Die französische Psychotherapeutin Christel Petitcollin hat einen Ratgeber für mental hocheffiziente Menschen geschrieben, die mit der Dominanz ihrer rechten Gehirnhälfte oftmals Probleme im Alltag haben. In einem Buchauszug erklärt die Expertin, wie sensible Menschen sich in Beziehungen vor Narzissten schützen können.
Mentale Hocheffizienz
Etwa 30 Prozent aller Menschen haben eine dominante rechte Gehirnhälfte. Die Psychotherapeutin Christel Petitcollin beschreibt in ihrem Buch „Ich denke zu viel: Wie wir das Chaos im Kopf bändigen können“, welche Hürden diese Menschen, die sie „mental Hocheffiziente“ nennt, in ihrem Alltag meistern müssen. Denn ihre ausgeprägte Wahrnehmungsfähigkeit und ein ständig aktiver Geist führen zu Missverständnissen mit „Norm-Denkern“ – doch auf der anderen Seite können ihre Eigenschaften auch enorm bereichernd sein. Im Buch zeigt sie, wie mental hocheffiziente Menschen, die von anderen auch als „hochbegabt“ oder „hochsensibel“ beschrieben werden, ihre Talente am besten nutzen können und ihre typischen Probleme leichter umgehen können.
Zu diesen Problemen gehört laut Petitcollin auch, dass mental hocheffiziente Menschen in Beziehungen häufiger ausgenutzt werden und besonders oft Beziehungen mit Narzissten eingehen. Zu diesem Thema veröffentlichen wir hier einen Buchauszug der Autorin.
Jede Menge Raum für Strippenzieher
Mental hocheffiziente Kinder und Erwachsene haben eine seelische Struktur, die sie stark beeinflussbar macht. Ihre identitäre Leerstelle ist ein gefundenes Fressen für Manipulatoren. Mental Hocheffiziente sehnen sich so sehr nach tiefen, innigen und warmherzigen Beziehungen und sind gleichzeitig selbst so aufrichtig, dass sie die plumpen Schmeicheleien und kalkulierten Freundlichkeiten manipulativer Menschen einfach nicht als solche erkennen. Auch gehen ihnen die meisten dieser Manöver viel zu schnell vonstatten. Und der Manipulator verbirgt sich sehr geschickt hinter einer Maske, die genau auf sein Gegenüber zugeschnitten ist. Mental Hocheffiziente fühlen sich von der Welt gewöhnlich unverstanden und suchen daher nach ihrem Seelengefährten. Im Manipulator glauben sie ihn endlich gefunden zu haben. Ein Gleichgesinnter, der sie akzeptiert, wie sie sind, und den sie daher nie mehr missen wollen. Dass die Beziehung mit der Zeit immer mehr belastende Züge annimmt, fällt dem mental Hocheffizienten in der Regel gar nicht auf. Er will den anderen ja nur verstehen und stellt sich dabei gern selbst infrage. Seine Neigung zum mäandernden Denken kommt ihm auch hier in die Quere. Lieber überlegt er stundenlang, wie ein Satz gemeint gewesen sein könnte, als den Kontakt abzubrechen, weil der andere sich grob danebenbenommen hat. Sein Harmoniebedürfnis lässt ihn auf sämtliche Erpressungsversuche des an- deren, der etwa mit einer Verschlechterung der Beziehung droht, bereitwillig eingehen. Und seine natürliche Neigung zu Schuldgefühlen verleitet ihn dazu, die Verantwortung für sämtliche Dissonanzen zu übernehmen. So füllen die Projektionen des Manipulators allmählich die identitäre Leere des mental hocheffizienten Menschen, und dieser ist früher oder später davon überzeugt, dass er den anderen manipuliert, da er ja das Problem in der Beziehung ist. Es ist nicht schwer, ihn dies glauben zu machen, denn schließlich verbringt er schon sein ganzes Leben in diesem Bewusstsein.
Erstaunliche Komplementarität
Ich bin sicher, dass Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung mental Hocheffiziente hassen, weil sie in allem ihr exaktes Gegenstück sind. Narzissten wünschen niemandem etwas Gutes. Sie sind misstrauisch, griesgrämig, feige und hohl. Wie sollten sie jemanden schätzen können, der von Natur aus allen Menschen Gutes will, der seine Mitmenschen liebt, ihnen vertrauensvoll und fröhlich begegnet, der immer wieder enormen Mut an den Tag legt und so durch und durch lebendig ist wie der mental Hocheffiziente? Manipulatoren haben sich darauf spezialisiert, anderen ihr Leben zu stehlen. Sie treten deren Werte mit Füßen. Sie können nicht anders, als alles zu beschmutzen und kaputtzumachen, worin sich die Liebe zum Leben spiegelt.
Meiner Ansicht nach besteht zwischen den Narzissten und den mental Hocheffizienten dieser Welt eine erstaunliche Komplementarität. Sie sind wie zwei einander ergänzende Puzzlestücke, nur dass das eine weiß ist und das andere schwarz. Hier begegnen sich Engel und Dämon. Daraus erwächst ein ungleicher und erbarmungsloser Kampf zwischen Gut und Böse, Leben und Tod – ein Kampf zwischen einem durch und durch berechnenden Menschen und seinem arglosen Gegenstück.
Ein Beispiel: Zu Beginn dieses Buches haben wir mental hocheffiziente Menschen als höchst sensibel kennengelernt. In meinem letzten Buch habe ich von einem Narzissten berichtet, der das unmittelbare Umfeld seines Opfers mit Geräuschen, Gerüchen und der ganzen Palette seiner Präsenz füllte, nur um es auf diese Weise in den Wahnsinn zu treiben. Tatsächlich ist es nicht schwer, einen hochsensiblen Menschen derart mit Sinneseindrücken zu überfluten, dass er die Waffen streckt. Bei normal sensiblen Menschen wäre dies natürlich viel schwieriger, da sie die Reizüberflutung einfach ausblenden können.
Wie Narzissten ihren Partnern schaden
Ein anderes Beispiel: Weiter vorn haben wir erfahren, dass mental Hocheffiziente häufig einen leichten Schlaf haben. Manipulatoren (beispielsweise in Sekten) versuchen nun als Erstes, ihren Opfern den Schlaf zu rauben. Manchmal brechen sie kurz vor dem Schlafengehen einen Streit vom Zaun. Und schon läuft die Gedankenmühle des Hocheffizienten an. Resultat: Er findet keinen Schlaf. Der Manipulator aber wirft sich im Bett hin und her, schnarcht, macht das Licht an, schlägt mit den Türen… (ja, das ist Absicht!) Die ständig aktive Amygdala des Hocheffizienten sorgt dann dafür, dass er sofort aufschreckt und enorme Probleme hat, wieder einzuschlafen. In derart missbräuchlichen Beziehungen ist Schlafmangel einer der schlimmsten Risikofaktoren für einen Suizid, weil er den Serotoninspiegel absacken lässt.
Doch es finden sich auch auf anderen Ebenen komplementäre Verhaltensweisen und Charakterzüge. Der Narzisst ist hinterhältig, verlogen und böswillig. Der mental Hocheffiziente hingegen ist aufrichtig, ehrlich bis zur vollkommenen Transparenz und von einem fast schon schädlichen Wohlwollen der Menschheit gegenüber erfüllt. Der Narzisst hingegen ist selbstsicher und duldet keinen Widerspruch. Wird er dennoch angegriffen, geht er sofort zum Angriff über. Ein mental Hocheffizienter zweifelt ständig an sich selbst, ist wenig selbstsicher und neigt dazu, sich immer wieder infrage zu stellen. Man könnte die Liste beinahe endlos fortführen. Eben weil sie so erstaunliche Parallelen zeigt, bin ich zu dem Schluss gelangt, dass Narzissten sich vorzugsweise mental Hocheffiziente als Opfer suchen. In meiner Praxis zeigt sich das jedenfalls immer wieder. Wenn jemand zu mir kommt, weil er im Privat- oder Berufsleben Opfer von Mobbing oder sexueller Belästigung geworden ist, stellt sich meist heraus, dass es sich bei diesem Menschen um einen mental Hocheffizienten handelt, der nicht weiß, wie er mit so viel Bosheit umgehen soll, abgesehen davon, dass Feindseligkeit oder gar bewusste Sabotage schon als Konzept für ihn völlig unvorstellbar sind.
Ein falsches Selbst als dienstbarer Geist
Was hindert den mental Hocheffizienten daran, aus einer der- art schädlichen Beziehung auszubrechen? Meist ist es sein falsches Selbst. Wir haben bereits gesehen, dass diese Instanz beim mental Hocheffizienten darauf programmiert ist, allen zu gefallen. Und dieser Mechanismus macht sich in der Regel selbstständig. Für einen Narzissten tut sich hier ein wahres Paradies auf. Diese Sorte Mensch genießt es, ihre Macht auszutesten und ihr Opfer auf die Palme zu bringen.
Kaum äußert der Narzisst einen Wunsch, zerreißt sich der mental Hocheffiziente förmlich, um ihn zu erfüllen. Es ist, als hielte der Narzisst einen Zauberstab in der Hand! Ein mental hocheffizienter Mensch läuft bis zur Erschöpfung im Hamsterrad der narzisstischen Wünsche und merkt gar nicht, dass sich die geäußerten Wünsche widersprechen. Normale Menschen ziehen hier schnell eine Grenze, sodass der Narzisst keine Chance mehr hat. Tatsächlich respektiert dieser nur Grenzen, auf die man ihn gleichsam mit der Nase stößt. Das Opfer aber hat den Zeitpunkt zum Grenzensetzen längst verpasst. Um einen Narzissten in die Schranken zu weisen, muss man das eigene falsche Selbst abschalten, und dann heißt es: Auf in den Kampf! Man muss auf Höflichkeit und Diplomatie verzichten und sich klarmachen, dass es hier keinen Kompromiss geben kann. Einem Narzissten kann man nur mit Härte entgegentreten. Und man muss wissen, wie man Druck auf sein Gegenüber ausüben kann. Man muss jede Diskussion von sich weisen, sich begriffsstutzig geben und mitunter sogar drohen. All das ist dem mental Hocheffizienten einfach unmöglich. Es widerspricht seinem Bedürfnis nach Frieden und Harmonie. Kurz gesagt: Um sich dem manipulativen Zugriff eines Narzissten zu entziehen, muss man seine Sprache sprechen. Und das ist in der Persönlichkeit eines mental hocheffizienten Menschen einfach nicht angelegt. Denn selbst wenn er sich auf diese Weise dem Würgegriff des Narzissten entziehen könnte, hätte er Schwierigkeiten, ein derartiges Verhalten mit seinem Selbstbild in Einklang zu bringen.
Wie wappnet man sich gegen narzisstische Übergriffe?
Damit Sie als mental Hocheffizienter nicht mehr zur wehrlosen Beute von Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung werden, müssen Sie sich vor allem eines klarmachen: Das Böse existiert. Das ist allerdings nicht so ganz einfach! Für einen mental hocheffizienten Menschen ist alle Welt im Grunde gut. Niemand ist jemals freiwillig böse. In der Welt mental Hocheffizienter gibt es weder Hass noch Eifersucht oder Groll. Wenn jemand böse ist, dann wohl nur, weil andere ihn schlecht behandelt haben. Doch die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung, die Sie hier sehen, stimmt so nicht. Natürlich wären Sie als mental Hocheffizienter sehr unglücklich, wenn Sie zu einem »bösen« Verhalten gezwungen wären. Doch wie Sie es auch drehen und wenden, aus Ihrem Unglück wird nie und nimmer Bösartigkeit erwachsen. Manipulatoren hingegen sind tatsächlich böse, ja sogar grausam. Und sie haben überhaupt nichts dagegen, ganz im Gegenteil. Ihre Bosheit und die Illusion der Allmacht, die ihnen ihr Verhalten gibt, berauschen sie geradezu. Wenn sie lügen und anderen wehtun, fühlen sie sich stark und intelligent. Das versetzt sie in einen Freudentaumel. Noch schwieriger ist es, einem mental Hocheffizienten beizubringen, dass Narzissten lügen und für niemanden etwas empfinden. Er hat seine liebe Not mit der Vorstellung, dass das gesamte Verhalten des Narzissten kalkuliert könnte sein, auch seine angebliche Verzweiflung oder die innige Liebe, die er zur Schau stellt. Meine mental hocheffizienten Klienten werfen mir immer wieder an den Kopf, ich sei böse, nur weil ich von der Existenz derart böswilliger Menschen ausgehe.
Ich weiß, dass es Ihnen Angst macht, solchen Leuten zu sagen: Bis hierher und nicht weiter! Doch tief drin wissen auch Sie, dass irgendwann Schluss sein muss mit freundlich. Es gibt auf der Welt eben nicht nur nette und gutwillige Menschen. Wie ich bereits sagte: Man begegnet einem Kätzchen nicht genauso wie einem Tiger. Bisher haben Sie Ihrer Umwelt immer emotionale Blankoschecks ausgestellt. Freundlichkeit ist für Sie schließlich selbstverständlich. Es käme Ihnen merk- würdig vor, nicht automatisch zu allen Leuten nett zu sein. Doch an gewissen Punkten müssen wir sozusagen auf manuelle Steuerung umschalten. Freundlichkeit will verdient sein.
Das eigene Verhalten hinterfragen
Ich habe hier einige Fragen zusammengestellt, die Sie sich stellen sollten, wenn Sie das Maß Ihrer Freundlichkeit festlegen wollen:
Haben Sie Ihre Nettigkeit schon öfter bereuen müssen? Fragen Sie sich also: »Bis zu welchem Punkt bin ich noch nett? Wo fängt mein Verhalten an, dumm zu werden?«
Diese Linie wollen wir noch ein wenig weiterverfolgen:
»Bis zu welchem Punkt bin ich noch nett? Wo fängt mein Verhalten an, unterwürfig zu werden?« Anders gesagt: »Wo lasse ich mich von jemandem herumkommandieren, weil mein falsches Selbst es so will? Und wo höre ich auf, mich selbst zu achten?«
Was ist mit Ihrer Angst vor Konflikten? Fragen Sie sich: »Bis zu welchem Punkt bin ich einfach nur nett? Und wo fange ich an, feige zu sein? Wo gewinnt meine Angst vor Konfrontation die Oberhand?«
Und noch eine Frage ist in diesem Zusammenhang von Interesse:
»Hat dieser Mensch meine Freundlichkeit verdient?«
Erinnern Sie sich noch an diesen hübschen kleinen Satz, der Ihrem wahren Selbst Raum zum Atmen gibt? »Ach, das passt mir gerade überhaupt nicht!« Das ist der Beginn einer gesunden Selbstbehauptung.
Befreien Sie sich aus schädlichen Beziehungen!
Leider muss ich Ihnen noch eine Illusion rauben. Nein, nicht jeder Mensch kann sich ändern. Es ist sogar höchst gefährlich, böswilligen Menschen eine zweite Chance zu geben. Ein Manipulator wird sich nicht ändern, selbst wenn Sie ihm mit aller Liebe und Geduld der Welt begegnen. Zum einen, weil solche Menschen stolz auf sich sind. Schließlich sind in ihren Augen alle doof, nur sie nicht! Zum anderen, weil das Denken dieser Menschen sämtliche Kritik ausblendet. Sie halten sich für vollkommen. Probleme machen immer nur die an- deren. Wenn sie versprechen, sich zu ändern, dann tun sie das nur, um Sie einzulullen. Wenn ein mental hocheffizienter Mensch dies nicht merkt, können sie ihn munter weiter am Gängelband führen. Es ist schwer, sich einzugestehen, dass ein Mensch, von dem man glaubt, dass er Hilfe braucht, sich nicht helfen lassen will. Und es ist ebenso schwer, sich einzugestehen, dass dieser Mensch mit einem macht, wozu er gerade Lust hat. Aber ich versichere Ihnen: Die einzig vernünftige Lösung in der Beziehung zu einem manipulativen Menschen ist, sich von ihm zu lösen!
Der weitaus heimtückischste Fallstrick in solchen Beziehungen ist jedoch die Sucht des mental hocheffizienten Partners nach intellektuellen Reizen. Wie oft habe ich von meinen Klienten gehört, was sie an dem Narzissten, der sie ausbeutet, am meisten fasziniere, sei dessen scheinbare Komplexität. Endlich eine Herausforderung, die ihres nach Schwierigkeiten süchtigen Gehirns würdig ist! Und so lassen mental Hocheffiziente sich immer wieder von ihrer eigenen Intelligenz einwickeln. Sie merken nicht einmal, dass da keine Komplexität ist. Den Narzissten, mit dem sie es zu tun haben, stört es nur einfach nicht, wenn er sich beim Lügen ständig selbst widerspricht. Daher gibt es letztlich nur ein Mittel, um sich gegen solche manipulativen Machenschaften zu wehren: Akzeptieren und würdigen Sie endlich Ihre außergewöhnliche Intelligenz!
Christel Petitcollin: Ich denke zu viel: Wie wir das Chaos im Kopf bändigen können. Erschienen im Arkana Verlag, 256 Seiten, 16 Euro.
Titelbild: depositphotos.com
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