In ihrer Twentysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche über das komplizierte Datingverhalten von Menschen um die 30.
Dates mit 30: Wir benehmen uns wie angsterfüllte 15-Jährige
Ich sag euch was: Ich bin 29 Jahre alt, und die Sache mit dem Dating war zuletzt so kompliziert, als ich 15 war. Und nun möchte man von einem schrecklichen Einzelfall ausgehen, mir den Schwarzen Peter zuschieben, weil ich mich dumm anstelle oder so, und ich würde sofort zustimmen – aber ich stehe damit nicht alleine da. Nein, um mich herum hagelt es komplizierte Dates, Affären, Fast-Affären, Beziehungen, Fast-Trennungen und Trennungen, und alle Beteiligten sind um die 30, etwas älter – oder eben sehr jung. Kein Wunder eigentlich, denn als 15-Jährige, da wussten wir noch nichts von der Materie, also lief alles nach dem Prinzip Trial-and-Error ab. Heute haben wir zu viel Ahnung von der Materie – und jetzt haben wir vor Trial-and-Error zu viel Schiss. Dabei ist das auch jetzt noch der einzige Weg, um herauszufinden, ob jemand zu einem passt oder nicht. Tolle Wurst.
Es ist also verzwickt. Warum nur, denn hat man uns nicht immer vorgeschwärmt, dass das Tolle am Älterwerden sei, dass wir endlich weise werden? Kann ja stimmen. Stimmt aber (noch) nicht mit 30. Und stimmt wahrscheinlich nie in Liebesdingen. Weil auch mit zunehmendem Alter immer noch der hibbelige, aufgeregte Teenager in uns steckt – nur eben mit mehr emotionalem Gepäck auf dem Rücken. Mit einem Herzen, das schon ein paar Mal angeknackst oder komplett in der Luft zerrissen wurde. Mit Wunden, die dir nur jemand zufügen kann, den du ganz nah an dich herangelassen hast. Mit dem Wissen, wie gut und wie schlecht du selbst in Liebesdingen funktionierst. Dem Wissen, dass Beziehungen sich immer verändern, viel Arbeit sind und Kraft kosten – und dass das schön und schlimm zugleich ist. Mit Beziehungen, die groß waren und dann ganz klein wurden. Oder groß blieben, meist dann aber nur für einen und trotzdem beerdigt werden mussten. Und dass sich das auf beiden Seiten beschissen anfühlt. Naja, und mit dem Wunsch, dass da nun endlich was um die Ecke kommt, das vernünftig ist. Oder ganz toll unvernünftig und trotzdem hält – oder gerade deshalb. Mit der Sehnsucht nach jemandem, mit dem man das Ende noch nicht sehen kann. Jemandem, mit dem man gemeinsam auf die nächste Stufe springen will. Tja, und da haben wir den Salat.
Dating mit Menschen, von denen wir ganz viel wollen – oder eben gar nichts
Denn auf der Suche nach dieser Person guckt man sich das Gegenüber ganz anders an als die potenziellen Kandidaten von früher. Die mussten was können, aber mussten nicht zwingend auch was für unser Future-Me sein, geschweige denn heirats-, auswander- oder kinderwillig. Und sie mussten nicht aushalten können, was andere oder man selbst vorher an sich kaputtgemacht hat. Da war es auch komplett egal, ob jemand eine Katzenhaar-Allergie hat– schließlich waren gemeinsame Tiere ebenso fern wie gemeinsamer Nachwuchs. Nein, diese potenziellen neuen Herzensmenschen hat man einfach mal so an- und ins eigene Leben mitgenommen, ohne sie kruden Tests auf Eignung zu unterziehen. Ohne nach dem zweiten Date schon die halbe Lebensgeschichte kennen zu müssen oder zu wissen, warum die Beziehung zur Familie so komisch ist.
Die hat man angenommen, ohne die Hosen vor dem voll zu haben, was eventuell, vielleicht passiert. Die musste man auch nicht schnell an sich binden, um sich selbst zu vergewissern, dass das was Echtes ist. Die hat man noch wochenlang entzückt angekuckt, mit dummen, glänzenden großen Augen samt rosaroter Brille – statt sich gleich die des Psychoanalytikers aufzuziehen und mit dem Durchleuchten zu beginnen. Früher waren Rätsel aufregend, heute lösen sie Panik aus. Tja, so ist das. Und das macht es wohl auch so kompliziert.
Herzensmenschen lernt man nicht mit angezogenen Zügeln kennen
Dabei ist es doch so: Auch wenn wir versuchen, nichts mehr falsch zu machen und alle Eventualitäten schon vorher abzuklären, wir werden wieder Unfälle bauen. Wird sich unser Herz wieder überschlagen, vielleicht auch wieder zusammenziehen, bis es kaum noch da ist und dann wird es sich, wie durch ein Wunder, wieder voll aufpumpen und für eine Weile so tun, als ob nichts gewesen wäre – bis es wieder von vorne losgeht. Denn so ist das eben mit der Liebe. Und eigentlich wäre es auch ziemlich fatal, wenn es nicht so wäre.
Genau deshalb ist es auch Schwachsinn, einen Graben um sich zu ziehen, weil man sich unangreifbar machen will. Schließlich verletzen wir uns damit nur selbst. Oder zu versuchen, einen Menschen schon vor dem zweiten Getränk zu verstehen, geschweige denn, sich bekloppt zu machen, weil man doch so viel will und nicht weiß, ob der andere da mitzieht. Wenn Menschen zusammentreffen und Hormone mit ins Spiel kommen, ist Sicherheit immer eine Illusion. Aber was soll’s, eigentlich fängt es doch gerade mit diesem Wissen an, Spaß zu machen. Denn so sehen sie aus, die Abenteuer in unserem sonst so geregelten Leben, bei denen wir auf einmal wieder ganz bewusst spüren, wie das Blut durch unsere Adern pumpt.
Warum glotzen wir uns also nicht wieder dumm und mit glänzenden Augen an und warten einfach mal ab, was passiert? Denn mit angezogenen Zügeln ist doch selbst die beste Begegnung nur eine fade Version von dem, was sie sein könnte.
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