Unsere Community-Autorin Meike Neitz ist nach langer und glücklicher Zeit als Single zum ersten Mal in einer festen Beziehung. Und stellt fest: Der Abschied vom Alleinsein fällt gar nicht so leicht …
Ich war immer unabhängig
Nichts ist so leicht und so schwer wie die Ziehharmonika des Zusammenseins. Meine ganze Jugend bin ich als Single durch das Leben gewirbelt. Und ich räume, frei nach dem berühmten chilenischen Schriftsteller und Poeten Pablo Neruda, ein: „Ich bekenne, ich habe gelebt.” Ja, ich hatte ein Leben vor meiner Beziehung. Das war frei und abenteuerreich und ein bisschen wild.
Ich habe gefeiert, getanzt, ich habe geflirtet, gelacht, fremde Lippen geküsst, fremde Haut gespürt, mich von kräftigen Armen umschlingen lassen. Niemals exzessiv, niemals unbedacht, niemals es jemandem zu „leicht“ gemacht. Jedes Mal war es eine Eroberung, jedes Mal ein Spiel der Annäherung, des Entdeckens eines möglichen Potentials. Über das Gefühl des Verliebtseins ging es nicht hinaus.
Die Liebe, für mich ist sie ein so rares, gewichtiges Ding. Sie blieb fern. Vielleicht weil ich ihr keine Chance gab, vielleicht weil ich sie nie nah genug kommen ließ. Vielleicht war aber auch der Richtige einfach nicht dabei. Ich war nicht traurig darüber. Im Gegenteil: Ich genoss die Freiheit. Ich erlebte die Streitigkeiten der anderen Beziehungen. Ich war Zeugin der unentwegten Höhen und Tiefen der Liebespaar-Achterbahn meiner Freundinnen. Ich erlebte das Auseinandergehen nach zwei bewegten Jahren, Trennungen nach zehn langen oder im verflixten siebten Jahr. Wie viel Zeit mir doch bleibt, dachte ich. Und lebte weiter mein eigenes kleines Abenteuer.
Und plötzlich war da jemand, der nicht mehr gehen sollte
Bis er plötzlich kam – und blieb. Gefühle auslöste, die neu waren. Zuneigung, Eifersucht, Zärtlichkeit. Mir aber auch Gefühle entgegenbrachte, die mich in der Intensität überwältigten, streckenweise überforderten. Ich genoss die wunderschönen Stunden meines neuen Glücks, doch kämpfte trotzdem oft genug mit dem Gefühl der persönlichen Freiheitsberaubung durch jemanden, der mich einfach nur lieben wollte. Doch auch der Abschied vom Alleinsein will gelernt sein.
Also, hallo Beziehung. Die Bindungsfreudigen spüren vielleicht nur den Aufbruch, die Freude der neuen Gemeinsamkeit, den neuen Zusammenhalt der Beziehung. Für mich, die früh und lange allein durch die Welt gezogen ist, diese Welt mit meiner leicht naiven und stets unbeschwerten Art unsicher machte, die es gewohnt war, stets nur nach meiner eigenen Nase zu tanzen, für mich war es ein großer Abschied in eine ungewohnte Zeit zu zweit. Wie viel ist man zu zweit zusammen? Oder wie oft, wenn man zusammen ist, allein? „The noble art of letting go“ heißt eins meiner Lieblingslieder eines kaum bekannten Künstlers. So wahr.
Wider gesellschaftlicher Beziehungsnormen
Ich war verliebt. Das erkannte ich. Aber ich löste mich trotzdem nur schwerlich, zögerlich, vielleicht ein bisschen ängstlich von meinen alten Gewohnheiten. Ich musste lernen, Platz einzuräumen, Kompromisse einzugehen. Ich musste lernen zu entscheiden: Wie viel von mir gebe ich? Wie viel braucht er von mir? Alles? Wie viel bekomme ich zurück? Wie eng zusammen bedeutet dieses neue Zusammensein? Wie viel Freiheit behalte ich für mich? Ich merkte, wie wichtig es ist, hier Vorstellungen von gesellschaftlichen Normen komplett auszublenden. Es gibt kein Patentrezept wie intensiv, wie unabhängig, wie nah eine Beziehung gelebt werden muss. In meinem Fall war es kein Liebesrausch. Es war eher ein langsamer, dafür ein sehr schöner und bewusster Prozess.
Es ging und geht immer darum, die Balance der Freiheit zu finden. Und nach dem Kennenlernen, nach dem Feststellen, dass man gemeinsam etwas aufbauen und zusammensein möchte, den Absprung aus dem Singleleben zu finden. Der, und das gebe ich gerne zu, mir eben auch Angst machte. Natürlich würde ich die spontanen Weggehabende vermissen, die Unabhängigkeit, tun und lassen zu können was ich wollte, keine Rücksicht auf eine andere Person nehmen zu müssen. Die faulen Filmabende mit kitschigen Liebesfilmen, das unaufgeräumte Schlafzimmer, der Kühlschrank, dessen Inhalt eine normal-kochende Person vor Verzweiflung bestimmt gleich zum nächsten Supermarkt rennen lassen würde.
Im Tausch das große Glück der Zweisamkeit
Das soll nicht heißen, dass ich mir nicht bewusst war und bin, wie unglaublich großes Glück diese Liebe ist. Wie viele schöne gemeinsame Momente und neue Angewohnheiten, uns der Aufbruch in die Beziehung auch geben würde. Doch kann man trotzdem nicht behaupten, dass wir von Anfang an auf einer Wellenlänge oder im gleichen Tempo des Beziehungslebens waren. Er wollte mehr, ich fürchtete den Kontrollverlust, die volle Hingabe, die Emotionen. Ich versuchte wegzurennen, bloß zurück in mein geliebtes und geschütztes Alleinsein – aber ich kam sofort zurück.
Wir stritten, wir liebten. Wichtig war: Nie zweifelte ich daran, dass es das war. Nur das „wie“ und „wie viel“, das muss jede Beziehung für sich selbst herausfinden. Die goldene Mitte? Sie liegt eben nicht da, wo meine Komfortzone ist. Sondern außerhalb. Dort, wo dieser Komfort – wenn alles gut läuft – hin navigiert und wo sich dieser dann allmählich ausbreitet. Wie lange dieser Prozess dauert, auch das wird immer eine individuelle Frage sein. Es darf ruhig dauern. Wie viel Zeit hat man nicht doch gemessen daran, wie viel des „gemeinsam“ noch vor einem liegt?
Wenn man einen starken Partner hat, einen geduldigen und selbstbewussten Partner, wird er warten, wird er einem auf dem Weg unterstützen, ohne zu stark zu fordern. Er wird wissen, dass Druck nur mehr Gegendruck erzeugt. Denn: Wenn du etwa liebst, so lass es los – wenn es dich liebt … In Vorfreude auf eine gemeinsame Zeit.
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