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Geburt unter Pandemiebedingungen: Wie haben so viele Menschen das ohne Begleitperson überhaupt geschafft?

Autor*in
Lara Aylin Küpers

Unsere Community-Autorin hat während der Corona-Pandemie ihr erstes Kind bekommen, ihr Partner durfte nicht mit auf die Wochenbettstation. Ein Jahr später will sie ihre Gefühle von Wut und Panik bis zu Einsamkeit und Vernachlässigung nicht mehr länger als übertrieben abtun.

Ich werde wach. Das Krankenhauszimmer liegt mittlerweile im Dunkeln. Neben mir schläft mein kleiner Sohn. Er hat heute Geburtstag. Mein Körper fühlt sich irre an. Mein Verstand hinkt hinterher. Ich bin fertig. Erleichtert. So müde. Überall Muskelkater. Vor allem in den Armen? Und die Hüfte. Meine Bauchmuskeln haben auch erst mal Ferien, merke ich, als ich versuche, mich aufzurichten. Es geht nicht. Ich habe so ein Gefühl, dass die Riesen-Binde, die die Hebamme mir vorhin gab, schon komplett durchgeblutet ist. Wechseln wäre schön.

Zum Glück gibt es ein Bad hier im Raum. Aber das sind trotzdem zwei Meter und wie soll ich die schaffen? Außerdem ist es immer noch dunkel. Wo ist der Lichtschalter? Da sind viele Knöpfe auf der linken Seite meines Bettes, auch ein leuchtend roter. Ich vermute, dass man damit eine Art Alarm auslöst. Aber das wäre ja jetzt übertrieben. So sitze ich lange im Dunkeln und lausche den ungewohnten Geräuschen eines Neugeborenen.

Wie viel Zeit vergangen ist, weiß ich nicht, mein Handy ist in der Tasche neben der Tür, in unerreichbarer Ferne. Also drücke ich doch irgendwann den roten Knopf und warte. Schritte nähern sich, die Tür geht auf, eine Krankenschwester fragt, ob es ein Problem gebe. „Ja“, sage ich. Ob sie mir zeigen könne, wo der Lichtschalter ist? Entgeistert starrt sie mich an. Sie haut auf den Schalter neben der Tür, das Licht geht an. Für so was sei sie eigentlich nicht zuständig! Sie habe schon genug zu tun und es gebe hier auf Station auch Frauen, die einen Kaiserschnitt hatten, die bräuchten wirklich Hilfe. Mir kommen die Tränen und ich erkläre ihr, dass ich ganz neu bin auf der Wochenbettstation und nicht weiß, wie hier irgendetwas läuft. Sie ist plötzlich ganz nett und hält auch das Baby, während ich wackelig auf Toilette gehe. 

Geburt im Lockdown

Im April 2020, mitten in der ersten Welle der Pandemie, bekam ich mein erstes Kind. Gut ein Jahr später versuche ich immer noch, das Erlebte einzuordnen – und bin wütend über die Entscheidungen einiger Kliniken. Mein Partner und ich konnten die Geburt gemeinsam erleben. Das ist in der Pandemie nicht selbstverständlich. Die Tage nach der Geburt verbrachte ich allein im Krankenhaus. Das klingt zuerst nach keiner großen Sache. Ich habe auch den Impuls, alles herunterzuspielen. Hätte ich nicht für ein paar Tage die Zähne zusammenbeißen können?

Doch welche Botschaft sendet ein Kreissaal- oder ein Besuchsverbot für Begleitpersonen? Frauen müssen leiden können? Stellt euch nicht so an? Es geht nicht darum, die schlimmste Geschichte zu erzählen, sondern um die Sichtbarkeit und den Schutz der systemrelevantesten aller Arbeiten. Nicht umsonst heißen Wehen im Englischen „labour“. Dafür lohnt es sich, mein Gefühl der Vernachlässigung nicht als normal abzutun, sondern meine Geschichte zu erzählen. 

Als in Deutschland das öffentliche Leben zum Erliegen kam, hatte für mich gerade der Mutterschutz begonnen. Ich war sehr schwanger. Es waren noch sechs Wochen bis zum errechneten Geburtstermin. Diese letzte Phase der Schwangerschaft lässt sich ganz gut mit „Warten und Klarkommen“ beschreiben. Warten, bis es losgeht. Klarkommen mit der Geburt als Tatsache. Klarkommen mit der Ungewissheit, wie sich diese genau gestalten würde. Im Frühling 2020 bekam „Warten und Klarkommen“ für Schwangere eine ganz neue Bedeutung. Das Besuchsverbot in Krankenhäusern wurde beschlossen. Und damit begann das nervenaufreibende Warten auf Neuigkeiten aus den Krankenhäusern. Waren Begleitpersonen im Kreissaal noch erlaubt? Ab welcher Phase der Geburt? Durften sie bei einem Kaiserinschnitt mit in den OP? Wie sah es mit der Wochenbettstation aus? 

Begleitpersonen sind ein Luxus

Auf den ersten Artikel stieß ich durch Zufall. Kliniken in Leipzig und Bonn erlaubten keine Begleitpersonen mehr im Kreißsaal. Ich war für den Rest des Tages zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich litt mit den Frauen, die umgeben von fremden Menschen in Maske „einfach loslassen“ sollten. Und mit den Partner*innen, die die Geburt ihres Kindes verpassten. Ich las jeden Artikel zu dem Thema. Es löste in mir Wut und Panik aus, aber ich konnte es nicht lassen. 

Die sogenannte „wirksame Kommunikation“ ist laut der Weltgesundheitsorganisation WHO ein Schlüssel für eine gute Geburt. Frauen bewerten eine Geburt als nachhaltig positiv, wenn sie ein Gefühl von Selbstbestimmung und respektvollem Umgang erfahren – selbst wenn schwierige Interventionen notwendig sind. Ausdrücklich schließt die WHO in ihre Definition einer guten Geburt auch die emotionale Unterstützung einer Begleitperson der Wahl ein. Ihre Anwesenheit kurbelt die Produktion des Hormons Oxytocin und damit die Wehentätigkeit an. Leider ist es scheu. Es entfaltet sich am besten in einer entspannten, sicheren und vertrauensvollen Umgebung. Wird es gestört, fällt zum Beispiel ein unachtsamer Satz oder eine Tür laut zu, ist das Gefühl dahin.

Schmerzlindernde Endorphine werden zu Stresshormonen. Wer schon mal versucht hat, in gestresstem Zustand guten Sex zu haben, weiß wie aussichtslos das ist. Ganz ähnlich verhält es sich beim Gebären. Es kann zu einem Geburtsstillstand und damit weiteren medizinischen Interventionen bis hin zur Operation kommen. Also mehr Personal und Betten – was nicht im Sinne des Infektionsschutzes sein dürfte. Im Falle einer Coronainfektion trügen außerdem wahrscheinlich beide Partner*innen das Virus in sich. Bei all dem Wissen um die „Best Practice“ drängt sich die Frage auf, weshalb in der Krise für manche Kliniken die Begleitperson plötzlich optional war. Ist das nur ein Luxus, den wir uns leisten? 

Als es bei mir so weit war, waren alle Kreißsäle belegt und die Hebammen sehr beschäftigt. Uns wurde ein kleiner Untersuchungsraum zugewiesen. Dort verbrachte ich die Stunden damit, mich auf meinen Partner zu stützen und in einem Meer aus Wehen den regelmäßigen Atem nicht zu verlieren. Einmal in der Stunde steckte jemand den Kopf zur Tür hinein und schaute, wie es lief. Ich weiß nicht, wie ich diese Situation allein hätte meistern sollen. Als wir in einen freien Kreißsaal wechselten, hatte ich die volle Aufmerksamkeit mehrerer Hebammen. Trotz Rush-Hour im Kreißsaal war die Geburt für mich ein positives Erlebnis. Ich sollte zur Kontrolle einiger Werte meines Sohnes noch ein bisschen bleiben. Mir war es recht, ich wollte einfach nur schlafen. Mein Partner durfte auf der Wochenbettstation nicht dabei sein. Wir verabschiedeten uns am Aufzug. Es wurden dann vier Tage, in denen wir uns nicht sahen. 

„Die Ärztin schaute mir lange schweigend zu und sagte dann: ,Sie haben jetzt nun mal einen neuen Chef.‘ Dass mich nicht mein Baby, sondern fehlender emotionaler Halt und praktische Unterstützung traurig machten, schien sie nicht zu sehen.“

Lara Aylin Küpers

Nach der ersten Begegnung mit der Krankenschwester und dem Lichtschalter war mir schnell klar, dass ich dort allein aufgeschmissen war. Nach einer vaginalen Geburt soll man eigentlich nur in Ausnahmefällen aufstehen. In den ersten Tagen ist das auch, wie bereits beschrieben, eine aufwändige und schmerzintensive Beschäftigung. Doch wie mir eine Schwester erklärte, nachdem ich sie bat, mir noch einmal die richtige Wickeltechnik zu zeigen: Ich solle den roten Knopf bitte nur dann betätigen, wenn ich oder mein Baby ein medizinisches Problem hätten. Subtext: „Ich habe keine Zeit, mich jetzt auch noch um dich zu kümmern.“

Verständlich mit Blick auf ihre Arbeitsbedingungen. Eine Ohrfeige für mich. Also Aufstehen, gegen den Widerstand jede Faser in meinem Körper. Gründe gab es genug: Wickeln, Binde wechseln, Wasser holen, Stillen. Und unverständlicherweise stellten die Krankenschwestern das Tablett mit dem Essen immer auf einen Tisch am anderen Ende des Zimmers. Am zweiten Tag kam die Kinderärztin selbst ins Zimmer, um mir zu sagen, dass der Infektionswert meines Sohnes leicht gestiegen sei. Erst jetzt erklärte sie mir in verständlichen Worten, wie gefährlich das war. Wir sollten noch bleiben, wie lange war unklar.

Ihre Augen über der Maske beobachteten mich. Ich hatte mir vorgenommen, nicht vor ihr zu weinen. Aber sie ging einfach nicht. Na dann, dachte ich und weinte los. Nach sechsunddreißig Stunden mit nur drei Stunden Schlaf war für mich das Ende der Durchhaltekapazität erreicht. Die Ärztin schaute mir lange schweigend zu und sagte dann: „Sie haben jetzt nun mal einen neuen Chef.“ Dass mich nicht mein Baby, sondern fehlender emotionaler Halt und praktische Unterstützung traurig machten, schien sie nicht zu sehen. Ich war sicher, von da an war ich nur noch als das heulende Elend aus Zimmer 19 bekannt. 

Heute, nach fast einem Jahr, frage ich mich noch immer, ob ich nicht einfach zu sensibel war. Die Frauen meiner Elterngeneration waren jedenfalls nicht sonderlich schockiert, als ich von meinem Krankenhausaufenthalt erzählte. „Hauptsache gesund!“ sagten sie und kamen dann mit eigenen Geschichten um die Ecke, die sich nur mit „Gewalt in der Geburtshilfe“ betiteln lassen. Ist es das, worauf Gebärende im Ernstfall zurückgeworfen werden? Hauptsache, dem Kind geht es gut? Wer so denkt, ignoriert, dass Geburt kein isoliertes Ereignis ist. „Wie Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Lebensjahr nach der Geburt des Kindes erlebt und verarbeitet werden, prägt die Gesellschaft“, sagt Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes. „Wir legen heute den Grundstein für das gesellschaftliche Zusammenleben der Zukunft.“ 

„Wer einen Säugling langfristig gut versorgt sehen möchte, sollte sich um das Wohlbefinden der Mutter kümmern, auch in einer Krise. Solche Sorgearbeit ist den Pflegekräften in unserem derzeitigen Gesundheitssystem nicht möglich. Aber man kann sie wenigstens outsourcen – an Begleitpersonen.“

Lara Aylin Küpers

Weil es mir keine Ruhe ließ, fragte ich die Chefärztin der Gynäkologie meines Krankenhauses, weshalb die Regelung für Begleitpersonen auf der Wochenbettstation schließlich doch geändert wurde. Ihre Antwort tat gut. Es sei sehr traurig, aber meine Entbindung fiel genau in den kurzen Zeitraum, in dem absolut kein Besuch erlaubt war. Sie habe sich damit nicht wohlgefühlt und gegen die Empfehlung des Senats Begleitpersonen bald wieder zugelassen. Sie empfand es als grausam, die Familien zu trennen. Und überhaupt, welches Licht werfe das auf ihre Einstellung – dass im Ernstfall doch alles an der Frau hänge und die Rolle der Partner*innen zu vernachlässigen sei? Sie wisse, wie einsam es allein auf Station sei und hoffe, es gehe mir gut. Und so ist es mal wieder effektive Kommunikation, die den Unterschied macht, wenn auch mit Verspätung. 

Wer einen Säugling langfristig gut versorgt sehen möchte, sollte sich um das Wohlbefinden der Mutter kümmern, auch in einer Krise. Solche Sorgearbeit ist den Pflegekräften in unserem derzeitigen Gesundheitssystem nicht möglich. Aber man kann sie wenigstens outsourcen – an Begleitpersonen. Wie auch schon im Kreißsaal, sind Partner*innen auf der Wochenbettstation nicht nur zum Spaß da. Sie übernehmen eine wichtige Rolle. Sie sorgen dafür, dass die Wasserflasche am Bett niemals leer ist. Sie holen das Ladekabel aus der Tasche neben der Tür. Sie heben das Baby in eine günstige Stillposition. Überhaupt halten sie das Baby, wickeln es, ziehen es um, wiegen es in den Schlaf. Sie geben der Mutter Gelegenheit, durchzuatmen – und vielleicht duschen zu gehen. Sie bringen den Stapel leerer Geschirrtabletts zum Wagen am Ende des Flurs. Sie gehen mit dem Baby zur*m Kinderärzt*in ein paar Türen weiter. Sie können sich dort all die Informationen viel besser merken. Sie begeben sich in einem dunklen Raum auf die Suche nach dem Lichtschalter. 

Lara Aylin Küpers ist 32 Jahre alt und lebt in Berlin.

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