum wir uns Kinder wünschen, welche bekommen oder sie in Familien aufnehmen, um mit ihnen zu leben. Man kann den eigenen Kinderwunsch kaum erklären, aber sobald ein Kind da ist, bedeutet das auch oft einen Neuanfang und einen Perspektivwechsel, der viel radikaler ist, als man selbst je geglaubt hätte.

So viele Antworten für unsere Welt werden klarer, wenn wir sie konsequent durch die Augen von Kindern betrachten: Was wäre gerecht? Wie entstehen gleiche Chancen? Wie entsteht Inklusion? Wie geht unsere Gesellschaft mit Menschen um, die nach Deutschland flüchten?  Was macht eine Stadt oder ein Dorf lebenswert? Wie wollen wir lernen? Wie wollen wir arbeiten?

Wenn wir wirklich darüber nachdenken, sprechen wir oft über diese Dinge aus der Sicht von Erwachsenen und suchen nach Lösungen, die für Erwachsene passen, fordern politische Maßnahmen, die sich an Erwachsenen orientieren.

Und das passiert auch, weil Familie uns auf der einen Seite zwar ermöglicht, neue Erfahrungen zu machen und neue Sichtweisen einzunehmen, sie aber auf der anderen Seite auch dazu beiträgt, dass die Zeit oder die Energie fehlt, sich gesellschaftlich zu engagieren.

Eltern haben wenig Zeit für politisches Engagement

Es ist keine neue Erkenntnis, dass die Perspektiven von jüngeren Eltern, ganz besonders von Müttern, noch einmal mehr von Müttern und anderen Elternteilen, die marginalisierten Gruppen angehören, sowohl im politischen als auch medialen Diskurs fehlen, und sogar auch schon im gesellschaftlichen Diskurs, denn sobald man für Familienmitglieder sorgt, bleibt auch weniger Zeit für den Austausch mit zum Beispiel Kolleg*innen, Freund*innen und Menschen, die man vorher auf Veranstaltungen und in der Freizeit traf.

Die Welt wird durch Kinder größer und kleiner zugleich.

Und hier kommen die Blogs ins Spiel.

Ich hab es zunächst selbst am Beispiel feministischer Blogs erlebt, ohne die ich nie Feministin geworden wäre, denn ich kannte vor dem Bloggen, das ich im Studium begann, keine anderen Feminist*innen und habe sie so entdeckt, habe mich gebildet, vernetzt, mich stärker und stärker engagiert und neue Dinge ausprobiert – auch jenseits des Bloggens.

Blogs wohnt diese Dynamik inne, sich über das Schreiben hinaus ganz stark zu entwickeln – Blogs lösen also das Versprechen des Netzes ein, mehr Vielfalt sichtbar zu machen, Menschen zusammenzubringen und sich zu organisieren.

Genau das passiert auch bei Themen rund um Familien – und dazu braucht es keine Strategie, es passiert automatisch, gerade weil diese Themen in anderen Medien weniger stark und öfter stereotyp vorgekommen sind. Wenn es einem Thema oder einer Gruppe von Menschen so ergeht, können Blogs zu einer Gegenöffentlichkeit werden und eigene Akteur*innen hervorbringen. Sie entwickeln Relevanz.

Auch bei Familienblogs geschieht diese Relevanz in ganz unterschiedlicher Form. Einige haben ihr Blog so ausbauen können, dass es ihr Einkommen ist oder dazu beiträgt. Einige konnten sich als Autor*in weiter etablieren und sogar Bücher schreiben. Andere sind für ihr Thema zu einer wichtigen Stimme in der Öffentlichkeit geworden, helfen über Medienauftritte, das Thema sichtbar zu machen und beraten als Expert*innen in Organisationen und sogar der Politik.

Die Vielstimmigkeit von Blogs

Daran wird sichtbar, dass es nicht nötig ist, dass Familienbloger*innen bei allen Fragestellungen Einigkeit brauchen. Es ist vielmehr notwendig, vielfältig zu sein, verschiedenen Herangehensweisen und Meinungen zu vertreten. Vielstimmigkeit ist ein ganz wichtiger Wert – auch, weil nach wie vor in Deutschland eine große Frage ist, wie wir Familie leben wollen. Welche Rollen Mütter und Väter einnehmen. Auch hier haben Blogs sichtbar gemacht, wie unterschiedlich diese Fragen beantwortet werden können – dass nicht alle Menschen die gleichen Bedürfnisse haben und dass Familien in ihrer Unterschiedlichkeit Respekt verdienen. Und Unterstützung.

Diversität ist überall eine Herausforderung, die am besten gelingt, wenn wir selbstkritisch sind und es uns nicht zu bequem machen. Wenn Familienblogger*innen einen emanzipatorischen, weltoffenen und politischen Anspruch haben, dann muss auch immer wieder die Frage gestellt werden, welche Familien nicht bloggen oder noch nicht, und wie dazu beigetragen werden kann, dass auch weniger sichtbare Familien in Blogs stattfinden oder sogar einmal selbst bloggen. Dass die Blogfamilia ohne Teilnahmegebühren stattfindet, ist daher ein wichtiger Schritt, um die Veranstaltung für viele Menschen zu öffnen.

Für Familienblogs würde ich mir daher wünschen – so wichtig die Vielfalt ist und jede*r ihr individuelles Herzensprojekt hat: Unterstützt die Kämpfe der anderen – gerade diejenigen, die vor größeren Herausforderungen stehen und die weniger Sichtbarkeit haben, die ausgeschlossen werden über ihre Lebenssituation, Armut, Rassismus, Behinderung und Familienform. Wir brauchen die Solidarisierung aus den Familien heraus, weil sie von anderen Stellen kaum zu erwarten sein wird. Ein Projekt, das man aktuell ganz hervorragend unterstützen kann, ist zum Beispiel die Demo gegen Kinderarmut am 12. Mai in Berlin, die auch auf Menschen zurückgeht, die ganz aktiv und engagiert im Netz sind. Und natürlich kann es eine Frage sein für Familienblogger*innen, ob sie sich zum Beispiel zur nächsten Bundestagswahl damit beschäftigen möchten, welche politischen Konstellationen gute, inklusive Familienpolitik möglich machen.

Warum das Private politisch ist

Bei EDITION F warf kürzlich eine Community-Autorin die Frage auf, ob Familienblogs politisch genug sind und was sie stört. Ich denke, es lohnt sich, genau hinzuschauen und vor allem in der Vielfalt und in den privaten Momenten das Politische zu sehen. Denn gerade weil Familien, was dort passiert und gebraucht wird, an anderen Stellen oft unsichtbar gemacht wird oder nicht relevant erscheint, haben Blogs per se ein politisches Gewicht. Denn Familie gilt noch immer als „Gedöns“-Thema, als wenig wichtig. Die Erfahrung machen nicht nur Mütter, die ihre Erwerbsarbeit zugunsten von Kindern aufgeben und Familienblogger*innen, die abschätzig betrachtet werden, die Erfahrung machen Politiker*innen, die sich in der Familien- und Geschlechterpolitik engagieren, die Erfahrung machen Journalist*innen, deren Fachthema das Familienleben ist oder die neben vielen anderen Themen über das Elternsein schreiben, oder wie ich gerade über das neue Buch der Autorin Antonia Baum („Stillleben“) las, dass er als „schriftstellerischer Selbstmord“ gelte, über Mutterschaft zu schreiben.

Familie ist aber kein seichtes Thema und keines, für das man kein Wissen braucht. Es ist ein anspruchsvolles Thema, es gibt zu unzähligen Bereichen rund um Familien Ausbildungsberufe, Studiengänge, Weiterbildungen und Qualifikationen.

Wenn zum Beispiel eine Bloggerin über Schreibabys schreibt, man sich über Schlafprobleme und Erschöpfung austauscht, wenn das Kind in der Schule gemobbt wird, wenn es um Ernährung, Erziehung, Bildung und Partnerschaft geht, wenn man Sorgen hat wegen des Ex-Partners oder sogar den Mut hat, über Gewalterfahrungen zu schreiben, hat das eine politische Qualität, auch wenn vielleicht den Blogger*innen oft selbst nicht klar ist, dass sie die hat, denn ich habe auch schon oft gehört: „Mit Politik kenn ich mich gar nicht aus, dazu kann ich nichts sagen.“ Das stimmt nicht, ihr könnt dazu alle etwas sagen.

Denn wenn Blogs für andere Anlaufstellen sind, Beratung bieten, Druck wegnehmen, ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen, dann ist es wichtig. Ganz besonders in Zeiten, in denen zum Beispiel die Hebammenversorgung schlechter wird, traumatische Geburtserfahrungen sich häufen, die Familienberatung beim Jugendamt keine Termine freihat, die Kita zu wenige Erzieher*innen hat, die auch nicht die Zeit haben, Fragen zu beantworten. Wenn die eigene Familie weit weg lebt, soziale Netze brüchiger werden. Blogs sind kein Ersatz dafür, wenn all diese wichtigen Dinge fehlen, aber eine ganz wichtige Ergänzung. Ich zum Beispiel lese Blogs gern, weil ich so früh wieder arbeiten gegangen bin und mir daher ein Netz aus anderen Müttern fehlte, weil ich in keinem Pekip-Kurs war, in keiner Stillgruppe, weil ich selten nachmittags auf Spielplätzen bin, wo ich Kontakt zu anderen Eltern finde.

Wir machen mit EDITION F selbst eine Art Nischenmedium, und ähnlich wie manche Bloggerin denke ich oft über Texte: Wenn dieser Text nur den einen Menschen erreicht, für den er wichtig ist, der ihn in diesem Moment aufgefangen hat oder ein toller Tipp daran war, der etwas positiv verändert, dann ist das ein Erfolg. Wir müssen die kleinen Erfolge nicht schmälern, denn sie summieren sich zu etwas Großem auf.

Druck wegnehmen vs. Druck weitergeben

Was ich dennoch wichtig finde, ist trotzdem kritisch darauf zu schauen, wie auch die Professionalisierung in sozialen Medien den Blick auf Themen verändert. Neu zu Blogs hinzugekommen sie unter anderem Influencer*innen, denen es weniger um Vernetzung und Austausch und Wissensvermittlung geht, als um Darstellung und Vermarktung. (Hier ein aktueller Lesetipp) Die mehrere Hundertausend Menschen z.B. über Instagram erreichen und Mutterschaft normieren und auf Konsum begrenzen. Und wir sind eben auch alle dafür anfällig, etwas auf Bestätigung im Netz zu geben, über Inhalte, die gefallen, über schöne Bilder.

Daher ist es auch immer wichtig, selbstkritisch zu sein und ebenso zu beobachten, ob und wie sich auch Familienblogs verändern. Wenn wir wollen, dass der Druck auf Eltern weniger wird, sollten wir dann welchen weitergeben oder bauen wir unbewusst welchen auf? Sage ich zum Beispiel offen, dass ich Unterstützung im Haushalt habe, weil das Chaos sonst nicht mehr zu bewältigen wäre – und dass es mit einem 40-Stunden-Job einfach nicht zu machen ist. Dass dieses hübsche Instagram-Bild nur so entstehen konnte?

Ich erzähle zum Beispiel mittlerweile schwangeren Freund*innen sehr offen, dass, wenn ich ehrlich bin, es Wahnsinn war, nach sechs Monaten in Vollzeit wieder in den Job einzusteigen. Das war mein eigener Erwartungsdruck an mich, ich wusste es nicht besser, aber es war unfassbar hart. Ich bin weit über meine Grenzen hinaus gegangen und frage mich rückblickend manchmal, wie ich diese Zeit überlebt habe. Ich würde es beim nächsten Mal anders machen. Und: Es ist bis heute hart, einen Vollzeitjob und ein Kind, den Alltag, plus Engagement zu stemmen und am allertraurigsten bin ich über die Freund*innenschaften, die dabei auf der Strecke geblieben sind.

Ein Plädoyer für die 20-Stunden-Woche

Eine meiner politischen Botschaften ist also, dass wenn wir nicht bald damit beginnen, alle weniger zu arbeiten – Menschen ohne Kinder profitieren auch davon, die brennen oft auch ohne Kinder aus und haben wenig Zeit für andere sinnvolle oder schlicht wohltuende Dinge – dann hat es langfristige und schädliche Folgen für unsere Gesellschaft. Es ist nur unter sehr hohen Kosten machbar. Auf der Strecke bleiben wir selbst als Menschen, und obwohl wir unsere Arbeit gern machen und unsere Kinder (oder pflegebedürftigen Eltern) gute Betreuung haben, leiden wir, uns fehlt die Zeit. Partnerschaften leiden und zerbrechen – ganz oft auch, weil die gesellschaftlichen Strukturen diese Partnerschaften nicht tragen können. Natürlich müssen auch endlich die Rahmenbedingungen für Alleinerziehende, Getrennt-Erziehende und Solo-Eltern besser werden, aber viele Beziehungen hätten nicht zerbrechen müssen, wenn wir endlich die Bedingungen schaffen, in denen die Menschlichkeit und emotionalen und körperlichen Bedürfnisse wieder wichtiger sind, als Produktionskraft zu sein. Wir müssen arbeiten und von diesem Einkommen gut leben können, ohne dass ständig alles zu viel ist, ohne dass wir gesundheitliche und seelische Grenzen überschreiten. Man kann es nicht schön reden, so, wie viele von uns leben und leben müssen, ist krank. Es macht krank.

Als Feministin ist es heute so leicht ist, als radikal zu gelten. Da reicht schon, geschlechterinklusive Sprache zu fordern. Und ähnlich ist es bei der Familienpolitik und den Ideen, was Familien brauchen, um gut leben zu können.

Gerade wir zum Beispiel die Situation in der Geburtshilfe relativiert mit dem Satz: „Was wollt ihr denn, die Geburtshilfe in Deutschland ist so gut wie in kaum einem Land?“ Zu fordern, dass sie wieder besser wird, wird oft als „Luxusproblem“ bezeichnet.

Und warum ist es so breit akzeptiert, dass Familien so wenig Zeit mit ihren kleinen Kindern haben und uns am Rande der Erschöpfung bewegen? Familien, die Modelle jenseits der Norm gefunden haben, wissen, dass es nicht sein muss. Es geht anders. Doch statt zu sehen, dass der Zeitmangel füreinander uns als Gesellschaft schadet, ist die Tendenz eher, es als normal und wünschenswert zu betrachten, dass möglichst alle Eltern in Vollzeitstellen arbeiten.

Wenn, wie es so oft in politischen Reden heißt, wir kein Kind zurücklassen wollen, bedeutet das in der Konsequenz, dass ein Teilzeiteinkommen den Lebensbedarf eines Elternteils mit Kind oder Kindern decken können sollte. Oder im Umkehrschluss vor allem auch, dass wir eine neue Vollzeit brauchen, die nicht 50 Stunden und mehr bedeutet. Sondern 20. Und wir müssen 20 fordern, um bei 30 zu landen.

Politik ist nicht familienfreundlich, wenn ignoriert wird, dass Single-Eltern keine Ausnahme sind und politische Maßnahmen viele Familien ausschließen, wenn sie sich an der Familie mit zwei gesunden Elternteilen orientiert. Politik ist nicht kinderfreundlich und zukunftsgewandt, wenn sie zu wenig in den Blick nimmt, dass Armut sich immer auf Chancen auswirkt, die Bildungsgutscheine niemals auffangen werden. Familienpolitik muss konsequent umsetzen, dass Gewaltfreiheit und damit auch funktionierender Gewaltschutz die Voraussetzung für gute Familien sind. Und Bildungspolitik muss zudem sehen, dass es keine Zukunftsstrategie ist, darauf zu setzen, dass alle Akademiker*innen werden und alle Mädchen in die MINT-Berufe gehen, um gleichwertig zu verdienen. Wie soll das gehen, dass alle studieren und dann Ingenieurinnen und Programmiererinnen sind?

Diese Vision funktioniert nur, wenn wir sagen: Alle arbeiten nur noch maximal 20 Stunden und reinigen, nachdem sie mit Programmieren fertig sind, ihre eigenen Büros und schneiden in der Freizeit ihren Freund*innen die Haare. Die Kinder sind derweil nicht in der Kita, Erzieher*innen gibt es ja auch nicht mehr, sondern im Bällebad im Büro der Chefin.

Ich wünsche mir, dass Kinder von allen Berufen träumen können, ohne, dass ihnen immer jemand sagt: Davon kannst du nicht leben!

Unterstützt die Kämpfe der anderen

Familienpolitik muss sich also zunächst auf die ausrichten, die am meisten Unterstützung brauchen. Und echtes Empowerment geschieht dann, wenn Menschen sich aus eigener Kraft versorgen können, wenn sie selbstbestimmt leben.

Daher ist auch mein Appell an die Familienblogger*innen, laut und deutlich zu vertreten, was Familien in Deutschland fehlt. Wie eine Gesellschaft aussehen müsste, in denen alle Familienformen gut leben können und sich ihre Mitglieder gut entfalten können. Blogger*innen oder Menschen, die sich in sozialen Medien äußern, sind auch immer häufiger als Expert*innen und Protagonist*innen in klassischen Medien gefragt. Nutzt diese Chance, den Diskurs mitzugestalten.

Und eigentlich sollte das kein Rant werden, weil ich mich so auf diese Veranstaltung gefreut habe, also versuche ich, positiv zu enden.

Familie bedeutet Ambivalenz, das ist völlig okay. Zerrissen sein zwischen den Dingen, die nicht gut funktionieren und all den schönen Momenten und all der Liebe. Die Kunst ist, diese Ambivalenz auszuhalten und zu umarmen und auch immer einen Schritt zurückzugehen, wenn wir auf andere blicken. Einander die schönen Momente gönnen, nicht immer gleich urteilen, wenn in anderen Familien andere Dinge wichtig sind, und versuchen, uns über die Unterschiede hinweg zu unterstützen.

Vor einigen Monaten fragte eine befreundete Frau auf Facebook, warum in ihrer Wahrnehmung die Texte überwiegen, die die Herausforderungen von Familie betonen, und sie so selten über das Glück lese, das Familie bedeutet. Vielleicht ist es sogar tatsächlich das, was manchmal fehlt, um die Bedeutung von Familie nicht nur im privaten Rahmen erfassen können, sondern Familien sichtbarer zu machen. Darüber, wie man den perfekten Job findet und dass ein Beruf nach Möglichkeit sinnstiftend und erfüllend sein soll, liest man an ganz vielen Stellen, oft stehen Berufe und Karrieren stellvertretend für das, was wir sind. Und ich denke, da liegen wir falsch. Wir sind mehr als unsere Arbeit. Daher hoffe ich, dass noch viele viele Menschen mehr über Familienthemen schreiben und öffentlich reden, damit Familien überall einen Platz bekommen und man ihnen all das zugesteht, was sie brauchen. Familie ist nichts, was wegorganisiert werden sollte, sie darf und muss sichtbar sein, mit all ihren Höhen und Tiefen, in ihrer wunderbaren Vielfalt. Danke, dass ihr bloggt.

EDITION F hat jetzt eine eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder (noch) nicht. Schaut doch mal vorbei!

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