Freundschaften spielen eine große Rolle in unserem Leben. Sie entwickeln sich, halten ewig oder eine Weile. Doch was macht Freundschaften aus?
Freunde sind Familie
Wir sitzen in einem Restaurant in Jaffa, Tel Aviv. Rund 25 Freunde, ER und ich. Sie alle sind aus Deutschland gekommen, um mit uns Hochzeit zu feiern. Meine Brautjungfern Sachiko, Julia und Sofia flüstern ab und zu miteinander, weil sie wohl noch tausend Sachen organisieren müssen. Alle sind aufgekratzt und aufgeregt. Ich fühle mich wohl wie ein Fisch im Wasser, glücklich und geliebt. Zeit für eine Hommage an die Freundschaft.
Freundschaften spielen eine große Rolle in unseren Leben. In Zeiten, in denen der traditionelle Familienverbund immer schwächer wird und die Individualisierung der Gesellschaft stetig voranschreitet, sind unsere Freunde ein wichtiger Rückhalt. Als ich vor einer Weile krank und allein in Berlin war, setzte sich Sabine sofort ins Auto, um zu mir zu fahren. Machte Wadenwickel und transportierte mich mit größtmöglicher Fürsorge zum Arzt. Freunde helfen in der großen Stadt, wenn man krank ist. Damit sind sie Familie.
Es gibt viele Arten von Freundschaften
Bis ins 17. Jahrhundert wurde im deutschen Sprachgebrauch nicht zwischen erworbener und angeborener Freundschaft unterschieden, sodass die Begriffe „Freundschaft“ und „Verwandtschaft“ synonym verwendet wurden. Aber so, wie sich manche mit der Familie entzweien, bleiben auch nicht alle Freunde für immer. Einige sind Wegbegleiter für eine zeitlich begrenzte Strecke. Oder inhaltlich begrenzte Themen.
In diesem Sinne kann man zwischen mehreren Arten von Freunden unterscheiden: Themenfreunde, Zweckfreunde, Kindheitsfreunde, gute Freunde, sehr gute Freunde und (dies darf im deutschen Freundschaftslexikon nicht fehlen) Bekannte. Themenfreunde sind die, mit denen einen nur gemeinsame Aktivitäten verbinden: Feierfreunde, Studienfreunde, Arbeitsfreunde oder Pilates-Kurs-Freunde. Zweckfreunde sind die, mit denen einen ein bestimmtes Motiv verbindet – hier sind vor allem Rechtsanwälte und Ärzte gefragt. Gute und sehr gute Freunde hingegen bleiben über viele Phasen hinweg an unserer Seite.
Die Beziehung zu ihnen ist gefestigt. Man kennt sich durch und über all die verschiedenen Leben hinweg, die wir so leben. Studentenzeit, Praktikum, erstes richtig schlimmes Beziehungsende, Singleleben, große Liebe, erstes Buch, zweites Buch, Hochzeit – mit meinen besten Freundinnen habe ich all diese Phasen intensiv durchlebt. Aber vor allem bereichern sie mich. Sachiko mit ihrer ruhigen, durchdachten Art macht nicht nur etwas völlig anderes als ich, sie denkt anders, isst andere Dinge und lebt anders. Sie ermutigt mich, nach Höherem zu streben und über meinen Tellerrand hinaus zu denken. Sofia ist wie mein verlängertes oder verbreitertes Hirn – ich kann ihr selbst meine dunkelsten Geheimnisse und größten Schwächen anvertrauen. Wir können stundenlang reden, ohne dass es mich auch nur eine Sekunde langweilen würde. Sie ist eine außerordentlich geistreiche und reflektierte Analytikerin und bringt die Dinge haarscharf auf den Punkt.
Freunde sind Teil der Persönlichkeit
Julia ist die positive innere Stimme der Begeisterung, die mir manchmal fehlt. Der pure Optimismus, die Frau zum Pferde stehlen. Sie ist auch diejenige, mit der ich mich am besten durch wilde Nächte tanzen kann. Gleichzeitig liebt sie so wie ich. Totalitär und hochemotional.
Diese drei Frauen sind wichtige Bestandteile meiner Existenz. Neben Themen-, alten und weiteren guten Freunden, die ich ebenfalls nicht missen möchte, habe ich diese drei Freundinnen, über die ich mich genauso definiere wie über eine Liebespartnerschaft. Sie sind praktisch Teile meiner Persönlichkeit. Dabei haben Freundschaften ja oft nur mit schlichtem Zufall und Nähe zu tun. Sachiko stand nach dem ersten Unitag im gleichen S-Bahnabteil wie ich, Julia war am Lagerfeuer neben mir gelandet, und Sofia und ich wurden vom Schicksal in das gleiche Unternehmen gewürfelt. Aber was heißt das eigentlich? Freundschaft?
Man mag und liebt einander. Man schätzt einander, man vertraut sich, man teilt sein Leben mit dem anderen. Natürlich nicht so intensiv wie mit einem Partner, aber doch ähnlich. Freundschaft entsteht nicht instinktiv wie die körperliche Anziehung zu einem anderen Menschen, und sie überlebt nicht durch bloße Gewöhnung. Anders als in einer Liebesbeziehung, hat man an einen Freund nicht so extrem hohe Ansprüche. Man sieht ihm Fehler viel großzügiger nach, und wenn man eine Weile mal keinen so intensiven Kontakt hat, macht das auch nichts. Man ist einander sicher. Obwohl. Stimmt das so? In der Soziologie spricht man von Freundschaft als „Gemeinschaft des Geistes“, ein Begriff, der auf den Soziologen Ferdinand Tönnies zurückgeht und der mir sehr gefällt.
Freunde sind uns oft ähnlich
Es ist die Freundschaft unter Gleichen, von der schon Aristoteles gesprochen hat. Je älter wir werden, desto eher sind wir mit Menschen befreundet, die uns ähnlich sind. Also sind die Ansprüche an eine Freundschaft doch nicht so niedrig. Wir suchen Ähnlichkeiten. Vom Lebensstil über die politische Meinung bis hin zu den Vermögensverhältnissen. Ich weiß nicht genau, woran es liegt, aber ich glaube, während man als Student noch mit allen möglichen Leuten befreundet sein kann, schart man irgendwann Menschen um sich, mit denen man Ansichten und Lebensstil teilt. Man beginnt zu selektieren, anspruchsvoller zu werden, mehr von einer Freundschaft zu erwarten.
Und es wird schwieriger, neue Freunde zu finden. Die Zeit wird aufgrund von Karriere, Partnerschaft und irgend- wann vielleicht Kindern knapper. Die Zeit, die man hat, möchte man nicht verschwenden. Man weiß viel besser, wer man ist, wie man Dinge sieht und wo man hin will. Man findet sich nicht mehr damit ab, wenn Dinge nicht zu passen scheinen. Man ändert sie. Und im Fall von Freundschaften kann das auch mal bedeuten, dass man sie beendet. Gerade mit einer Partnerschaft im Rücken haben manche das Gefühl, weniger Freunde zu brauchen.
Freunde sind fast so etwas wie Partner
Man hat definitiv weniger Zeit und Lust für und auf andere Menschen. Die Abende verbringt man eher mal auf dem Sofa, als sich noch für ein Essen raus in die Abendkälte zu quälen. Zumindest ich unterscheide mich da deutlich von meinen Singlefreundinnen, die definitiv mehr unterwegs sind und ihre Freundschaften intensiver pflegen. Für Julia sind ihre besten Freundinnen eine Art Partnerersatz. Sie schenkt uns die Aufmerksamkeit, Liebe und Zeit, die sie sonst in einen Mann investieren würde. Wenn dann mal ein Mann auftaucht, taucht sie für eine Weile ab. Aber obwohl unsere Leben insgesamt von einer hohen Unsicherheit geprägt sind (nicht nur, was das Beziehungsleben betrifft), bleiben wir einander trotzdem erstaunlich treu. Dass man die beste Freundin nicht für einen Mann vernachlässigen darf (oder wenn überhaupt, dann nur kurzfristig), ist sowieso ein ungeschriebenes Gesetz, das uns Kinofilme und Romane seit Jahren eintrichtern. Das Fernsehen hat uns mit Serien wie „Sex and the City“, „Friends“ und „How I Met Your Mother“ in der Überzeugung bestärkt, dass Freunde überaus wichtig für unser Leben sind.
Die besten Freunde sind so heilig wie ein Partner oder die Familie. Im Vergleich zu anderen Generationen hat die Freundschaft bei uns eine deutliche Aufwertung erfahren. Und obwohl wir wie Nomaden durch die Lande ziehen, bleiben wir über WhatsApp, Skype und Facebook so intensiv in Kontakt, als wären wir Nachbarn. Die Technologie hat aber auch noch etwas anderes in unserer Wahrnehmung von Freundschaft geändert: Sie ist viel wahlloser geworden. Bei Facebook haben wir 300, 500 oder 1.000 Kontakte, die wir „Freunde“ nennen. Dieser Begriff ist ja nicht zufällig gewählt. Klar wissen wir einerseits, dass diese Hundertschaften nicht wirklich alle unsere Freunde sind, andererseits sind wir auf diese Weise dauerhaft mit Menschen in Kontakt, die ohne Facebook längst aus unserem Alltag verschwunden wären. Die sozialen Netzwerke und das Internet im Allgemeinen bringen uns Individualisten einander näher. So befinden wir uns trotz aller Moderne weiterhin in einer Art traditionellen Dorfgemeinschaft. Nur, dass die anderen Dorfbewohner auch in anderen Ländern leben können. Aber mithilfe der Technik können wir aufmerksam beobachten, was sie so treiben. Wen sie lieben und wohin sie reisen. Und wenn wir ein Hotel in Barcelona suchen oder ein Auto kaufen wollen, werfen wir unsere Fragen in den Raum, und uns wird geholfen. Auf diese Weise fühlen wir uns der Gemeinschaft zugehörig, egal wie weit wir offline voneinander entfernt sind.
Richtige Freunde sind da
Bei Facebook, Twitter, Linkedin und Xing werden mehrere Hundert, manchmal sogar Tausend Kontakte gepflegt. „Netzwerken“ nennt man das dann (selbst ein eigenes Verb gibt es schon dafür, dass man ein Netzwerk aufbaut und pflegt). Vitamin B, Beziehungen und Kontakte waren schon immer wichtig, um sich Vorteile zu verschaffen. Jetzt haben wir die Möglichkeit, uns mit einem Klick mit all unseren wichtigen Kontakten zu verbinden und sie zu pflegen. Auch deswegen haben selbst Menschen, die in Wahrheit vielleicht kaum reale »Offline-Freunde« haben, trotzdem das Gefühl, in eine Gemeinschaft eingebunden zu sein. Die tausend Freunde bei Facebook können einen aber auch völlig täuschen. 1. 000 Freunde schön und gut, aber wer kommt wirklich, wenn man krank ist? Aber deswegen bin ich an diesem Abend in Jaffa ja auch so glücklich, dass alle Menschen, die mir, abgesehen von meiner Familie, etwas bedeuten, gekommen sind. Manchmal überrascht mich die Qualität meiner Freundschaften immer noch, denn ich war in der Schule nicht unbedingt besonders beliebt. Aber auch diese Dinge ändern sich zum Glück, wenn man erwachsen wird.
„Einfach weitertanzen“ – das Buch
Auszug aus dem Buch: Einfach weitertanzen. Von der Kunst, erwachsen zu werden von Katharina Höftmann. Das E-Book gibt es hier.
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Hallo, liebe Generation Fragezeichen. Weiterlesen.