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Wie Politik und Gesellschaft Alleinerziehende und ihre Kinder im Stich lassen

Auf ihrem Blog „Mama arbeitet“ schlägt Christine Finke sowohl ernste als auch humorvolle Töne an, wenn sie über ihr Leben als alleinerziehende Mutter von drei Kindern schreibt. Ihr neues Buch ist ein dringender Appell, alleinerziehende Eltern endlich nicht mehr allein dastehen zu lassen.

Überlastet, diskriminiert, besteuert nahezu wie Singles

Christine Finke ist Bloggerin, Autorin, Texterin und alleinerziehende Mutter von drei Kindern und beschäftigt sich bereits seit Jahren auf ihrem Blog „Mama arbeitet“ mit allen Facetten des Lebens von Alleinerziehenden und dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nun ist ihr Buch zum Thema erschienen, in dem sie auch politische Lösungen fordert, um die gesellschaftliche Benachteiligung von Alleinerziehenden in Deutschland endlich zu beenden. Wir haben mit ihr gesprochen.

Gab es einen konkreten Auslöser für deine Idee, deinen Wunsch, dieses Buch zu schreiben, oder war das eher eine Entwicklung der vergangenen Jahre?

„Das Thema war reif, würde ich sagen – ich hatte vor drei Jahren einem Literaturagenten ein Exposé geschickt, in dem ich ein Buch über Alleinerziehende entwarf, und man antwortete mir damals höflich, da sehe man weder Markt noch Potenzial. Und innerhalb von zwei Jahren hat sich dann gesellschaftlich ganz schön der Wind gedreht. Alleinerziehenden-Themen waren öfter mal in den Medien, auch große Parteien nahmen sich der Thematik an – und so kam es, dass im Frühjahr 2015 gleich drei Verlage auf mich zukamen und mich fragten, ob ich mir vorstellen könne, ein Buch über Alleinerziehende zu schreiben. Da musste ich nicht lange überlegen.“

Du schreibst, wir könnten uns Mutter-Kind-Kuren sparen, wenn Alleinerziehende ganz einfach im Alltag stärker unterstützt und entlastet würden – was wünscht du dir?

„In erster Linie niederschwellige, gut auffindbare Unterstützung, die mit möglichst wenig Rennerei, Telefonaten und Formularen verbunden ist. Wenn eine Alleinerziehende berufstätig ist und sich alleine um ein Kind kümmert, bleibt kaum Luft für sie selbst. Und die Zeit mit Kleinkindern und Babys ist oft auch ganz ohne Berufstätigkeit sehr fordernd. Häufig ist auch das Einkommen von Alleinerziehenden trotz der Berufstätgkeit so niedrig, dass die Frau ,aufstocken’ muss oder gerade so über die Runden kommt.

Der Haushalt ist ein Stressfaktor, der relativ leicht in den Griff zu bekommen wäre über eine staatliche Hilfe, wie ich das auch im Buch vorschlage. Jede Woche drei Stunden Haushaltshilfe anstatt alle zwei Jahre das Recht auf eine Mutter-Kind-Kur, wenn die Alleinerziehende das so bevorzugt, das sollte doch machbar sein? Finanziell wäre es jedenfalls gehupft wie gesprungen, und ich für meinen Teil würde mich enorm entlastet fühlen. Und die Alleinerziehenden, die ich auf meiner Facebook-Seite dazu befragte, fanden das auch eine gute Idee, wobei sie sich Wahlfreiheit wünschen würden: Etwa 20 Prozent hätten lieber eine Haushaltshilfe, 80 Prozent würden eine Kur wählen.“

Du schreibst, viele staatliche Familienleistungen könnte man sich auch schenken, woran denkst du dabei?

„Der größte Dorn im Auge ist mir die Steuerklasse II. Faktisch werden Alleinerziehende darin nämlich fast wie Singles besteuert, der Entlastungsbeitrag ist mit 1908 Euro pro Jahr lächerlich gering. Diese Steuerklasse ist Augenwischerei. Stattdessen sollte man die Steuern danach berechnen, wie viele Kinder in einem Haushalt leben.

Und dann müsste natürlich das Ehegattensplitting abgeschafft werden, aus mehreren Gründen: Es verhindert die Arbeitsaufnahme von Frauen, produziert Altersarmut bei Frauen, vor allem aber bevorzugt es kinderlose Ehepaare. Wir fördern die Ehe, nicht aber die Kinder, das finde ich grundfalsch! Ich denke mittlerweile, eine Kindergrundsicherung wäre eine gute Idee. Und teurer als all die vielen verstreuten Maßnahmen, die es heute gibt, wäre sie auch nicht.“

„Wir haben ein Imageproblem“, heißt es zu Beginn deines Buches – worin besteht dieses Imageproblem?

„Alleinerziehende sind irgendwas zwischen unsichtbar und schwarze Schafe. Kaum jemand nimmt wahr, wie unglaublich anstrengend es ist, alleine für ein oder mehrere Kinder zu sorgen. Gleichzeitig wird aber häufig unterstellt, die Alleinerziehenden hätten doch ,selbst Schuld’, ,das alles so gewollt’, ,die Dinge nicht im Griff’ und würden nur jammern.

Eltern werden heute sowieso sehr genau beobachtet und stehen unter starkem gesellschaftlichem Druck. Bei Alleinerziehenden ist beides noch extremer: Alles, was falsch läuft, wird auf den Alleinerziehendenstatus zurückgeführt. Wir wollen ja keinen Orden, aber ein bisschen Wohlwollen und Respekt wären schon ganz nett!“

Du schreibtst darüber, wie wütend dich die vielen Vorurteile und dummen Sprüche über Alleinerziehenden machen – kannst du kurz umreißen, was dich besonders wütend macht?

„Die schiere Ignoranz. Da werden, wie so oft, eigene Vorurteile auf andere übertragen. Mir wurde zum Beispiel nach der Trennung deutlich gesagt, dass ich meinen Mann bestimmt zu oft alleine gelassen hätte. Dabei verhielt es sich so, dass ich ihn verlassen hatte und nicht umgekehrt.

Und gerade sehr konservative, katholisch geprägte Menschen sagen mir direkt ins Gesicht, dass ich ja offenbar bei der Auswahl des Ehemannes etwas falsch gemacht hätte, und nun die Folgen tragen müsse. Dass man sich doch heute viel zu leicht trenne, und ob man denn bei der Trennung gar nicht an die Kinder gedacht habe. Anstelle von Verständnis und Hilfe bekommen wir Vorurteile um die Ohren gehauen. Dann soll man lieber gar nix sagen als solche einfühllosen Sprüche!“

Du listest auch ein „Bullshit-Bingo“ auf, also die Reaktionen, die kamen, als du und andere Frauen von der Trennung berichteten…woran liegt es deiner Meinung, dass kaum jemand zu vorbehaltsloser Empathie in der Lage ist?

„Angst. Es ist ähnlich wie bei Familien, die Angehörige durch schwere Krankheiten verlieren oder verloren haben – die Menschen wollen sich gerne einreden, dass ihnen das nicht passieren könne. Und von daher ist es wohl menschlich, kurzschlussartig nach Gründen zu suchen, warum sich Paare trotz gemeinsamer Kinder trennen. Der Mensch muss immer einen Sinn finden, und notfalls denkt er sich mit den ihm zur Verfügung stehenden Erfahrungen einen Sinn aus.“

Wir haben vor kurzem einen Text von Katja Hentschel bei uns veröffentlich, in dem sie von den Vorzügen des Alleinerziehendseins schreibt, bei ihr klingt das alles so locker und leicht. Kannst du ihre Sicht nachvollziehen oder ärgert dich das, weil eine Art „Luxus-Alleinerziehend-Sein“ geschildert wird? Schließlich schreibst du in deinem Buch darüber, dass die typische Mischung im Leben von Alleinerziehenden Erschöpfung und soziale Isolation ist?

„Ich finde das toll und habe diesen Text auch auf meiner Facebook-Seite geteilt, weil ich denke, dass positive Vorbilder sehr wichtig sind und auch vielen Alleinerziehenden Mut machen. Super, dass die Frau es so gut getroffen hat, ich freue mich für sie!

Natürlich ist sie privilegiert, weil sie nur ein Kind hat, das noch in einem Alter ist, in dem sie es auf Reisen mitnehmen kann, und weil sie sowohl ein Kind hat, das unkompliziert ist, als auch einen Job, der sich dafür eignet. Aber trotzdem sind solche Frauen für mich echte Lichtblicke.“

Was ist es, das Alleinerziehenden vor allem fehlt? Du schreibst, es sei nicht unbedingt ein Partner? Was ist es, das dir persönlich am meisten fehlt?

„Mir fehlen, wie auch den meisten Alleinerziehenden, die mir bei der Recherche zum Buch antworteten, Zeit für mich und ein weiterer Erwachsener, mit dem ich reden könnte, ein ,Partner in Crime’, der mich auch mal in den Arm nimmt. Das muss kein fester Lebenspartner sein, dafür hätte ich auch gar keine Zeit – einfach jemand, der einen gelegentlich auffängt und moralisch unterstützt.

Immer alleine die Verantwortung für die Kinder zu tragen, manchmal auch noch gegenüber einem feindselig gestimmten Exmann die Nerven bewahren müssen, finanzielle Sorgen zu haben und nie abschalten zu können, das schlaucht unheimlich: Ich lebe in ständiger Rufbereitschaft und habe niemanden, der sich für das Wohlergehen der Kinder interessiert. Oder gar für meines.“

Wie lautet dein wichtigster Rat an Alleinerziehende, die das Gefühl haben, es nicht mehr zu schaffen?

„Spring über deinen Schatten und hol dir Hilfe. Es ist kein Makel, zum Therapeuten zu gehen, sich beim Jugendamt und anderen Stellen Unterstützung zu holen, den Nachbarn gegenüber offen zuzugeben, dass es dir schlecht geht und dir alles zuviel wird. Und sämtliche Gedanken an Perfektionismus möglichst rasch über Bord werfen.

Dein Wohlergehen ist der Schlüssel zum Wohlergehen deines Kindes. Stell dich und deine Bedürfnisse nicht immer hintenan, das ist eine Falle!“

Christine Finke: Allein, alleiner, alleinerziehend. Wie die Gesellschaft uns verrät und unsere Kinder im Stich lässt. Bastei Lübbe (Lübbe Hardcover), März 2016, 240 Seiten, 14,99 Euro.

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