Schritt für Schritt verlieren Alleinerziehende immer mehr Rechte – und damit auch die dringend benötigte (eh schon knappe) Ressource Freiheit, schreibt unsere Community-Autorin. Dass das nicht nur ein diffuses Gefühl ist, sondern klare Ursachen in den Gesetzesänderungen der letzten 20 Jahre hat, zeigt ihre Auflistung.
Die dringend benötigte Ressource Freiheit
Die gefühlte Wahrheit ist so eine Sache. Oft sieht sie anders aus als die Fakten, wenn man genauer hinschaut. Die kollektiv gefühlte Wahrheit für alleinerziehende Mütter sieht zum Beispiel so aus: Schritt für Schritt verlieren sie immer mehr Rechte – und damit die dringend benötigte, ohnehin knappe Ressource Freiheit. Die brauchen sie aber unbedingt als Spielraum in ihrem sowieso schon auf die Minute festgezurrten Alltag zwischen Kindern, Job, Haushalt und ständigen Behörden-, Arzt-, Schul- und sonstigen Terminen.
Mit der kontinuierlichen Einschränkung ihrer Freiheiten verschlechtert sich automatisch ihre Lebenslage – das ist messbar. Zugleich werden alleinerziehenden Müttern immer mehr Anforderungen aufgebürdet, denen sie gerecht werden sollen, jedoch ohne ihnen die passenden Rahmenbedingungen dafür zu geben, um diese überhaupt realisieren zu können. Alleinerziehende sollen zum Beispiel in Vollzeit arbeiten, wissen aber nicht, wie sie das mit ihren Kita- und Schulkindern unter einen Hut bringen sollen. Sie sollen für sich private Altersvorsorge betreiben, wissen aber gar nicht, wovon sie das bezahlen sollen.
Sie sollen ihren Kindern den regelmäßigen Kontakt zu den Vätern ermöglichen, die das aber oft gar nicht wollen – Väter wie Kinder. Dabei tragen Mütter den Vätern – teils gegen ihren eigenen Willen – die Kinder regelmäßig hinterher. Wenn aber ein Kind sich verweigert, wird das verlässlich der Mutter als bewusste oder unbewusste Bindungsintoleranz angelastet. Mit Verlaub – das ist fast schizophren. (Zum Glück sind nicht alle Trennungsväter so!)
Alleinerziehende werden in die Zange genommen
Alleinerziehende (von den 2,7 Mio. Alleinerziehenden in Deutschland sind mindestens 85 Prozent Frauen) werden seit 1998 Stück für Stück immer mehr in die Zange genommen, sollen aber für das wichtigste überhaupt die vollendete Mutter sein: ihre Kinder. Das kann so nicht funktionieren.
Damit das Beschriebene nicht nur diffuses Gefühl bleibt, hier eine kleine Übersicht über die Gesetzesänderungen der letzten 20 Jahre, die für die Misere der Mütter im Jahr 2018 ursächlich sind:
1998: Gemeinsame Sorge für geschiedene Ehegatten, Gleichstellung des Umgangs von verheirateten Vätern mit nicht verheirateten Vätern
Geschiedene Mütter, bei denen die Kinder nach der Trennung bis dahin meistens lebten und auch heute noch leben, können keine Entscheidungen mehr für die Kinder allein treffen. Das führt in vielen Fällen aufgrund der notwenigen Kontakte zwischen Vater und Mutter zu Zwangsvergemeinschaftung nach Trennung auch bei Gewaltproblematiken während und nach der Beziehung oder Ehe. Die Verbindung kann nicht voll aufgehoben werden. Die Mutter kann ohne Erlaubnis des Ex nicht mehr mit Kindern umziehen – Artikel 11 Grundgesetz gilt für getrennte Mütter quasi nicht mehr.
Mütter können auch gewalttätige und schädigende Väter, Abtreibung fordernde Väter, die Schwangerschaft bekämpfende Väter, mit denen von Anfang an keine Beziehung bestand, ja, selbst Vergewaltiger nicht mehr vom Umgang ausschließen. Mütter und Kinder werden also ganz bewusst hohen Belastungen ausgesetzt – allein, um die patria potestas, das väterliche Recht, durchzusetzen. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert, wohlgemerkt.
2004: Absenkung des Haushaltsfreibetrages
Alleinerziehende und ihre Kinder werden einmal mehr finanziell geschwächt. Weniger Geld bedeutet weniger Teilhabe und damit Verdrängung aus der Gesellschaft.
2008: Streichung des nachehelichen Unterhalts
Mütter, die in der Ehe eine gemeinsam mit dem Mann beschlossene Aufteilung von Arbeit und Haushalt gelebt haben, werden nach der Trennung in die Berufstätigkeit gedrängt, sie müssen ihre ungewisse Zukunft absichern. Fatale Folge für Alleinerziehende: Sie als besonders diskriminierte Gesellschaftsgruppe finden nur schwer Arbeit auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt. Gleiches gilt für Frauen ab 40/50. Männer hingegen können sich nun ohne große finanzielle Risiken und Kosten scheiden lassen und die erste Ehefrau zum Beispiel durch eine jüngere ersetzen. Die Ehe bietet keine Gewähr mehr für soziale Absicherung und ist mit diesem Gesetz im Kern ausgehöhlt.
2013: Gemeinsame Sorge von unverheirateten Eltern per Antrag des Vaters, dem in der Regel stattgegeben wird
Mütter dürfen die Entscheidungen für ihre Kinder nicht mehr selbst treffen, selbst wenn sie die Kinder gegen den Willen des Vaters zur Welt brachten, selbst bei Gewalt und Stalking gegen sie. Sie dürfen gegen den Willen des Vaters nicht mehr umziehen. Sie werden über Umgangsrecht und Sorgerecht zwangsvergemeinschaftet und müssen einen jahrzehntelangen intensiven Kontakt zum Vater pflegen.
2016: Gesetz über verschärfte Sanktionen für Hartz-IV-Mütter, die den Vater des Kindes nicht angeben
Frauen, die aus Sicherheitsgründen (Gewalt etc. ) den Vater ihres Kindes nicht angeben möchten, werden kriminalisiert. Alleinerziehende Mütter werden in den ersten Lebensjahren ihres Kindes mit diesem Gesetz in Unterhaltsprozesse gegen den Kindsvater gedrängt, der durch die Kombination aus Kindesunterhalt und Betreuungsunterhalt für die Mutter in den ersten drei Lebensjahren üblicherweise arm wird. Das birgt enormen Sprengstoff für die weitere Beziehung. Häufig ist dies der Auftakt für weitergehende Prozesse im Familienrecht.
2018: Wechselmodell per Zwang?
Im Jahr 2018 debattieren Politik und Medien über eine Lobbyidee der sogenannten Väterrechtler*: ein per Gesetz aufzuzwängendes Wechselmodell für alle Kinder strittiger getrennter Eltern sowie Kinder, die ohne existente Beziehung zwischen den Eltern geboren wurden. Womöglich könnte solch ein Gesetz einem von hundert Kindern sogar helfen. Es nimmt aber in Kauf, dafür 99 andere Kinder in eine für sie völlig ungeeignete und ggf. kindeswohlgefährdende Situation zu schieben. 20 Jahre später sollen demnach noch einmal nachdrücklich alle – Kinder wie Mütter – dem Willen des Vaters untergeordnet werden. Das liest sich so ganz anders als die die Väterrechtler-Kampagne begleitenden Schlagworte von der Gleichberechtigung und den Kinderrechten (hinter denen sich freilich die Besitzansprüche dieser Väter „am Kind“ verstecken).
Apropos: Erstaunlicherweise trug ausgerechnet die FDP dieses Zwangswechselmodell auf die bundespolitische Bühne. Dabei will das so gar nicht zu den Liberalen und ihrem Freiheits-Mantra passen… Der Gesetzgeber hat inzwischen bereits signalisiert, dass er von solch einem Zwangsgesetz überhaupt nichts hält. Und auch die jüngste Rechtssprechung am BGH und diversen OLGs zeigt immer mehr in eine andere Richtung.
Für Alleinerziehende jedoch ist auch das voraussichtliche Scheitern dieses Lobbygesetzes keine große Hilfe – denn die eigentlichen Problemherde für Alleinerziehende werden von dieser Wechselmodell-Diskussion unnötig verdeckt und aufgehalten. Es braucht andere Lösungen, um Trennungsmütter und ihre Kinder wieder zu stärken und als gesamte Gesellschaft zu unterstützen.
*Die Väterlobby ist eine eigenartige Phalanx aus den obligatorischen Quoten-Egoisten in der FDP als politischer Arm sowie Väterrechtlern aus der misogynen Männerrechtsbewegung, deren Nähe zu rechten und teils rechtsextremen Gefilden schon 2012 in einer Studie der Heinrich-Böll-Stiftung nachgewiesen wurde.
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