Schnell, höher weiter: Früher hetzte Kati Drescher von Termin zu Termin und flog für Business-Trips um die halbe Welt – alles mit einem Ziel: Erfolg. Doch auf einmal, wurden andere Dinge wichtiger. Wie und warum sie ihr Leben verlangsamte, erzählt sie nun.
Damals, als die Welt sich noch schneller drehte
Es gab eine Zeit, da raste ich von Termin zu
Termin und jettete für den Musiksender Viva von Köln nach New York und zurück.
Dabei fühlte mich die meiste Zeit des Tages gehetzt, hatte aber das Gefühl, die Welt
zu erobern. Das Ganze scheint mir heute Dekaden entfernt zu sein.
Denn ab einem bestimmten
Zeitpunkt in meinem Leben, um genau zu sein, spätestens nachdem ich meine
Tochter geboren hatte, verschob sich mein Blickwinkel auf die Welt und meine Antwort auf die
Frage, was mich glücklich und zufrieden macht. Im Grunde war das der Beginn
meiner persönlichen „Slow Living Karriere“, ohne dass ich jemals diesen Begriff
verwendet hätte.
Slow Living: Alles nur ein Hype?
Heute ist es mir die bewusste Langsamkeit einfach in Fleisch und Blut übergegangen. Am 17. September veranstalte ich gemeinsam
mit dem Konsumsoziologen Dr. Ragnar Willer zum zweiten Mal eine ganze Konferenz
zu dem Thema. Häufig wird uns die Frage gestellt, ob dieses entschleunigte
Leben denn in unserem globalen Alltag überhaupt lebbar oder ob das ganze
Prinzip nicht vielmehr eine Modeerscheinung ist, die gerade ihren Hype erlebt –
wie beispielsweise der Yoga-Boom.
In beiden Fällen antworten wir: ob Slow
Living, Entschleunigung, Bewusstsein derzeit ein Trend ist oder nicht, ist
eigentlich gar die richtige Frage. Vielmehr ist doch interessant, warum es in
unserer Gesellschaft ganz offensichtlich notwendig ist, sich mit diesem Thema
so intensiv auseinanderzusetzen, dass dazu sogar Konferenzen, Bücher und
Abhandlungen entstehen. In einer Zeit, in der die Welt immer komplexer und
schneller wird, immer mehr Dinge gleichzeitig passieren, Menschen immer mehr
unterwegs und überall jederzeit erreichbar sind, ist das Bedürfnis nach einer
Alternative zu unserer Ad-Hoc-Lebens- und Arbeitsweise und deren
24/7-Jetzt-Kultur entstanden.
Warum sich die Gesellschaft nach Entschleunigung sehnt
Dieses Bedürfnis spiegelt sich als Sehnsucht
nach innerer Ruhe und Ausgeglichenheit, eben nach Entschleunigung, Einfachheit
und Nachhaltigkeit. Allerdings behauptet niemand, dass sich dieses Bedürfnis
einfach befriedigen lässt. Da stellt sich einerseits die Frage nach den
entsprechenden Angeboten und andererseits schlicht und ergreifend die Frage
nach der vorhandenen Zeit neben Arbeit und Familie – vor allem wenn man ein
eigenes Unternehmen leitet. Dabei verantwortet man nicht nur seine eigene
Entschleunigung sondern auch noch die seiner Mitarbeiter.
Das ist eine sehr
große Herausforderung, denn natürlich müssen E-Mails zeitnah beantwortet werden,
Kunden zufriedengestellt, Leistung abgeliefert werden. Dabei ist ein gewisses
Arbeitstempo einfach zwingend erforderlich. Was aber nicht heißt, dass man sich
abhetzen sollte. Das Gefühl des Gehetztseins ist aus meiner Erfahrung vor
allem eben dies: ein Gefühl. Eines, welches man sich selbst kreiert, indem man
die Zusammenhänge und Grenzen zwischen sich und anderen, zwischen der Aufgabe
und den Erwartungen nicht mehr gut genug erkennen kann. In diesen Zustand kommt
man schnell und es bedarf einiger Reflektion und Reife, nicht darin zu
verharren, sondern einen Weg zu finden, damit dauerhaft umzugehen.
Wie kann man das Tempo aus dem Leben nehmen?
Manche Firmen vereinbaren ein „Recht auf
Unerreichbarkeit“, in Frankreich ist es gar „offiziell“ erlaubt, Handy und Laptop
ab 18 Uhr einfach auszuschalten. Aus meiner Sicht sind diese Regeln ein wenig
überdimensioniert, denn sie implizieren, dass Mitarbeiter nicht mündig genug
sind, um selbst zu wissen, wann die Grenze der Belastbarkeit erreicht ist. Mir
persönlich hilft bei der Strukturierung von Aufgaben die gute alte To-Do-Liste
und mein Kalender, in den ich alles, aber auch wirklich alles eintrage.
„Eins
nach dem anderen“ ist das Mantra gegen die Schnappatmung und wenn es gar nicht
mehr geht, dann muss ich auch mal einen Kaffee trinken gehen. Ein gutes
Ablagesystem, also Ordnung auf dem Schreibtisch, auf dem Computer und der externen
Festplatte hilft genauso wie ein paar sinnvolle Grundregeln, an die sich alle
halten. Auch diese Aussage bedeutet keinesfalls, dass ich immer und allen
Regeln meiner persönlichen Slow work einhalten kann, aber das stete Festhalten
daran schafft Freiraum für ein wenig Chaos.
Denn Chaos entspricht meiner Natur
eigentlich mehr als Ordnung. Schlussendlich plädiere ich wohl für einen
selbstverantwortlichen Umgang mit sich selbst und seinen Aufgaben sowie für die
gegenseitige Rücksichtnahme auf Befindlichkeiten – ohne sich davon aber allzu
sehr vom eigenen Weg abbringen zu lassen. All dies ist nur möglich, wenn das
Lebenstempo Innehalten, Reflektieren und Diskutieren erlaubt. Dementsprechend
ist eine gemäßigte Art von Slow Living also die Grundvoraussetzung für
jeglichen Diskurs und die persönliche Freiheit.
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