Es ist aufregend, spannend, zum heulen, anstrendend und nervig: das Erwachsenwerden. Wie es wirklich ist und wie eine angebliche Schwäche zur Stärke gemacht werden kann, schreibt Sally aus der Perspektive einer 19-Jährigen.
Jung sein: aufregend, aber hart
Seien wir doch mal ehrlich: Erwachsen werden findet niemand so richtig toll. Erwachsen sein? Klar meistens. Aber der Vorgang des Deflorierens in
jeglicher Lebenslage, sei es im Bett oder beim Finanzamt, bringt viele Emotionen
mit sich, die wir jungen Leute eigentlich schon mit dem Ende der Pubertät abgetan hatten. Das Gefühl auf sich alleine gestellt zu sein ist
aufregend oder verleitet gerne mal zum erhöhten Blutdruck. Ganz alleine nach
London zu fliegen und sich selbstständig am Terminal orientieren zu müssen, hat
zugegebenermaßen etwas Glamouröses an sich. Alleine mit Problemen bei der Arbeit
oder im Studium konfrontiert werden und nicht die Möglichkeit zu besitzen, weinend in die tröstlichen Armen der Mutter zu fallen und ihren vertrauten
Geruch einatmen zu können, ist hingegen eher furchteinflößend.
Mit sagen wir mal
zwölf Jahren stellt man sich das Teenagerdasein zwar turbulent vor, aber
hauptsächlich aufregend. Verantwortlich dafür ist auch die Dauerberieselung mit Filmen, in denen deine sechs engsten Freundinnen im perfekt eingerichtetem Zimmer
versammelt auf dem Bett sitzen und dir bei der 46. Liebeskrise des Jahres
moralischen Beistand höchster Klasse bieten. Auf dem Abschlussball sieht das
sonst so schüchterne Mauerblümchen selbstverständlich so aus, als ob sie vom
Laufsteg gefallen wäre. Und der einzige Junge der gesamten Stufe, der keine Akne
hat und dadurch an exponentieller Beliebtheit spätestens ab der 10. Klasse
gewann, steht mit offenen Mund auf der Tanzfläche und sieht das Mädchen an, als
wäre Jesus herab auf die Erde gekommen und hätte Freikarten für den neuen
Star-Wars-Film in die Luft geschmissen.
Glamour? Nö.
In der Realität sieht es jedoch anders aus: Man sitzt
schweißgebadet vor dem eigenen Laptop, liest sich die akribisch genau durchdachte
Nachricht für den Schwarm (Sagt man das heutzutage noch?) zum 30. Mal durch, bevor man sie (nicht) absendet. Die Freundin, die sich dazu erbarmt hat,
seelischen Beistand zu leisten, es jedoch spätestens nach dem 16. „Und du
meinst er mg mich wirklich?“ bereut, hängt genervt am anderen Ende der Leitung
und überlegt, wie überzeugend es wohl wirken mag, wenn sie panisch durchs
Telefon schreit, dass Jan Böhmermann durch die Tür gestürmt kommt und sie
unbedingt als Sidekick für die nächste Sendung braucht und sie deshalb los
müsse. Sie hatte nämlich auch zum Gespräch zugesagt, um über ihre eigene Zukunftangst
zu sprechen – nicht nur meinen Liebeskummer. Das übliche „Wie erzähle ich meinen Eltern, dass ich
Comedy-Autorin statt Juristin werden will“-Dilemma. Aber das ist natürlich
zweitranig, wenn Constantin zu lange braucht um zu antworten und man deshalb
kurz vor Exitus ist. An anderen Abenden sitzt man alleine zu Hause, betreibt
das allseits beliebte „Binge-Watching“, weil Kevin Spacey derzeit der einzige
Mann im Leben ist und isst dazu alles, was an den Händen klebt oder krümelt.
Die Pro-Contra-Liste, ob man denn jetzt nun zum Abiball geht oder nicht, obwohl
der Freund einandhalb Wochen vorher mit einem Schluss gemacht hat, liegt
zerknittert und mit Chipsresten übersäht irgendwo neben Handy und leer
gegessene Haribo-Tüten.
Naivität kann gut sein
Kurz gesagt: Erwachsen sein ist frustrierend, nervig und
ungesund. Trotzdem gibt es etwas, das Teenager besitzen und
Erwachsende nicht. Und nein, gemeint ist nicht, die Freiheit, keine Steuererklärungen machen zu müssen. Gemeint ist die
Naivität und das oft als negativ abgetane unüberlegte Handeln. Oft denkt man an
misslungene Tattoos, eine sehr schlechte Wahl an romantischen Partnern oder schlechte Haarschnitte. Was man eben als Teenager so macht. Aber es hat auch Vorteile, jung
zu sein und nicht instinktiv an alle möglichen Folgen und Konsequenzen
zudenken. Oft überlegen wir Menschen zu viel. Und das hat seine Gründe.
Verantwortung für andere Menschen, die von einem abhängig sind oder Angst vorm
Versagen. Natürlich haben junge Menschen Angst vorm Scheitern, jedoch ist es
ein Gedanke, der nicht als allererstes den Kopf erreicht und sofort für
erhöhten Blutdruck sorgt.
Ein Beispiel: Es ist weitläufig bekannt, dass es
einfacher ist Sprachen als Kind oder Heranwachsender zu erlernen und sich
Erwachsene damit deutlich schwerer tun. Der Grund? Erwachsene haben größere
Angst einen Fehler zu machen und scheuen sich davor im Sprachkurs oder im
Alltag die neu erlernte Sprache anzuwenden. Kindern ist das Fehler machen egal –
bis sie darauf angesprochen werden.
Was ich damit sagen möchte: Die Eigenschaft,
unerfahren und unerschrocken zu sein, sollte genutzt werden. Ich war im vergangenen Mai alleine
im Libanon unterwegs, um für eine Geschichte zu recherchieren. Erst im Nachhinein habe ich mir gedacht, dass es vielleicht nicht ganz ungefährlich war, alleine ohne jegliche Arabischkenntnisse als sehr junge Frau durch das
Land, teilweise auch im Dunkeln, rumzudackeln. Ich habe jedoch unheimlich viel
gewonnen. Ich habe eine neue Kultur kennenlernen dürfen, neue Leute getroffen
und vieles über mich selbst erfahren. Hätte ich viel mehr darüber nachgedacht,
ganz alleine in einem fremden Land zu sein, wäre ich vielleicht nicht
hingereist. Also ja: Erwachsen werden kann kompliziert sein und das als jung und naiv
abgestempelt werden, macht bei Zeiten auch wütend. Aber statt beleidigt in der
Ecke zu stehen, spiele ich mit meiner Naivität so lange ich kann und nicht an
Bausparverträge denken muss.
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