Foto: Markus Spiske I Flickr I CC BY 2.0

Neue Arbeitswelten: Segen oder Fluch?

Coworking wird als neue Freiheit verkauft, doch stimmt das so? Stefanie Weidner findet, es braucht mehr als Technologie und mobile Arbeit.

 

Ein weiteres Buzzword?

„Neue Arbeitswelten“ oder „Arbeitswelten 2.0“ sind Begriffe, die man in den letzten Jahren häufiger gehört hat. Begriffe, die neben „kreativ“ und „innovativ“ zu weiteren Buzzwords geworden sind, die man wie ein schickes Label schnell überall draufkleben kann: auf fast alles, was bunt und hipp ist und online Menschen miteinander verknüpft.

Durch die inflationäre Verwendung dieser Begriffe wird es zunehmend schwerer zu definieren, was sich genau dahinter verbirgt und welche Aspekte sinnvoll für das eigene Unternehmen, die Prozesse und die Mitarbeiter sind. In Zeiten von Google und Co. scheint die Thematik Arbeitswelt auf bunte Büros und smarte Technik reduziert worden zu sein. Der Mensch und seine „neuen Bedürfnisse“ werden als Ausrede genutzt, um Kosten zu sparen und die Effektivität zu steigern.

Retrospektiv betrachtet hat die neue Arbeitswelt ihre Wurzeln lange vor Internetunternehmen schon in den 70er Jahren geschlagen, allerdings damals noch mit dem Menschen im Fokus. Bereits 1984 eröffnete Frithjof Bergmann, ein deutscher Philosoph, in Michigan das erste Zentrum für Neue Arbeit und setze sich dort mit Fragen zur Zukunft der Arbeit und Innovationsfreudigkeit auseinander. Der in den 30er Jahren geborene Sachse, der unter anderem Boxer war und als Selbstversorger lebte, gilt als Begründer der „New-Work-Bewegung“. Mit seinem Konzept der neuen Arbeit kritisierte er den amerikanischen Freiheitsbegriff, der dem Menschen keine Möglichkeit gebe etwas wirklich Wichtiges zu tun und forderte die Befreiung des Menschen aus der Knechtschaft der Lohnarbeit, um ihn in ein System der neuen Arbeit zu überführen. Dieses System solle nur noch zu einem Drittel aus der „normalen“ Arbeit bestehen, ein weiteres Drittel solle mit Arbeit verbracht werden, die man „wirklich, wirklich will“ und das letzte Drittel diene der Selbstversorgung, um unabhängig(er) zu werden.

Prekäres Leben vs. freie Entfaltung

Nach Bergmanns Konzept bietet die „neue Arbeit […] Freiräume für Kreativität und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. […] Die zentralen Werte der Neuen Arbeit sind Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an Gemeinschaft.“ Eben diese Werte sind es, die auch heute wieder hoch gehalten werden. Befasst man sich mit der Beschreibung der „Digitalen Bohéme”, einem Begriff, der in dem Buch „Wir nennen es Arbeit“ (Holm Friebe und Sascha Lobo) im Jahr 2006 heiß diskutiert wurde, sind deutlich die Parallelen zu Bergmann zu erkennen. Als Digitale Bohéme werden Menschen bezeichnet, die sich ihre Arbeit aussuchen und entscheiden wann und wo sie arbeiten. Durch die neuen Technologien können Handlungsspielräume erweitert werden, es gibt mehr Möglichkeiten seine Ideen bekannt zu machen, das Verknüpfen mit Menschen geht einfacher und schneller als je zuvor. Allerdings ist in diesem Kontext auch Jahre später immer wieder die Rede von chronisch pleiten Hipstern, die an „Projekten“ arbeiten, um sich selbst zu verwirklichen aber trotzdem immer wieder Jobs annehmen müssen, auf die sie keine Lust haben, da sie von irgendetwas leben müssen.

Ob Freelancer oder Angestellter: Vor allem die Technologie ist es, die heutzutage neben den bunten Büros in den Fokus gerückt wird, und den Menschen aus diesem verdrängt. Natürlich sind die Tools hilfreich. Sie steigern aber ganz besonders die Effektivität, reduzieren Kosten und machen den Nutzer ersetzbarer als je zuvor. Deshalb lohnt es sich einen näheren Blick zu wagen und zu schauen wer aus welchem Beweggrund den „Arbeitern“ Freiheiten und Vorzüge gewährt oder ihnen zumindest suggeriert frei zu sein und ihr Wohl in den Mittelpunkt zu stellen.

Bekannte Beispiele für Unternehmen, die den Trend der neuen Arbeitswelt mitgegangen sind und sich auch direkt – früher oder später – zu den wirtschaftlichen Vorzügen bekannt haben, sind zum Beispiel Vodafone und IBM.

Coworking als Allheilmittel

Da kommt der Coworking-Trend der Arbeitswelt 2.0 sehr passend, wenn sich durch ihn die festen Büroarbeitsplätze drastisch reduzieren lassen und am Ende sogar 1000 Arbeitplätze weniger vorhanden sind als Mitarbeiter. Der positive Nebeneffekt in dem einen oder anderen Unternehmen den Aktienwert direkt um ein paar Punkte zu steigern, wenn dadurch Kosten für Büroräume drastisch reduziert werden, ist wirtschaftlich nicht unerheblich.

Aber wenn kleinere Büros zugunsten von Coworking-Arealen weichen sollen, keiner einen festen Arbeitsplatz mehr hat, Home Offices unterstützt werden und alle Daten in der Cloud liegen, spricht man erstmal nicht von Einsparungsmaßnahmen, sondern von der neuen Arbeitswelt. Einer schönen neuen Arbeitswelt, die sich an den „neuen“ Bedürfnissen der Mitarbeiter orientiert und ihnen Freiheit schenken soll.

Aber wie frei ist ein Mitarbeiter, der mit 50 oder 100 seiner Kollegen in einem Raum sitzt, keinen ersichtlichen Grund mehr hat das Büro zu verlassen, weil dort alles vorhanden ist, was er zum Leben braucht und er sein Büro in der Tasche hat, falls er doch mal nach hause gehen sollte?

Wir scheinen uns in den letzten Jahren im Kreise gedreht zu haben. Denn auch heute bildet das Arbeitskonzept von Freiheit den Deckmantel für die Knechtschaft der Arbeit. Trends wie Coworking werden blind verfolgt, ohne zu beachten, dass es in den meisten Arbeitsphase eher hinderlich und störend als inspirierend und fördernd ist.

Als Future-Work-Designerin mit einem Service-Design-Hintergrund arbeite ich daran, Arbeitskonzepte zu entwickeln, die sich wieder an den Bedürfnissen der Nutzer orientieren und ihnen ein Stück Freiheit zurück geben, um sich zu entfalten. Gleichzeitig bin ich der festen Überzeugung, dass man dies mit dem Wohle und der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens in Einklang bringen kann. Ob es funktioniert? Ich weiß es nicht. Aber ich bin mutig genug, es auszuprobieren und dankbar für den Mut der Menschen und Unternehmen, die diesen Schritt wagen mitzugehen.

Was denkt ihr: Arbeitswelt 2.0 – Segen oder Fluch?

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