„Du isst so viel”, wird unserer Community-Autorin Vanessa regelmäßig an den Kopf geworfen. Als Beleidigung, als Warnung, als Ratschlag. Genug damit – warum wir aufhören sollten, ständig die Körper der Menschen um uns herum zu regulieren, schreibt sie hier.
Eine Lady isst nicht so viel
Ich kann eigentlich sehr gut damit umgehen, wenn jemand etwas an mir nicht mag. Finde ich. Man kann ja nicht mit der ganzen Welt befreundet sein, geschweige denn will man das. Aber, es gibt diesen einen Kommentar, den halte ich überhaupt nicht aus: Du isst so viel!
Er kommt immer mal wieder. Meistens in WG-Küchen, manchmal in Restaurants, ganz selten auch bei Wanderungen oder Ausflügen. Aber trotzdem, mit einer auffälligen Regelmäßigkeit. Immer in leicht anklagendem Ton, erschrocken, überrascht, der Vorwurf nie zu überhören. Du Isst So Viel!
„Du isst so viel”, kommentierte zum Beispiel meine letzte Mitbewohnerin meine 300g-Portion Spagetti, bevor sie sich selbst an drei Esslöffel Haferflocken mit Kakao machte. „Du isst so viel”, sagte die Mitbewohnerin davor, schob eine halbe Aubergine in den Ofen und beäugte während des Wartens auf ihr Gemüse meine Familienportion Eintopf, den ich bis dahin zufrieden löffelte – und das mit einem Ausdruck, den man wirklich nur als entsetzt bezeichnen kann. „Du isst so viel”, sagt der Mann, nachdem ich eine halbe Packung Parmesan auf meinen Nudeln verteilt habe und mich danach genüsslich an den Nachtisch mache. Na gut, er sagt es mehr bewundernd, das ändert aber nichts daran, dass es mich trotzdem immer wieder verfolgt: Anscheinend Esse Ich So Viel.
Wo is(s)t das Problem?
„Ignorier das doch”, „mach dich nicht fertig”, „ist doch völlig egal”, solche Floskeln rufen mir jene entgegen, die üblicherweise Anlaufstelle Nummer Eins für Beschwerden und Reklamationen meinerseits sind. Viele verstehen nicht, wieso der Satz: „Du Isst So Viel” mir so viel Sorge bereiten kann. Manchmal verstehe ich es selber nicht.
Bis mir dann ein paar Dinge auffallen: Ein verachtendes: „Du isst so viel”, kommt in der Regel aus zwei Richtungen auf mich zu. Einerseits meinen viele (viel zu viele!) Mädchen und Frauen, dass ich zu viel esse. Andererseits erklären mir immer mal wieder Typen, dass das irgendwie komisch sei. Nicht alle Typen, aber auch nicht irgendwelche: Mit ziemlicher Sicherheit genau die, die genau wissen, wie viel eine Frau sonst zu essen hat. Wenig nämlich.
Und genau das finde ich komisch: Solange Du nicht meine Ärztin bist, solange Du nicht für mein Essen bezahlen musst, solange es mein Körper und nicht deiner ist – kann dir das dann nicht egal sein? Woher kommt dieses Bedürfnis, immer wieder kommentieren zu müssen, dass ich viel esse? Muss es kontrolliert werden, gibt es eine Menge, die allgemein anerkannt ist und für gut befunden wurde, sollte jeder Mensch gleich viel essen oder gibt es die ideale Portionsgröße pro Mahlzeit pro Tag, die eingehalten werden soll?
Es wird mit zweierlei Maß gemessen
Die Aussage: „Du isst so viel” ist für mich eine Art, die Körper anderer zu regulieren. Frauenkörper, meistens, denn, seien wir ehrlich, wenn Männer viel essen, werden sie stark. Wenn Frauen viel essen, werden sie dick (und das will ja nun wirklich niemand!)
Bei jedem Einkauf im Supermarkt schreit mir ein ganzes Regal von Frauenmagazinen entgegen, dass ich die neueste Diät ausprobieren soll. Die Fitness-Zeitschriften erklären mir die zehn „supersten Foods”, die sich ihr Marketing in diesem Monat gerade ausgedacht hat. Auf der Joghurt-Packung wird beteuert, dass jetzt extra wenig Fett drin ist. Nirgendwo steht, dass eine ausgewogene Ernährung nicht nur aus Chia Samen und Goji Beeren besteht (no disrespect, ich steh ja eh auf Chia und Goji). Dass es oft nicht so sehr auf die Menge ankommt wie auf den Inhalt. Dass Kalorien gut sind. Dass wir sie schließlich brauchen, so zum Leben.
In Wahrheit ist es eine Platzfrage. Alles will mich kleiner machen, ich soll dünner, zierlicher, petite sein. Süß, niedlich, weiblich. „Du isst so viel” will mich schrumpfen. Nur, dass ich das nicht will.
Ja, ich esse viel!
„Du isst so viel”, und ich verspeise noch einen Löffel Mousse au Chocolat. „Du isst so viel”, ich gönne mir einen Nachschlag. „Du isst so viel!”, ich schnipple mehr Kürbis in mein Curry. „Du isst so viel!”, ich reibe fleißig weiter Parmesan. Weil, ja, verdammt, Ich esse viel – und gerne!
Manchmal will ich mich verteidigen: „Ja, aber ich hatte kein Frühstück.”, „Ja, aber ich mache ja viel Sport.”, „Ja, es ist Prüfungszeit.”, „Ja, aber sonst baue ich keine Muskeln auf!” „Ja, aber, ja, aber, ja, aber.” Dann bemühe ich mich, das aber in ein und zu verwandeln: „Ja, und?”
Ich esse viel. Viel und gerne, mit Freude und Leidenschaft. Magst Du das vielleicht auch einmal ausprobieren? Wir können ja gerne mal gemeinsam was kochen.
Dieser Artikel ist zuerst auf Vanessas Blog erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.
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