Foto: Kunstee - flickr - CC BY 2.0

Über das (Über-)Leben in einer Wohngemeinschaft

Das Leben in einer Wohngemeinschaft ist manchmal Segen und Fluch zugleich. Wir geben euch die besten Überlebenstipps im Umgang mit euren Mitbewohnern.

Mein Leben in WGs: eine Hass-Liebe

In meinen nun fast schon sechs Jahren als Studentin habe ich schon die verschiedensten Wohnsituationen durchlebt. Die Frage, ob ich lieber alleine oder mit anderen Menschen zusammenleben möchte, hat sich dabei nie für mich gestellt. WG-Zimmer sind nicht nur die günstigere Miet-Variante, sie haben mich auch einiges an Erfahrungen gelehrt und mein Leben durch viele unterhaltsame Geschichten bereichert. Von der super sauberen Dreier-Mädels-WG über die „Kuschel-WG“ bis hin zum Nebeneinanderherleben in der Öko-Hipster-Wohngemeinschaft war dabei fast alles vertreten, was man sich an Mitbewohner-Konstellationen ausmalen kann.

Ich habe sehr gerne mit all diesen Menschen zusammengewohnt. Zugegeben: mit manchen ein bisschen lieber als mit anderen. Auf nächtliche Computerspiel-Geräusche, Vorträge über die richtige Verwendung des Salatbestecks, Spül-Uhren oder plötzliche Stöhn-Geräusche hinter der Wand gegenüber hätte ich durchaus verzichten können, aber so ist das nun einmal in einer Wohngemeinschaft: Man akzeptiert die Marotten und Ansprüche der anderen, schreibt Pläne, an die sich keiner hält, ist mal frustriert, aber nie alleine.

Welche WG passt zu mir?

Als ich mit 19 von Zuhause auszog, habe ich mir nicht groß überlegt, wie meine perfekte Mitbewohnerin oder mein Mitbewohner sein sollte – das hätte die Sache womöglich auch nur komplizierter gestaltet, als sie ohnehin schon war. Denn als Erstsemester unter 20 in einer neuen Stadt hast du es gar nicht so leicht, überhaupt eine WG zu finden, die dich will. Ohne Berufserfahrung im gemeinsamen Zusammenleben läuft beim WG-Casting nämlich leider nichts, weil man dich dann schnell für ein verwöhntes Mama-Kind hält, das noch nie was von Abwaschen oder Putzplänen gehört hat und ohnehin nur Party im Kopf hat. Nichts für ungut, aber heute würde ich bei der Wahl meiner Mitbewohner wahrscheinlich selbst kaum anders urteilen.

Für den Anfang kann es daher sinnvoll sein, sich mit anderen Gleichgesinnten, sprich gleichermaßen verzweifelten „Ersties“ auf die gemeinsame Wohnungssuche zu begeben und einfach eine eigene WG zu gründen. Meine allererste WG setzte sich damals aus einer Zahnmedizinerin, einer Wirtschaftspädagogin und mir, dem Skandinavistik-Nerd, zusammen: alle im ersten Semester und voller naiver Erwartungen. Motiviert und durchorganisiert, wie wir es zudem alle waren (oder zumindest vorgaben), haben wir unsere ersten gemeinsamen Wochen damit verbracht, fleißig Listen zu schreiben: Was brauchen wir für unseren gemeinsamen Haushalt? Wer hat wieviel für Spülmittel und Milch bezahlt? Wer bringt den Müll runter und wer putzt diese Woche das Klo?

Wenn man sich untereinander nicht so gut kennt, sind solche Regeln die erste Basis, die alle Mitbewohner miteinander verbindet. Wie sich schnell herausstellte, gab es ansonsten aber auch nichts, das uns drei wirklich verband. Im Gegensatz zu den zwei anderen, die gerne ihre „Mädels“ zu uns einluden, um gemeinsam beim Topmodel-Schauen Schoko-Fondue zu genießen, ging ich lieber auf Open-Air-Konzerte und übernachtete bei Freunden, weil nachts kein Bus zu uns zurückfuhr. Die Wohnung (das hatten wir neben der Tatsache, dass sie schön hell und geräumig war, anfangs verdrängt) lag nämlich nicht gerade im Stadtzentrum. Mit der Zeit fing dieses WG-Leben für mich daher immer stärker an zu drücken und so machte ich mich heimlich auf die Suche nach Menschen, die besser zu mir passten.

Willkommen in der Siff-WG

Nach einigem Surfen in den klassischen Wohnungsportalen landete ich schließlich bei einem WG-Casting, auf dem die Hälfte der dort lebenden Menschen mich im Schlafanzug begrüßte – was ich zugegebenermaßen ziemlich sympathisch fand. Und so zog ich ohne großes Zögern vom Stadtrand direkt in die Göttinger Shopping-Passage und ins Hauptquartier der „Siff-WG“. Mit dieser Bezeichnung möchte ich niemanden beleidigen, im Gegenteil: Wie mir einer meiner Mitbewohner am ersten Abend in der neuen Wohnung voller Stolz verriet, lautete der eigens erwählte Netzwerk-Name für das gemeinsame Internet tatsächlich genau so: „Siff-WG“. Putz-Plan Adé! Dafür gab es alle paar Wochen, wenn einer von uns fünf es wirklich nicht mehr aushielt, eine gemeinsame Putz-Aktion mit anschließendem Kochen. Was ich aus dieser Erfahrung vor allem mitgenommen habe, war die Erkenntnis, dass es sich durchaus lohnt, sich auch mit seinen Mitbewohnern zu festen Terminen zu verabreden, obwohl man im Grunde einen Alltag teilt. Jede und jeder hat nun einmal einen eigenen Rhythmus, sodass es bei uns schon mal vorkam, dass man sich Tage oder sogar über Wochen nie richtig zu Gesicht bekam.

Meine Sachen gehören mir!

Ein WG-Leben kann Segen und Fluch zugleich sein. So schön es auch ist, dass immer jemand da ist, wenn du nicht alleine essen möchtest oder du spontan jemanden verpflichten kannst, deine neuen Möbel in den vierten Stock zu tragen – manchmal will man einfach seine Ruhe haben und seine Sachen nicht mit den anderen teilen. Wenn dann auf einmal auch noch Leute beschließen, wieder auszuziehen, an deren Stelle neue Personen auftauchen, die keine Hemmungen haben, deinen Lady-Shaver zum Trimmen eines Vollbarts benutzen, bleiben dir nur deine eigenen vier Wände, in die du dich zurückziehen kannst. In manchen Fällen kann es im Übrigen ratsam sein, diese gesondert zu kennzeichnen.

Schon bei meinem Einzug in die neue WG war mir der Spiegel im Flur aufgefallen, auf den jemand mit Window-Color-Farben den Namen einer meiner Mitbewohnerinnen samt Herzchen und einem auf ihre Zimmertür gerichteten Pfeil geklebt hatte. Nach nur wenigen Wochen wurde mir klar, dass es sich dabei nicht bloß um Deko handelte. Wenn nämlich alle fünf Türen von außen gleich aussehen, hat so manch nächtlicher Besucher seine Schwierigkeiten, sich auf dem Rückweg von der Toilette an den richtigen Eingang zu erinnern. Wer Berührungs- beziehungsweise Verwechslungsängste hat, sollte demnach zur Sicherheit besser die Finger von größeren Wohngemeinschaften lassen.

Das Sammeln neuer Familienmitglieder

Heute wäre auch ich nicht mehr die richtige Kandidatin für ein Zusammenleben mit vier anderen Chaoten, aber ich möchte diese Erfahrung um keinen Preis missen, da auch langjährige Freundschaften aus dieser Zeit entstanden sind. Als ich für meinen Master nach Berlin zog, war es entsprechend meine ehemalige Mitbewohnerin aus der „Siff-WG“, bei der ich die ersten Nächte auf der Couch schlief, bis ich eine neue Bleibe gefunden hatte. Sie selbst hatte es nach Berlin verschlagen, da sie einen unverschämt gutbezahlten Job als Unternehmensberaterin ergattert hatte. Ich glaube kaum, dass ich sie unter anderen Umständen, außerhalb unseres damaligen WG-Kosmos´, jemals kennengelernt hätte, da unsere Lebensentwürfe im Prinzip immer völlig verschieden waren. Wenn ich sie jetzt ab und zu auf einen Kaffee treffe, ist es aber beinahe so, als ob ich mit einem Familienmitglied über alte Zeiten plaudere. Gemeinsames „Auf-der-Couch-Lungern“ verbindet eben.

Wie geht es weiter?

Nach den gefühlt hundertsten WG-Castings, Partys und Kompromissen, gilt es für die meisten von uns jedoch irgendwann, den WG-Zirkel zu durchbrechen und sich etwas Eigenes zu suchen. Bei mir kam dieser Punkt vor gut einem Jahr – ich feierte gerade wieder einmal mit prallen IKEA-Tüten und der Mikrowelle im Backpack den Abschied von meiner letzten Zwischenmiete – als feststand, dass ich in einer Wohnung leben möchte, die nicht mehr aus zusammengewürfelten Flohmarktmöbeln besteht und in der ich machen kann, was ich möchte und wann ich es möchte.

Die meisten Menschen sehen in dieser Situation zwei Optionen:
A: Sie suchen sich eine bezahlbare 1-Zimmer-Wohnung oder B: Sie ziehen bei ihrem Partner oder ihrer Partnerin ein. Ich habe mich hingegen für Option C entschieden und bin mit meiner großen Schwester zusammengezogen. Nun könnte man natürlich sagen, dass das im Grunde ein Rückschritt ist, denn schließlich haben wir das letzte Mal zusammengewohnt, bevor wir von Zuhause auszogen und der ganze WG-Spaß seinen Lauf nahm. Dennoch fühlt sich dieses Zusammenleben um einiges „erwachsener“ an als alles, was ich in den vergangenen Jahren mitgemacht habe. Schon klar, wenn man mit seinen Geschwistern zusammenlebt, besteht die Gefahr, dass man sich häufig in die Haare kriegt. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich diese Streitereien in meiner WG-Zeit manchmal vermisst habe.

Streit kann Wunder wirken

Wenn sich früher einer meiner Mitbewohner bei mir beschwerte, weil ich vergessen hatte, den Müll herauszubringen oder zu lauten Besuch hatte, habe ich die Kritik oft sehr persönlich genommen und den Frust  in mich hineingefressen – was teilweise sogar dazu führte, dass ich abwartete, bis das Türschloss eines der anderen zufiel, bevor ich mich schnell ins Bad oder in die Küche schlich. Im Nachhinein wünsche ich mir, ich hätte stattdessen öfter die Konfrontation gesucht.

Denn auch das war für mich eine wichtige Erkenntnis: Deine Mitbewohner müssen nicht deine besten Freunde werden und sie können auch nicht deine Familie ersetzen. Es ist schön, wenn man auf einer Wellenlänge ist, da man dann leichter über mangelnde Ordnung oder zwanghafte Putz-Fimmel hinwegsehen kann – aber wenn sich nach den ersten Wochen herausstellt, dass die neue Mitbewohnerin doch nicht so easy going ist, wie sie im zehnminütigen Kennenlernen rüberkam, sollte man versuchen, sich auf eine vernünftige Weise zu arrangieren – und das funktioniert eben nur, indem man miteinander redet.

Titelbild: Kunstee – flickr – CC BY 2.0

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