Foto: Filiz Serinyel Photography

Charlotte Roche: „Ich bin eine ziemlich dominante Person in einer Beziehung – und damit muss ich sehr aufpassen“

Charlotte Roche startet einen Podcast mit ihrem Ehemann über Beziehungsfragen. Wir haben mit ihr über die Ehe, über gutes Streiten und darüber gesprochen, ob Monogamie wirklich funktioniert.

„Mein Mann ist die Spielerfrau“

Charlotte Roche ist bekannt für ihre offene und ehrliche Art, sie nimmt kein Blatt vor den Mund – weder in ihren Büchern, Fernsehauftritten oder in sozialen Netzwerken. Bisher hat sie immer ihre eigenen Projekte gehabt – was passiert also, wenn sie mit ihrem Mann zusammenarbeitet? Auf jeden Fall wird weiter sie im Vordergrund stehen – wie der Titel ihres neuen Podcasts vermuten lässt: „Paardiologie. Charlotte Roche und Ehemann.“

Im Podcast soll es um Themen wie Kinder- und Hundeerziehung, Sex, Selbstbefriedigung, Testamente und vor allem darum gehen, dass es keine Tabus gibt. Wir haben uns vor dem Start des Podcasts mit Charlotte Roche getroffen und sie gefragt, wie ihr Partner mit seinem „Ehemann von…“-Schicksal umgeht, welche Ansprüche an die Ehe man getrost über Bord kippen kann und ob der Podcast möglicherweise auch therapeutische Wirkung haben kann.

Im Titel des Podcasts wird dein Mann namentlich gar nicht erwähnt, sondern kommt nur als „Ehemann von…“ vor. Wollte er nicht genannt werden oder ist das eben das Schicksal eines Mannes, an der Seite einer bekannten Frau?

„Charlotte Roche und Ehemann ist ein Gag, weil wir es umgedreht haben. Ich bin ja jetzt praktisch der Fußballspieler und mein Mann ist die Spielerfrau. Oder früher hieß die Frau von einem Arzt ja auch ,Frau Dr. Jürgen Müller‘. Das ist der Witz, dass es jetzt einfach umgekehrt ist und er meine Spielerfrau ist.“

Sind das auch fernab vom Podcast eure Rollen?

„Es ist ja klar, dass ich mich in meinen Mann verliebt habe, weil er eine coole Socke und souverän ist. Wenn er mir das nicht gönnen würde, dass ich mehr Aufmerksamkeit bekomme, dann würde das gar nicht gehen. Wenn wir irgendwo sind, dann kommt er damit wirklich gut zurecht, dass alle mit mir und keiner mit ihm reden will. Er hat da auch schon seinen Running-Gag: Wenn wir gemeinsam in einem Restaurant sind, dann kommen immer Kellner*innen und sagen ,Hallo, guten Abend! Hier haben Sie direkt einen Tisch‘. Wenn er alleine in ein Restaurant geht, dann wird er total schlecht behandelt, weil ihn niemand wiedererkennt.“

Es gibt ja immer noch (erz-)konservative Menschen, die mit erfolgreichen Frauen immer noch so ihre Probleme haben – was würdest du dieser Position entgegen?

„Ich würde immer sagen, dass Geld und Macht super wichtig sind und, dass Frauen davon mindestens die Hälfte zustehen – oder vielleicht noch mehr (lacht). Ich wurde als Mädchen von meinem Vater schon so erzogen, dass Frauen nicht gut um Geld verhandeln können. Ich denke mir, ja es ist unangenehm Verträge auszuhandeln, aber in unserer kapitalistischen Welt bedeutet Geld Macht für mehr Freiheit. All die Leute, die nicht wollen, dass Frauen Geld oder Macht haben, haben Angst, dass sie dann keine Frauen mehr zu Hause haben. Das muss alles geändert werden: Der Blick auf erfolgreiche Frauen und dass man frei machen kann, was man will – genau wie die Männer schon all die Jahrhunderte.“

Was sind aus deiner Sicht überholte Ansprüche an die Ehe, von denen wir uns dringend mal lösen sollten?

„Erstmal glaube ich, dass Monogamie nicht funktioniert. Wenn ich wie die Leute früher im Mittelalter mit 30 Jahren gestorben wäre, dann ja, dann hätte ich es auch geschafft monogam zu leben. Wenn ich jetzt aber offensichtlich 90 oder 100 werde, dann ist die Sache viel schwieriger. Dieses Moralische auf die Biologie zu stülpen und zu sagen, wenn ich jemanden liebe, dann gehört mir das Herz und die Scheide der Person – das gilt nicht, das ist unfrei, weil der Körper, das Herz und die Seele gehören immer nur einem selbst und man darf damit machen, was man will.

Eine andere überholte Sache ist die des perfekten Mannes, der alles abdecken muss. Der mal ein Vater ist, manchmal die beste Freundin, der sich für Sternzeichen interessiert, gerne tanzen geht und Frauenfilme mitanschaut. Das halte ich für einen extremen Druck auf Frauen oder Männer, dass alle Bedürfnisse einer Person in der anderen zu finden sein müssen.“

Monogamie wird auch ein Thema in eurem Podcast sein, genau wie Kindererziehung, Sex, das Testament, Geld oder Selbstbefriedigung. Auf welches freust du dich am meisten und wo könnte es am meisten Konfliktpotential geben?

„Am meisten freue ich mich auf die Folge, in der wir über die Themen Eifersucht und Fremdgehen sprechen. Da das eine Beziehung so doll erschüttern kann und wenn wir da so richtig, richtig reingehen, dann wird es glaube ich abgehen. Allgemein interessiert mich bei dem Podcast viel mehr, wo wir uns bisher nur geeinigt haben, dass wir uns nicht einig sind. Ich finde es super langweilig, wenn ein Paar sagt, das und das haben sie gut gemacht – wen interessiert’s? Ich wünsche mir Tränen, Wut, Streit und könnte mir vorstellen, dass es laut wird und eine*r in Wut rausgeht.“

Es ist für dich also sehr wichtig als Paar gut streiten zu können?

„Auf jeden Fall! Ich bin eine große Anhängerin von Therapien – nicht unbedingt immer die teuren, die sich die meisten nicht leisten können. Sondern man kann auch online viele Sachen lesen, ein Buch von einem*r Therapeut*in lesen oder es gibt verschiedene Möglichkeiten zur Selbsthilfe, bei denen man lernt zu streiten. Dabei lernt man so ganze billige Trick, wie mit Ich-Botschaften zu arbeiten anstatt ,du machst immer‘ oder das Haus zu verlassen, anstatt sich anschreien zu lassen.“

Gibt es noch andere Lektionen, die du aus der Therapie mitgenommen hast?

„Ja also zum Beispiel gibt es Krisen, die immer wieder vom gleichen Thema ausgelöst werden. Nehmen wir beispielsweise eine*n Expartner*in, der*die immer wieder in die neue Beziehung reinspielt. Dann würde man einfach streiten, kommt nicht an einem Punkt zusammen und dreht sich im Kreis. Geht man zu einem*r Paartherapeut*in, dann wird das Thema Ex-Beziehung zum Tabu erklärt und man darf nur in der Therapie darüber reden, wenn es moderiert ist und jemand als Schiedsrichter*in erklärt, was der*die andere eigentlich meint. Dann ist das Paar erstmal richtig befreit, wie als wäre ein Tumor raus operiert worden.“

Bei euch wirds ja keine*n Schiedsrichter*in oder eine  andere dritte Person geben, die mal dazwischen gehen würde – könnte das fatal werden?

„Mittlerweile haben wir ja auch gelernt, gut zu streiten und, dass es nur um die Sache geht. Wir stellen nicht mehr alles komplett in Frage. Früher war es wirklich so, dass wir gesagt haben ,ich hasse dich, ich liebe dich nicht mehr, ich geh weg‘. Jetzt sagen wir Sachen, die wir wirklich meinen und es kann immer noch hoch her gehen. Aber wir brauchen keine*n Schiedsrichter*in mehr.“

Gab es Lektionen aus der Therapie oder durch deine Ehe, die deine Vorstellung von der Liebe geändert haben?

„Ja total. Ich bin, ist ja logisch, eine ziemlich dominante Person in einer Beziehung und damit muss ich sehr aufpassen. Viele Personen, nicht nur ich, sondern auch andere Frauen oder Männer in einer Beziehung, verlieben sich in jemanden, der ganz anders ist als man selbst. Dann will man die Person nach und nach zum eigenen Gusto verändern. Wenn man es dann geschafft hat, diese Person so lange zu verändern wie man wollte, dann verlässt man sie sofort, weil sie langweilig ist. Das war eine Erkenntnis für mich, weil ich meinem Mann so viele Sachen verboten habe, die ihn ausmachen. Jetzt muss ich das wieder erlauben und eine Rolle rückwärts machen. Man sollte den*die Partner*in nicht verändern, weil man sich in den Menschen ja verliebt hat, so wie er*sie war.“

Würdest du sagen, dass jedes Paar einmal die Woche für eine Stunde frei von der Seele reden sollte? Also einen eigenen kleinen Podcast als Paartherapie?

„Ich habe im Zuge vom Podcast viel über Paartherapie gelesen und die meisten Paare holen sich durchschnittlich sechs Jahre zu spät Hilfe und vielleicht ist dann schon nichts mehr zu retten, weil sie alles schon vermurkst haben. Und im Durchschnitt sprechen Paare sieben Minuten pro Woche. Ist das nicht schrecklich? Dafür ist ja eine Stunde Podcast bahnbrechend.“

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