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Warum du nie deinen Job verlässt, sondern immer deine*n Chef*in

Ist es anmaßend, neben dem Gehalt auch etwas Wertschätzung für seine Arbeit zu wollen? Natürlich nicht – und dennoch geben viele Führungskräfte ihren Mitarbeiter*innen das Gefühl, ersetzbar zu sein. Und verlieren damit häufig ohne Not die Besten aus dem Team.

Anerkennung für Leistung: Geld alleine reicht nicht

„Tu, was du liebst. Und du musst nie wieder arbeiten.“ Klingt so weise. Ist so dumm. Denn mit der Liebe zur Aufgabe kommen ja ganz neue Probleme: Was man aus und mit Liebe tut, will gehört und gesehen werden. Geschätzt. Gerade das, was wir mit Inbrunst, Leidenschaft und Hingabe verwirklichen, möchten wir anerkannt wissen. Finanziell, natürlich. Irgendwer muss die Miete ja zahlen. Was nichts kostet, ist nichts wert. Schon die zweite Kalenderweisheit. Und gleich noch eine aus der Psychologie hinterher: Ignorieren löscht Verhalten. Dazu später.

Was die Kohle angeht: Natürlich wollen wir alle eine angemessene Entlohnung der getanen Arbeit. Aber Geld allein generiert keine Wertschätzung. Umso trauriger, dass viele Chefs dieser Welt die selbstverständliche Bezahlung als Druckmitteln nutzen, wenn man sich über geringe bis keine Wertschätzung beklagt. Geld regiert vielleicht die Welt. Ist bloß in diesem Fall leider so, als hätte man Durst und bekäme einen Cheeseburger in die Hand gedrückt. Gehalt ist keine rettende Liane im Sumpf der fehlenden Anerkennung. Gehalt beruhigt nur. Und Anerkennung? Die kostet nichts, trifft aber einen Nerv, von dem Scheine nur träumen.

Wertschätzung schafft Verbindlichkeit

Respektvolle Anerkennung für sich und seine Leistungen haben zu wollen, hat in den Augen vieler noch immer etwas Schwaches. Labiles. Und sogar Arrogantes. Wie toll muss man sich schon selbst finden, gelobt werden zu wollen. Aber wieso lechzen wir so sehr danach? Was macht dieses doch so wichtige und oftmals zu kurz kommende Element „Wertschätzung im Job“ mit uns?

Wertschätzung sagt nicht nur, „du bist toll“. Wertschätzung hüllt dich ein wie eine Kuscheldecke an verschneiten Tagen. Sie sagt uns, du bist gut und richtig, wie du bist. Was Besonderes. Und wie du das machst, was du machst, kannst nur du es. Wertschätzung ist ein Dankeschön, ob wortwörtlich oder im übertragenen Sinn. Sie sagt, danke, dass du hier bist. Und nicht woanders. Obwohl du längst hättest gehen können. Wertschätzung schafft Verbindlichkeit. Jeder von uns möchte ein Teil von etwas Großem sein. Etwas beitragen. Wir wollen wachsen, an anderen und an uns, wollen unser Geld VERDIENEN.

Du willst Lob? Komm erst mal auf den Boden der Tatsachen zurück!

Wer in einer Liebesbeziehung mit sich und seiner Arbeit steckt, investiert viel an Gefühl, vielleicht sogar Intimität. Man wächst im Team zusammen, schafft eine Art Arbeitsfamilie. Man redet. Man macht sich angreifbar. Und dann kommt der Moment, in dem es widerwärtig wird. Denn nach Wertschätzung strebende Menschen werden gut und gerne systematisch gebrochen. Bewusst und unbewusst. Viele Chefs sehen und verstehen nicht, was sie da tun, wenn sie Dinge in die Tat umsetzen wie „jemanden auf den Boden holen“, damit er ja nicht merkt, wie gut er ist und wie viel sie ihm womöglich bezahlen müssten, wenn er es wüsste. Also wird das Scheißegal-Gesicht gezogen. Und an fiesen Tagen wird nochmal nachgetreten. In die empfindlichste Kerbe. Eine private Not, eine Urangst, ein chronisches Problem. Damit man auch bloß weiß, wo man hingehört. Aufstehen. Funktionieren. And all we hear is silence.

Wenn wir also tun, was wir lieben, geht das in Ordnung. Dann werden wir aus der Hand gefüttert. Solange wir es gefälligst mit Stolz und Leidenschaft machen. Abliefern. Unser Innerstes nach Außen kehren, jeden Tag 120 Prozent geben, auch krank zur Arbeit kommen und auch sonst alles ohne Knurren und Murren „zur vollsten Zufriedenheit“ erledigen. Dann gibt es als Anerkennung keinen Bienenstempel ins Fleißheftchen, sondern das, was in vielen Unternehmen „das stille Lob“ genannt wird. Ignoranz. Und die soll man gefälligst zu schätzen wissen.

Heißt konkret: Wenn’s Scheiße läuft, sagt uns schon einer Bescheid. Ansonsten hat das Rad sich bitteschön zu drehen. Immer mehr, schneller, höher, weiter. Nach altbewährter „Bück dich hoch“-Attitüde. Da geht noch was! Hör auf zu heulen, das blutet noch nicht mal!

Du hast den Job doch – also sei demütig, nicht anmaßend!

Der Vorgesetzte einer guten Freundin sagte in einer von ihr angestoßenen Diskussion über mangelnde Wertschätzung, er könne seine Frau auch nicht jeden Tag aufs Neue heiraten. Sie wisse, dass er sich für sie entschieden hat und damit wäre die Sache erledigt. Und abgesehen von der Frage, ob die beiden sich seit dem niemals mehr „ich liebe dich“ sagen, passierte durch diesen Vergleich vor allem eines: Sie war zur nörgelnden Ehefrau abgestempelt worden. Respektlos degradiert zu einem überemotionalen Vielfraß.

Das alte Lied: Männer, die energisch sind, sind durchsetzungsstark. Frauen sind zickig. Temperamentvoll. Wer Wertschätzung fordert, ist divenhaft. Frustiert. Die kleine Raupe Nimmersatt, die niemals genug kriegen kann. Hat seine Tage. Oder ist untervögelt. Sollte sich gefälligst mal zusammenreißen. Und zurück an den Schreibtisch kriechen, ne Runde dankbar sein für das exorbitant hohe Gehalt. Das die Firma natürlich nur deshalb zahlt, weil sie uns so lieb hat. Nicht der herausragenden Arbeit wegen. Die brave Arbeitsehefrau spielen, das soll unser Job sein. Die froh und demütig ist, diesen Job zu haben. Haben wir das einmal durchschaut, beginnen wir, uns verraten und ausgenutzt zu fühlen. Unwichtig. Austauschbar. Draußen stehen nämlich 15 andere, die ihn mit Kusshand für weniger machen würden. Sagt der Chef.

Am Anfang glauben wir den Mist noch – bis wir an nichts mehr glauben

Das Schlimmste ist – am Anfang glauben wir die Scheiße sogar noch. Und auf einmal glauben wir dann an gar nichts mehr. Weder an uns selbst, noch an unser Können. Und wir hören auf, außergewöhnlich zu sein. Fangen an zu zweifeln, lassen die Pflänzchen wachsen, die sie uns ins Köpfchen gesetzt haben, gießen und düngen sie. Wir leiden. Versuchen, uns anzupassen. Zu funktionieren, sich zu arrangieren. Lassen uns ignorieren. Saugen das Gefühl der Mittelmäßigkeit in uns auf, das sie uns vermitteln. Und ducken uns.

Und nun? Wie raus aus dieser Abwärtsspirale? Manche Experten raten, im Job nicht den Glücklichmacher fürs Leben zu suchen. Keine Erfüllung finden zu wollen. Arbeiten zu gehen, um nach Hause zu kommen. Jobs, die die Miete zahlen. Mehr nicht. Das mag für viele funktionieren. Für die Menschen, deren Beruf in jeder Faser des Lebens stattfindet und mit ihm eine perfekte Symbiose bildet, allerdings nicht. Wir müssen uns darüber bewusst werden, dass unsere Leistung mehr verdient als „wenn du einen Fehler machst, gibt’s auf den Sack“. Was nichts kostet, ist nichts wert? Falsch. Was nichts wert ist, ist nichts wert.

Wo Angst herrscht, kann es keine Kreativität geben

Wir wollen nicht nur Zeit absitzen und bestmöglich „keinen Ärger kriegen“.
Tagesziel: Bloß keinen Mist bauen? Geht gar nicht. Angst als Mittel zum Zweck tötet jede Motivation. Jede Kreativität, jede gedankliche Freiheit. Arbeit sollte ein angstfreier Raum sein, in dem Menschen miteinander an Dingen feilen, sie zum Besten machen. Mit Chefs, die unterstützen. Die Kritik üben genauso wie wertschätzen. Teil des ganzen großen Lebens sein. Montage zu Freitagen machen, zumindest gefühlt.

Wir dürfen nicht akzeptieren, dass Führungspositionen immer noch von Menschen besetzt werden, die glauben, Soft-Skills sei eine Klopapiersorte. Die uns lieber ein bisschen zweifelnd an uns selbst und unseren Fähigkeiten haben als selbstsicher und stark.

Wir sollten uns bewusstmachen, dass es am Ende doch alles wie einer Beziehung läuft. Dass man nämlich zwar wirklich nicht jeden Tag aufs Neue heiraten kann … aber die Scheidung einreichen, wenn man die Schnauze voll hat. Und dann verstehen wir es endlich: Man verlässt nie seinen Job. Man verlässt immer den Chef. It’s not you. It’s them.

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