Mann und Frau, eng umschlungen auf dem roten Fußboden.
Foto: Amorelie

Don’t talk about Elternsex

Sobald Kinder geboren werden, ist es aus mit der Erotik? Sex, Drugs & Rock ‘n’ Roll münden in Windelschlacht und Schlafentzug? Unsere Redakteurin sagt: Eltern sind immer noch Menschen. Und die haben Sex.

Planen war nie mein Ding: Was ich an Silvester mache, hab ich immer an Silvester entschieden. Monate im Voraus den Urlaub zu buchen, kam nie in Frage. Ein Tag war gut, wenn ich am Morgen nicht wusste, was der Abend brachte. Und: Ich hatte nie geplante Sex-Dates mit meinem Freund! Sex ergab sich aus dem Moment und ich wollte das auch nie anders.

„Mittlerweile mag ich die Narbe“

Dann wurde ich schwanger. Zweimal, kurz hintereinander. Die Geburten liefen ein bisschen anders als gedacht: zwei Notkaiserschnitte, an die mich heute eine schwer zu versteckende Narbe erinnert. In der ersten Zeit fand ich sie schwierig, diese taube Fläche ober- und unterhalb des Schnittes. Mir war vorher nicht klar, dass ich mich nicht nur an mehr Menschen gewöhnen muss nach der Geburt, sondern auch an mich selbst, innerlich wie äußerlich. Und ja: In der ersten Zeit mit Säugling ist an Sex irgendwie nicht zu denken. Macht vielleicht auch der Körper, der sich mit aller Hormonmacht in Richtung Kind dreht. Zu sagen, dass Kinder zu bekommen vor allem Freiheitsverlust bedeutet, finde ich aber zu einfach. Es ist eher so, dass da ziemlich viel passiert, in was wir reinwachsen müssen. 

Mittlerweile mag ich die Narbe. Manchmal, nachdem wir Sex hatten, streicht mir P. darüber, schüttelt ungläubig den Kopf und sagt: „Absurd, dass die beiden Monster da rausgekommen sind“. – Heute sind sie fünf und sechs.

Eine andere Art Sex

Mit den beiden Mini-Monstern zogen wir in eine schlauchartige Wohnung mit zwei kleinen Kinderzimmern und ohne Schlafzimmer für die Eltern. Schlechtes Zeichen in Sachen Sexleben? – Nö.
Mir haben Räume mit Ehebett, identischen Nachttischchen links und rechts, Leselampen, Pantoffeln auf beiden Seiten und aufgeschüttelten Daunenkissen immer eher Angst gemacht. No Judgement, wer das machen will, soll das unbedingt tun. Ich brauche aber den eigenen Raum, auch wenn der nach Abstellkammer aussieht. Hier sind meine Bücher, meine Elektro-Platten und ein Bett. Ähnlich wie bei P. Ähnlich wie vor dem Zusammenziehen, als wir uns immer besucht haben und – naja – eine andere Art Sex hatten. Mehr? Bestimmt. Aber auch weniger kreativ.

Drei Minuten

Sex hat was mit Spontanität zu tun! Wir waren nicht so lang zusammen, bevor das erste Kind kam. Aber die Zeit, in der wir zusammen waren, bestand aus diesen Momenten – in Küchen, Umkleidekabinen, auf Friedhöfen (ja). So wollten wir das auch nach den Geburten haben. Da kam uns nur eine Kleinigkeit dazwischen: Der Alltag. Der Alltag ist ein Riesenmaul, das die verbleibende Zeit vollkommen verschluckt. Plötzlich vergingen Wochen, ohne dass wir uns berührt hatten. Stattdessen ein alles betäubender Rausch aus Arbeit, Bringen, Abholen, Aufräumen, Einkaufen – und Unhappiness.

In meine Timeline wurde der Begriff „Elternsex“ gespült. Puh. Schlimmes Wort! Was damit gemeint ist? Ich fürchte, es sind die drei Minuten zwischen Homeoffice, Windelwechseln, Wäsche und Essen machen, in denen die Kinder mal abgelenkt sind und das Badezimmer frei ist. Waren wir wirklich schon so weit? Alles in mir sträubte sich dagegen.

Neue Sprache, neues Sexleben

Jemand sagte: „Verabredet euch doch!“ Ich schaute den an und fragte zurück: „Zum Sex? Wie unsexy!“ Bloß, was war die Alternative? Dass wir in die Kategorie „Elternsex“ passen und uns darüber beim Elternabend in unserer Kita mit zwölf anderen verzweifelten Paaren unterhielten? Ok: Überredet.

Das Gute ist, dass wir beide etwas verändern wollten. Aber keine*r von uns wollte in den gemeinsamen Kalender die hübsche Zeile „Freitag, 21 Uhr, Sex A. und P.“ notieren. Also musste eine neue Sprache her. Eine, die nur wir verstanden und sonst niemand. Die Kinder nicht. Und die zwölf Elternpaare aus der Kita auch nicht.

Das Code Word

Ich sage also nicht zu P.: „Wie wär’s mit Sex am Freitag?“ Ich sage: „Freitagabend Gin Tonic?“
Er kauft ein, ich mixe. Wir haben daraus eine kleine Wissenschaft gemacht – vielleicht, um vom Eigentlichen abzulenken, also so eine Art Vorspiel. Gin. Und Tonic. Mischverhältnis 1:4.
Neulich gabs eine Überraschung. Da durfte ich erst ins Wohnzimmer, nachdem wir die Kinder ins Bett gebracht hatten. P. hatte den kleinen Tisch zur Mini-Bar umfunktioniert, Erdbeeren lagen drumherum.
Aus dem Laptop kamen Geräusche, Stimmen von Menschen, Hintergrundkulisse, Barbetrieb, gibt’s alles bei Youtube. Diese Stimmung mitten in der Pandemie zu erzeugen, funktionierte (nach zwei Gin Tonics) durch die Lautsprecherboxen erstaunlich gut.

Am Anfang tun wir so, als wär‘s wie immer. Wir lassen uns vollkommen erledigt von der Arbeit, den Kindern und der Welt aufs Sofa fallen, schauen ein paar Trailer und irgendwann landet eine Hand auf der Mitte des * der anderen. Irgendwo flackert eine Kerze. Manchmal sehen wir aus den Augenwinkeln, dass zwei Menschen auf dem Bildschirm gerade dasselbe tun. Aber da sind wir längst woanders. 

Wenn ich die Begriffe „Eltern, Sex“ google, dann stoße ich auf solche Überschriften: „Gibt es tatsächlich Eltern, die noch Sex haben?“ oder „Die nackte Wahrheit über Elternsex“. Das alles in Nischen-Magazinen, nicht die große Medienbühne. Warum eigentlich? Und warum so negativ? Ich meine, kann man darüber nicht sprechen, ohne dass Mario Barth überall durchschimmert?

Es geht um das Spiel

Später, als P. mir also über die Narbe streicht und sich wundert und wir (liebevolle) Witze machen über die beiden kleinen Monster, die gerade tief und fest schlafen, fragen wir uns, warum das nicht noch öfter so sein kann. Es geht ja nicht darum, gut planen zu können. Es geht darum, so zu tun, als könne man gut planen! Es geht um das Spiel. Sich selbst nicht so ernst zu nehmen. Über Fehlversuche zu lachen. Über die Erwartungen zu lachen. Und sich immer wieder an den Grund zu erinnern, aus dem wir zusammen sind.

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