Foto: Emma Frances Logan | Unsplash

Liebe: Sich an jemanden binden heißt nicht, seine Freiheit aufzugeben

Wieder jemand, der eigentlich gerade nicht so richtig in dein Leben passt? Ein Plädoyer für das Trotzdem.

Bloß keine Verbindlichkeit 

Überall steht’s: Wir sind beziehungsunfähig. Statt auf innige Partnerschaften, stehen wir auf Vintage-Rennräder. Wir schlürfen regionales Bio-Bier, kochen mit Ziegenkäse und Baby-Leaf Salat. Wir mögen tiefsinnige Unterhaltungen, hashtaggen bei Instagram mit ganz viel Selbstironie, lesen klassische Weltliteratur, Indie-Magazine, Online-Blogs. Wir trinken unser Bier am Kiosk an der Ecke, lassen uns die teure Tarte im Szenecafé schmecken, gehen ins kleine Kulturkino, zu Ausstellungen, die unsere Subkultur ironisieren, tragen Second Hand oder wenigstens den Sneaker im Retrolook. Wir gehen auf Konzerte – auf die großen, weil man gesehen haben muss, und die kleinen, weil sie so intim sind. Wir lieben unseren Job, kreuzen um zehn, halb elf in der Agentur auf und gehen erst um 20 Uhr – weil‘s uns Spaß macht. Weil‘s Hobby, Interesse, Berufung ist. 

Und irgendwann ziehen wir weiter. Weil wir mehr können, mehr wollen. Keine festen Verträge, keine festen Pläne. Und wir haben Freunde, viele Freunde. Party-Freunde, mit denen wir regelmäßig den Sonnenaufgang sehen. Mitbewohner-Freunde, mit denen wir bei einer Flasche Wein die Zeit vergessen. Kaffee-Trink-Freunde, mit denen wir stundenlang im Café sitzen und über das Leben sinnieren. Facebook-Freunde, die mit uns angesagte Veranstaltungen teilen. Kollegen-Freunde, mit denen wir auch nach dem Jour fixe noch tischkickern. Xing-Freunde, die uns irgendwann mal was nützen. Heimat-Freunde, mit denen wir unsere Jugend und die Weihnachtsfeiertage teilen. Kultur-Freunde, mit denen wir über Flohmärkte schlendern und über Kunst-Performances lästern.

Wir ticken scheinbar alle ähnlich, aber doch niemals gleich. Der Richtige ist nicht dabei. Weil wir glauben, dass es immer jemanden gibt, der besser zu uns passt, der uns mehr erfüllt. Weil er im jetzigen Moment genau dieselben Ziele und Wünsche ans Leben stellt, weil er uns nicht einengt, uns leben lässt. Weil wir für ihn nichts aufgeben müssen. Wir sind genug damit beschäftigt, unser Leben so individuell wie möglich zu gestalten. Bei so viel „Ich” bleibt keine Zeit für ein „Wir”. Selbstverwirklichung im Beruf, im Geist, im Netz. Ego-Taktiker, Millennials, Y-er – aber Hauptsache wir sind individuell.

Endreihenhaus mit Vorgarten

Fahren wir in die Heimat, in die Kleinstadt, in die Siedlungen der Einfamilienhäuser und Vorgärten, sieht unsere Generation plötzlich ganz anders aus. Menschen, genauso alt wie wir, dieselben Wurzeln, dieselbe Vergangenheit, aber ein anderes Jetzt, eine andere Zukunft. Solider Ausbildungsweg, solider Job, solide Wohnung, solides Auto, solides Leben, vermeintlich solide Beziehung. Spießer!

Irgendwo zwischen den daheimgebliebenen Reihenhaus-Käufern und den urbanen Anti-Hipster-Hipstern muss sie doch wirklich sitzen, unsere Generation. Vorm iMac in der Szene Agentur oder dem Kinderwagen in der Kleinstadt. Und wenn sie da nicht sitzt, dann steht sie vermutlich irgendwo dazwischen, am Scheideweg. Zwischen subkulturell und spießig. Zwischen Urbanität und Kleinstadt. Zwischen Erfüllung suchen und einfach mal zufrieden sein. Zwischen MDMA und Mama. Und zwischen beziehungsunfähig und verheiratet.

Das neue Risiko: Festlegen

Zwischen Schwarz und Weiß gibt es auch noch viele Graustufen. Ein bisschen spießig, ein bisschen extravagant, ein bisschen sicher, ein bisschen unberechenbar. Am Scheideweg steht’s sich ganz gut, denn da steht man nicht allein. Im Grau tummeln sich die, die nicht gleich eine Wohnung kaufen, weil sie einen festen Arbeitsvertrag in der Tasche haben. Die, die ihre Selbstverwirklichung nicht aufgeben, weil sie sich plötzlich verlieben. Oder die, die ihre Beziehung nicht aufgeben, nur weil sie auf einem Selbstfindungstrip sind. Es sind die Menschen, die sich für etwas entscheiden. Die sich wagen, risikobereit sind. Nicht im Job, sondern in der Liebe. Den anderen ins Herz lassen, obwohl die lange Reise ansteht, obwohl die neue Stadt wartet, obwohl er eigentlich nicht ihr Typ ist. Die endlich mal jemand anderem als nur sich selbst vertrauen. Und die Verluste riskieren.

Beziehungsfähigkeit ist, was wir daraus machen. Das, was wir zulassen. Ohne uns selbst dabei zu verlieren. Dann wird aus dem Ich ein Wir, aus dem grau ein bunt. Und Schwarz und Weiß werden plötzlich so egal, wie Vorurteile und Stereotypen gegenüber unserer Generation.

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