„Ich weiß, wo ich in zehn Jahren sein will“, sagt Lina Hansen. Doch an eine durchgeplante Karriere glaubt sie nicht. Ein Plädoyer für ungewöhnliche Lebenswege und den Mut, sich auf das Ungewisse einzulassen.
Einfach mal faul sein
Februar 2013, unterwegs in Mittelamerika: Ich möchte in zwei Tagen von Panama über die Grenze nach Costa Rica reisen – schließlich habe ich mir dort schon ein paar schöne Ziele herausgesucht. Allerdings bin ich die Reise angegangen mit dem Credo: Alles kann, nichts muss – und Spontaneität ist das höchste Gut. Gestern erst bin ich in dem
Hostel mit den bunten Hängematten und dem wunderschönsten Blick auf die Karibik
angekommen. Der Aufenthalt war mehr als Zwischenstopp geplant. Doch irgendwie
kann ich mir plötzlich nichts Schöneres vorstellen, als hier zu bleiben. Also bleibe ich. Zwei, drei, vier, fünf, sechs Tage. Jeder Tag beginnt mit einem faulen Kaffee in der Hängematte, während ich die Papageien beobachte. Manchmal regnet es in Strömen, manchmal verschwindet gerade der Dunst über dem Meer und die ersten Sonnenstrahlen kündigen einen heißen Tag an. Jeden Tag breche ich irgendwann auf, um auf Entdeckungstour zu gehen. Red Frog Beach. Schnorcheln. Andere Inseln. Das kleine Restaurant unten am Steg. Wie hätte ich jemals denken können, es sei schöner, diesen Ort zu übergehen? Und was hätte ich alles verpasst? Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken.
Ich habe meine Karriere geplant … ein bißchen zumindest
Karrieretechnisch bin ich eine Planerin, durch und durch. Zumindest weiß ich in der Theorie ganz genau, was ich in zehn Jahren erreicht haben will. Ich habe ein klares Karriereziel vor Augen und den Weg dahin habe ich ebenfalls schon ausgemacht. So geht es vielen jungen Frauen in meinem Alter. Frauen, die die ersten Schritte in der Berufswelt gewagt, ein erstes Studium abgeschlossen und Leidenschaften entwickelt haben. Das könnte man als ehrgeizig beschreiben – wir gehen die Dinge aktiv an und sind unseres eigenen Glückes Schmiedinnen. Man könnte jedoch auch das allzu oft bemühte Zitat hervorholen: „Life is what happens to you while you’re busy making other plans“.
Das Leben verläuft selten genauso, wie Pläne es vorsehen. Mein bisheriges Berufsleben ist das perfekte Beispiel: Erstes Studium, Festanstellung, Kündigung, Reisen, neue Stadt,
zweites Studium, Selbstständigkeit, neue Branche. Und immer, wenn ich in der Vergangenheit Risiken eingegangen bin, haben diese sich ausgezahlt und mir völlig neue Perspektiven eröffnet.
Eigentlich müsste ich es also besser wissen. Und eigentlich müsste uns allen bewusst sein, dass nicht immer alles nach Plan verlaufen wird: Es könnte ein interessantes Jobangebot auftauchen, das zwar nicht zu 100 Prozent zu unserem Profil passt, aber neue Aufgaben mit sich bringt. Unsere Bewerbungen könnten abgelehnt werden. Es könnte eine Mentorin kommen und uns empfehlen, es doch einmal in eine ganz andere Richtung zu versuchen. Wir könnten auf die Idee kommen, auszuwandern – und dort in eine völlig andere Branche geraten.
Warum es sich lohnt, Risiken einzugehen
Heutzutage arbeiten die wenigsten Menschen in genau dem Beruf, den sie einmal gelernt haben. Wir sind froh darüber – schließlich haben wir Lust auf Abenteuer. Aber wir haben auch Angst: Was, wenn das dann doch nicht der richtige Weg sein wird? Sollen wir Risiken bewusst eingehen – obwohl wir ursprünglich einen ganz anderen Plan hatten?
Aber über allem schwebt die Frage „Wie das Außergewöhnliche entdecken, wenn wir immer auf dem gleichen Pfad bleiben?“
Wie hätte ich die wunderschönen Karibikstrände Panamas entdecken sollen, wenn ich genau nach meinem Reiseplan vorgegangen wäre? Welche Erinnerungen, Geschmäcker, Düfte und Bekanntschaften wären mir verborgen geblieben, wenn ich alles wie geplant durchgezogen hätte? Immer noch gehört die Zeit in diesem Hostel auf dieser Insel zu meinen präsentesten Erinnerungen und zu den Erfahrungen, die mich am meisten geprägt haben. Wenn mein Reisestil von Spontaneität und Abenteuer gezeichnet ist – warum dann nicht auch mein Karriereweg? Natürlich hängt das auch von der individuellen Situation ab: Habe ich eine Familie zu versorgen, sehen Risiken anders aus als ohne Kinder.
Ich plädiere für Mut. Für Ausreißer. Für mehr ungewöhnliche Lebenswege, viel mehr
Smoothies, mehr Abenteuerlust. Ehrgeiz und Karriereorientierung schön und gut: Diese Werte zeichnen viele von uns aus. Wir sollten uns vornehmen, auch da flexibel zu bleiben und von Zeit zu Zeit den Sprung ins Ungewisse zu wagen – gemeinsam mit unserem Ehrgeiz. Mit dem Ziel im Kopf und dem Abenteuer im Herzen.
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