Foto: Kathrin Spirk

„Es ist wichtig, dass Femtech-Produkte von Frauen entwickelt werden“

Kund*in
Ovy
Autor*in
EMOTION F studio
Gesponsert

Eva und Lina Wüller haben die Zyklus-App Ovy entwickelt. Unser Medienpartner „Emotion“ hat die beiden Schwestern und Gründerinnen zum Interview getroffen.

Technik von Frauen für Frauen

Der Begriff Femtech – zusammengesetzt aus „female“ und „technology“ – beschreibt zum einen weibliche Gründerinnen in der Tech-Szene, zum anderen Technologieunternehmen und Techniken-Lösungen, die sich mit der weiblichen Gesundheit befassen. Auf Eva und Lina Wüller treffen beide Definitionen zu: Mit ihrem Start-up haben haben die Schwestern die erste App entwickelt, mit der sich der menstruelle Zyklus von Frauen mittels Basaltemperatur genau und individuell berechnen lässt. Unser Medienpartner „Emotion“ hat für die Winterausgabe 2017/18 seines Sonderhefts „Working Women“ mit den beiden darüber gesprochen, warum jetzt die Zeit für Femtech gekommen ist und wie es für sie war, selbst zu gründen. Wir freuen uns das Interview auch bei uns zu veröffentlichen.

Die Start-up-Szene setzt ihre ganz eigenen Trends. Ist jetzt die Zeit für Femtech gekommen?

Eva Wüller: „Femtech gewinnt gerade erst an Fahrt, weil das Phänomen gleich mehrere Tabuthemen berührt. Seien es Frauen in der Männerdomäne ‚Tech‘ oder eben die weibliche Gesundheit: Menstruation, der weibliche Zyklus, Beckenbodenschmerzen, Tampons. Diese Themen gewinnen an Relevanz, weil immer mehr Frauen offen darüber sprechen.“

Lina Wüller: „Und ich finde es wichtig, dass diese Produkte von Frauen entwickelt werden. Natürlich könnten Männer das umsetzungstechnisch auch. Aber ich finde es elementar, dass man selbst einen Nutzen von und Bedarf nach dem Produkt hat, das man entwickelt.“

Wo war Ihr Bedarf?

Lina Wüller: „Eva und ich haben beide mit der symptothermalen Methode verhütet, das heißt, wir haben täglich unsere Basaltemperatur gemessen und aufgeschrieben, genauso wie weitere körperliche Symptome. Damit lässt sich der Zyklus gut beobachten, und man kennt seine fruchtbaren Tage. Bei Eva hat das immer geklappt, sie hat nie Hormone genommen. Ich habe vor drei Jahren die Pille abgesetzt, bei mir hat die Methode nicht funktioniert. Vor zwei Jahren wurde ich ungewollt schwanger.“

Eva Wüller: „Unsere Mutter ist Ärztin und hat sich immer vehement gegen hormonelle Verhütung ausgesprochen. Wir haben lange gezielt nach einem Produkt gesucht, das die ‚Zettel und Stift’-Methode optimiert. Die meisten Zyklus-Apps hatten einen nicht sehr ausgereiften Algorithmus und dienten eher als Period-Tracker. Wir haben uns gedacht: Kann doch nicht sein, dass noch niemand daran gedacht hat, das Thermometer mit dem Smartphone zu verbinden!“

Sie haben BWL und Journalistik studiert und hatten mit Tech nichts am Hut. Wie kommt man da auf die Idee, eine App zu entwickeln?

Lina Wüller: „Irgendwann wurde mein Leidensdruck zu groß. Wir hatten ein Problem, das wir gelöst haben wollten. Aber niemand konnte es für uns lösen.“

Eva Wüller: „Bei der Umsetzung unserer App Ovy haben uns drei Entwickler unterstützt. Wir sind beide sehr produkt- und designfokussiert, daher fiel uns der Zugang nicht schwer. Wichtig ist, sich mit dem Problem auszukennen. Wir kommen aus einem Medizinerhaushalt – das Thema Verhütung, die existierenden Methoden mit ihren Vor- und Nachteilen waren uns also schon bekannt. Und die Wissenschaft gab uns recht: Die symptothermale Methode hat einen Pearl-Index von 0,6. Der steht für die Sicherheit der Methode, die Pille ist mit 0,1 am sichersten. Die symptothermale Methode ist also eine medizinisch fundierte, sichere Grundlage für Ovy.“

Lina Wüller: „Wir wussten, was dem Markt noch fehlt: eine Verknüpfung der Hardware des Thermometers mit der Software der App. Und der Algorithmus, mit dem wir die analogen Berechnungen optimieren können.“

Hatten Sie Schwierigkeiten, die Idee „an den Mann“ zu bringen?

Eva Wüller: „Überhaupt nicht. Wir haben schnell Business Angel gefunden, die an Ovy geglaubt haben. Ich persönlich empfand es nie als Nachteil, als Frau zu pitchen. Zur Minderheit zu gehören kann auch von Vorteil sein: Man bekommt mehr Aufmerksamkeit. Aber ja, es ist anstrengend, einem Mann den weiblichen Zyklus zu erklären und glaubhaft zu machen, dass der einen Leidensdruck mit sich bringt. Das muss ein Investor erst einmal begreifen.“

Wie wurde Ovy letztlich finanziert?

Lina Wüller: „Wir hatten uns bewusst entschlossen, den Prototypen der App und des Thermometers zu bootstrappen, also selbst zu finanzieren. Wir wollten unser eigenes Ding machen, ohne Einmischung von außen.“

Eva Wüller: „Danach brauchten wir natürlich Geld: um die Thermometer zu produzieren, Marketing anzustoßen und die Zertifizierung zu bezahlen. Wir haben Angel Investoren in Berlin und Hamburg gefunden, sowie die ‚Inno Ramp Up‘-Förderung der Stadt Hamburg gewonnen. Mit diesem Geld haben wir Entwickler ins Boot geholt, die App gebaut und erste Thermometer produziert. Dann sind wir direkt an den Markt gegangen.“

Klingt einfach – und sehr schnell.

Lina Wüller: „Von der Idee bis zum Launch im Mai waren es neun Monate … Wir sind sehr strukturiert, haben richtig Gas gegeben.“

Aus Angst vor dem Wettbewerb?

Eva Wüller: „Der Markt ist riesig, da können gut mehrere Anbieter nebeneinander existieren. Schließlich gibt es 3,5 Milliarden Frauen auf der Welt. Von denen kämpfen die meisten einen guten Teil ihres Lebens mit zwei essenziellen Problemen: Entweder sie wünschen sich Kinder oder sie wollen gesund und effektiv verhüten.“

Wie ist die Reaktion der Userinnen?

Eva Wüller: „Wir sind bewusst sehr schnell mit einer Lean Version – einem schlanken, aber funktionsfähigen Produkt – an den Markt gegangen. So haben wir die Möglichkeit, das Produkt basierend auf Erfahrungswerten und ganz nah an den Nutzerinnen weiterzuentwickeln. Was gefällt ihnen, was fehlt? Was wünschen sie sich von der App? Customer Feedback ist momentan eine unserer Hauptaufgaben. Es ist rührend, wie viel Feedback wir bekommen.“

Sie sind Schwestern, haben bis vor Kurzem zusammengelebt, jetzt gegründet. Wird das nicht mal zu eng?

Lina Wüller: „Nie. Wir würden es immer wieder tun! Klar haben wir unterschiedliche Meinungen und mal Querelen. Aber mittlerweile sind die Arbeitsbereiche klar aufgeteilt. Eva macht Technik, App und Entwicklung. Ich kümmere mich um Marketing, Investoren, Fundraising. Alles, was das Team und die Entwicklung von Produkt und Firma angeht, entscheiden wir gemeinsam.“

Eva Wüller: „Wir ergänzen uns jobtechnisch gut. Lina ist optimistisch, ich eher konservativ. Ich sehe stets die Nachteile einer Entscheidung, sie die Vorteile. Plus: Als Geschwister darf man brutal ehrlich miteinander sein. Kritische Partner sind so wichtig!“

Lina Wüller: „Da sehe ich auch einen weiteren Wettbewerbsvorteil von Ovy. Die Nutzerinnen wissen, dass wir beide hinter der App stehen. Ein Produkt braucht auch ein Gesicht und eine Story. Ich spreche bewusst über meine Schwangerschaft und über meine Fehlgeburt. Einerseits ist es mir wichtig, diese Themen zu enttabuisieren. Andererseits schafft es Vertrauen.“

Wie groß ist Ihr Team?

Eva Wüller: „Wir haben drei Entwickler und uns. Und gerade einen bekannten Medizinproduktehersteller an Bord geholt, der die Thermometer mit uns entwickelt. Aber unser Fokus ist ganz klar der Algorithmus hinter der App. Wir sind zuallererst ein Tech-Unternehmen.“

Entwickler. Keine Frauen?

Lina Wüller: „Die sind wirklich rar gesät, leider. Es ist eh schwer, gute Entwickler zu finden. Und dann auch noch jemanden, der gut in so ein kleines Team passt. Da muss man sich maximal sympathisch sein, um das ganze Auf und Ab durchzustehen.“

Wie haben Sie Ihre Mitarbeiter ohne technische Vorbildung ausgewählt?

Eva Wüller: „Wir haben nach Entwicklern in Anstellung gesucht. Da konnten wir uns konkret ansehen, was sie schon gemacht haben. Etablierte Entwickler bringen natürlich ein Problem mit sich: Sie verdienen schon gut. Da muss man mit anderen Vorteilen punkten: wie einem spannenden, reizvollen Produkt. Außerdem bieten wir im Vergleich zu großen Unternehmen viel Flexibilität und kreative Freiheit. Und wir haben weit mehr als eine freie Stelle geboten: Teilhabe an einem Projekt mit viel Wachstumspotenzial. Und ein sehr familiäres Arbeitsumfeld.“

Klar – man lernt sich gut kennen, wenn man über Vaginalmessungen und Zervixschleim redet …

Lina Wüller: „Ja, unsere Entwickler kennen auf jeden Fall unsere Zyklen auswendig … Aber im Ernst: Wir sind ein klasse Team. Wir würden es jederzeit wieder genauso machen.“

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