Foto: Tom Pumford | Unsplash

„Egal was diese Frau leistet, sie ist hässlich und dick!“ Über einen weit verbreiteten Reflex

In ihrer Thirtysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche über die Selbstverständlichkeit, Frauen über ihre Körper anzugreifen.

„Sie war jenseits aller Ideen zuwider“

Erdreistet sich eine Frau in der Öffentlichkeit zu stehen, etwas Außergewöhnliches zu leisten, oder einfach nur atmend an jemandem vorbeizugehen, dann passiert früher oder später folgendes: sie trifft auf einen Mann, den das derart pikiert, dass er beginnt verbal um sich zu schlagen. Beliebtestes Ziel: Ihr Aussehen, und ganz explizit ihr Körper. Nach dem Motto: „Es ist mir egal, was du zu sagen hast, was du geleistet hast oder warum du glaubst, hier mitspielen zu können, denn du bist hässlich und fett!“

Genau dieser Reflex war in seiner Reinform auch Ende Mai 2018 in einem Kommentar des ehemaligen Chefredakteurs und Herausgebers der österreichischen Tageszeitung die „Presse“, Thomas Chorherr, zu lesen, der wohl eigentlich vorhatte, seine Verwunderung über den diesjährigen Eurovision Song Contest auszudrücken, was generell bei einer Veranstaltung wie dem ESC nicht weiter nennenswert wäre, sich dann aber erst einmal über mehrere Absätze an der Gewinnerin „Netta“ abarbeiteten musste. Ohne Sinn, ohne jeden Verstand, aber mit sehr viel offenem Ekel, den man, selbst wenn man bewusst wahrnimmt, dass Diskriminierung als Grundton permanent durch die Medienlandschaft hallt, seines Gleichen sucht. Der Fakt, dass eine dicke Frau einfach so den Sieg abräumte, ließ ihn offensichtlich vollkommen fassungslos zurück – was aber niemanden davon abhielt, folgende Sätze abzudrucken:

„Sie war anders. Sie war nicht das, was sich bei einem internationalen Ereignis, einem musikalischen Großevent präsentieren könnte. Die Vertreterin Israels, die dieses Musikereignis in ihr Land holen konnte, war anders, ganz anders. Sie war nicht das, was man sich unter der Gewinnerin eines so internationalen Wettbewerbes, der in der halben Welt umjubelt wird, vorstellt. Sie war – eben anders. Ganz anders. Sie war hässlich. Sie war dick. Sie war jenseits aller Ideen zuwider. Sie war abgrundtief schiach.“

Diskriminierung? Ist doch ganz normal!

Fragte sich, spätestens in der Schlussredaktion, wirklich niemand, ob hier nicht Grenzen überschritten werden? Scheinbar nicht, alles ganz normal. Das wird man doch wohl mal sagen dürfen!

Hässlich ist ganz sicher nicht die Gewinnerin des ESC, sondern diese vollkommende Ungeniertheit, mit der sich ein Journalist an einer Frau und ihrem Aussehen abarbeitet, die einem, wenn die Galle nicht hochkäme, fast schon Respekt abverlangen würde. Einmal aufstehen und das Selbstbewusstsein haben, allen ernstes zu glauben: Ich bestimme hier, wer warum einen Preise verdient, wer überhaupt verdient, irgendwie in Erscheinung zu treten! Diese absolute Selbstverständlichkeit, dass diese würdelose Passage, die nicht einen Funken journalistischen Wert hat, dennoch derart wichtig ist, dass sie in die Welt geschickt werden muss.

Demütigung beendet eine Auseinandersetzung

Die Frage, die sich mir dabei am deutlichsten aufdrängt, ist aber: Was an ihr geht ihm also so nahe, dass er derart in Rage gerät – anders ist der Ausbruch darüber, dass eine Frau, die offensichtlich nicht seinen Schönheitskriterien genügt, die gar, auch das wurde nicht ausgelassen, nicht einmal „(…) als abschreckende Figur einer negativen Karikatur des Andersseins hätte dienen können.“, nicht zu deuten. Er selbst hingegen orakelt vom Unmöglichen im Möglichen, das mit diesem Sieg, ja überhaupt mit der Aufstellen der Sängerin, demonstriert wurde.

Was ist diese Unmögliche? Dass sich die Welt verändert hat und Frauen nicht mehr alleine deshalb eine Daseinsberechtigung haben, weil sie gefallen? Eine Welt, auch das verwundert ihn, in der Österreich selbst dann viele Punkte gegeben werden, „obwohl das Land einen Farbigen ins Gefecht zu schicken gewagt hatte.“? Ist es die Angst, dass das, was einst als selbstverständlich, wichtig und rechtmäßig beurteilt wurde, nicht mehr so viel zählt, wie in dem Dorf, in dem man es sich doch so lange gemütlich geistig eingerichtet hat? Ist es der Schmerz des schleichenden Machtverlustes? Man möchte fast Mitleid bekommen – aber auch nur fast. Denn dieser Reflex dient ja vor allem einem: Sich mit einer Demütigung den Argumenten und einer echten Auseinandersetzung zu entziehen. Sich schnell besser zu fühlen, wenn man sich, warum auch immer, in die Ecke gedrängt fühlt – man kennt es aus Streitsituationen: Wer ausfallend wird, dem sind meist die Argumente ausgegangen. Aber im Falle der Körperdiskriminierung ist es ein sehr bewussteres Vorgehen, weil Frauen immer noch derart objektifiziert werden, dass, ganz gleich in welchem Kontext, sich hier ein Tiefschlag hin zu einer Verunsicherung platzieren lässt.

Am 23. Mai war in Deutschland Tag des Grundgesetztes und damit ein sehr guter Tag, sich noch einmal an den ersten Artikel zu erinnern: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das aber wiederum, wird leider nicht ganz so selbstverständlich eingehalten. Denn sowohl hierzulande als auch woanders scheint es vielen schwer zu fallen, sich an diesem simplen Grundsatz für ein gemeinsames Zusammenleben zu orientieren. Wie könnte es sonst sein, dass Diskriminierung nie zu schäbig ist, um nicht doch noch als Kommentar in einem Blatt zu landen.

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