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Endlich eine feste Beziehung: Warum die „Generation-Tinder“ Hunde so sehr liebt

Wenn auf einmal selbst Katzenmenschen zu Hundliebhabern werden, was ist dann da los? Das fragt sich unsere Communityautorin Julia von Pidoll, bei der genau das eingetreten ist.

 

Die Hundemenschen nehmen Überhand!

Bisher dachte ich, Menschen ließen sich relativ einfach in Katzen- oder Hundemenschen einteilen. Katzenmenschen, so meine Einschätzung, sind gerne unabhängig, können sehr gut allein sein und stellen ihr Licht nicht unter den Scheffel. Hundemenschen dagegen binden sich schneller, wollen auf jeden Fall Familie und sind nicht gern mit sich allein. Dachte ich, nun sehe ich auf einmal eine Hundeinflation in meinem Umfeld.

Auch vor mir macht das Virus nicht halt. Obwohl ich mich immer als Katzenmensch gesehen habe.

Ich weiß nicht ob es in anderen Städten auch so ist, aber plötzlich hat gefühlt jeder einen Hund oder fest vor einen zu haben. Nicht etwa Leute, die seit Jahren in fester Beziehung leben und das Haus mit Garten fest im Blick haben. Okay, auch die. Aber stutzig machten mich noch vor einem Jahr die Frauen (darunter eben Katzenmenschen), die zum Teil nicht mit dem Studium oder der Ausbildung fertig sind und auf einmal mit einem kleinen Fellknäuel um die Ecke kamen.

Der Hund als Zwischenstufe oder Kinderersatz?

Da war zum einen Katharina, 25, die auf einmal stolze Besitzerin einer
französischen Bulldogge war, und gerade wieder neu mit Jura angefangen hatte.
Nun, zu dem Zeitpunkt wohnte sie noch mit ihrem Freund zusammen, der klipp und klar jede Verantwortung für das Tier ablehnte. Ein Jahr später ist der Typ weg, der Hund noch da. Fast zeitgleich traf es Ines, 27, ebenfalls noch nicht mit
Jura fertig, sie lebte in einer WG und auf einmal war da auch Juri, ein winziger,
wunderschöner russischer Toy Terrier, der seitdem auch im Restaurant immer
dabei ist und am Wochenende bei ihrer Mutter bespaßt wird. Ich hielt das für
Einzelfälle. Doch als dann eine Kommilitonin den Dozenten fragte, ob sie ihren
Hund in die Uni mitbringen könnte, weil er noch ein Welpe ist, fing ich an ein
Muster dahinter zu vermuten. Ich fragte mal so rum: „Ja, nach dem Bachelor hol
ich mir auch einen Hund. Klar bin ich viel unterwegs aber das ist nun Mal ein Geben und Nehmen, da muss der Hund durch oder mit, aber ich warte nicht auf eine möglicherweise nie eintretende Sesshaftigkeit.“

Das war so ziemlich der Wortlaut der mir nun bei den Neufrauchen und auch
Herrchen entgegen kam. Meine beste Freundin hat kurz darauf mit ihrer Schwester ebenfalls zwei niedliche Schoßratt… Hunde adoptiert die nun mit feinsten Lederhalsbändern ausstaffiert den Alltag versüßen. 

Das war zu viel. Seitdem habe ich auf einmal einen „Hundewunsch“. Ich als Katzenmensch. Ich musste mir also Gedanken machen wo das herkommt. Zunächst vermutete ich eine Form von verdecktem  Kinderwunsch, der junge Frauen Mitte 20 befällt, die noch lange kein eigenes Kind wollen – selbst wenn der Mann und das Geld stimmen würde, aber in der Regel stimmt in dem Alter eins von beiden mindestens noch nicht. Und tatsächlich, der Wunsch sich um etwas kleines, niedliches zu kümmern und um sich zu haben, spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Auch vor Männern macht der Hundewahn natürlich nicht Halt

Nur alleine daran kann es nicht liegen, ich brauche beide Hände um abzuzählen, wie viele alleinstehende junge Frauen und Männer bei Facebook putzige
Fotos mit ihren neuen Hunden posten. Das sind dann nicht nur Schoßhunde,
sondern auch große Rassen, doch die französische Bulldogge scheint als
Kompromiss aufzuholen. Die eines Barkeepers in meinem Kölner Lieblingsladen
Underground heißt zum Beispiel Margarete. Und die war schon da, bevor Frau und Kind (jetzt auch da) existent waren. Ein DJ aus dem legendären Bootshaus
postete gerade Bilder von Ratgeberbüchern zur französischen Bulldogge. „Was der auch?!“ war mein erster Gedanke, der mich dann auch zu diesem Text inspiriert hat.

Glücklicherweise bekam ich dank der vielen neuen Hunde in meiner
Umgebung die Gelegenheit, selbst herauszufinden was mit einem passiert, wenn man die Fellknäule um sich hat.
Erst gerade wurde wieder ein Winzling von einem Hund bei meiner Freundin mit den zwei Hunden abgegeben. Er hatte nun das dritte Mal sein Zuhause verloren (wohlgemerkt im Alter von fünf Monaten). Das Problem an diesen Handtaschenhunden ist, dass sie dummerweise besonders gern als Modeaccecoire für Vollbluttussis missbraucht werden, ihr wisst sicher was ich meine. In dem Moment wo einer Zoe-Jeanette dann klar wird, dass so ein Lebewesen auch Zeit und Geld kostet, nachdem man es gekauft hat, verliert ein junger Hund sein zuhause. Also habe ich den kleinen auf eigene Faust in mein nächstes Umfeld vermittelt. Ich verspreche euch, jeder der ein Herz hat gewinnt so eine Ratte lieb wenn sie im Auto auf dem Schoß einschläft.

Hunde: Die Konstante im Leben mit Tinder, Befristungen und Nomadenleben

Nun kommen die Einwände der hundelosen Elterngeneration. „Das ist doch
ein Klotz am Bein, dann bist du total gebunden“. Aber ist das wirklich so? Denn, mal ehrlich, nur für die Paar Wochen, die ich im Jahr wirklich am Stück außer Landes bin verzichte ich nicht auf den treuen Gefährten. Und wenn das wirklich das schlagende Argument wäre, könnten doch nur noch Rentnerpaare mit Haus und Garten Tiere halten. Und den Vorwurf des Egoismus’ lasse ich auch nicht gelten, denn ein Tier bedeutet auch immer Aufwand. Ich beobachte jedenfalls, dass es den Tierchen nicht schadet, wenn „Mama“ mal nicht da ist, solange „Oma“ oder „Tante“ eine Zeit lang Babysitten. 

Der finale Gedanke der mir nun nach wochenlangem Nachdenken über die
Hundeinflation gekommen ist, ist der unvermeidliche „Generation XYZ“ Faktor. 
Viele von „uns“ wissen eben nicht, ob ein erträglich bezahlter Job in einer mäßig bis attraktiven Stadt zu bekommen ist oder nicht. „Wir“ fürchten uns vor den 6-Monatsbefristungen und Zeitverträgen, dem ständigen Umziehen und den gefährdeten Beziehungen – wenn einer in Berlin die Stelle seines Lebens bekommt, der andere aber im Regen steht. Nicht wenige von uns werden ihr lieb gewonnenes Umfeld aufgeben müssen, Beziehungen halten nicht gezwungenermaßen so lange, dass der Gedanke an eigene Kinder vor Mitte 30 besonders verlockend scheint, machen von uns ist die Nummer mit den Kindern grundsätzlich zu viel. Trotzdem sehnt sich auch unsereiner nach Dingen, die immer da sind – egal was bei uns passiert.

Riesen Bonus: Dein Hund liebt dich auch in der Lebenskrise

Ein Wesen, das egal wie es dir gerade geht, bei dir ist und
glücklich ist, dass du existiert, ob nun im 5. Stock deiner kleinen Bude in
Buxtehude oder im schönen Berliner Altbau. Wenn du raus musst aus der
Wunschstadt, der Wohnung, weil du einfach keine Arbeit findest, für die du so
lange studiert hast, wenn eine Beziehung zerbricht, in der schon von Familie die
Rede war – ein Tier gibt dir immer wieder den Grund aus dem Bett zu steigen und weiterzumachen. Das ist besser als jede Therapie, fast jedes Besäufnis, und
vermutlich sogar billiger. Ein Tier bekommt auch keine Lebenskrise wenn ein
gemeinsamer Umzug ansteht. Das Haustier gehört immer zu uns und wir sind das Highlight im Leben dieses Lebewesen. Und selbst wenn man sein Tier nicht mehr behalten KANN – wobei noch fraglich ist, welchen Grund das haben könnte – es hat die Chance auf ein neues, glückliches Leben in einer neuen Familie. 

Nach diesen Überlegungen konnte auch meine skeptische Mutter nachvollziehen, warum wir heute trotz ungeklärter Umstände nicht auf ein Haustier verzichtet. Ich träume nachts jetzt von meiner zukünftigen Retro-Mops Hündin, die ich mir nach dem Bachelor vielleicht zutraue. Sie wird übrigens „Lotta“ heißen, nach meinem Kindheitsvorbild von Astrid Lindgren.

PS: Falls Kinder dann doch noch Mal ein Thema im Leben werden, sind Hunde fabelhafte Babysitter!

PPS: Der Hundewunsch kommt auch in stabilen Beziehungen vor 😉

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