Foto: Behnaz Shafiei

„Für mich stand nie zur Debatte, dass ich gewisse Dinge nicht tun kann, weil ich eine Frau bin“

Die Motorradfahrerin Behnaz Shafiei gilt als erste Profirennfahrerin Irans. Einem Land, das Frauen den Zugang zu dieser Sportart eigentlich untersagt. Mit ihrem unermüdlichen Willen, eine Karriere im Motorsport zu verwirklichen, ist sie zum Vorbild geworden und bringt Bewegung in eine Gesellschaft, die Frauen viele Rechte verwehrt. 

Motorradsport ist eine der wenigen Disziplinen, in der weltweit nicht nach Geschlechtern getrennt wird, bei Rennen treten alle gegen alle an. Nicht so im Iran, wo Frauen seit der Islamischen Revolution 1979 daran gehindert werden, Motorrad zu fahren. Obwohl es kein spezifisches Gesetz gibt, das Frauen die Nutzung von Fahrzeugen verbietet, weigert sich die Verkehrspolizei, ihnen entsprechende Lizenzen auszustellen und es kommt zu Strafen, wenn sie dabei erwischt werden, wie sie ein Motorrad pilotieren. Behnaz Shafiei hat sich diesen Restriktionen widersetzt, eine offizielle Erlaubnis vor Gericht erstritten und ging als die erste professionelle Motorradrennfahrerin Irans in die Geschichte des Landes ein.

Aus Behnaz Shafieis persönlich motiviertem Antrieb für die Erlaubnis Motorrad und Rennen zu fahren, ist ein Einsatz für Frauenrechte im Iran geworden. Heute ist die 29-Jährige nicht nur Vorbild vieler junger Frauen, die sich die gleichen Freiheiten wünschen, sondern hat in ihrem Land auch die Debatte rund um dieses Thema angestoßen. Diesen Sommer konnte Behnaz Shafiei auf Einladung von Petrolettes, dem europaweit ersten Motorradfestival für Frauen, nach Deutschland reisen. Als Iraner*in eine Ausreisebewilligung zu erhalten, ist nicht einfach. Wir hatten das Glück, die Rennfahrerin bei ihrem Aufenthalt in Berlin zum Interview treffen zu können – und haben uns mit Behnaz Shafiei über Angst und Mut, ihre Träume und ihren schwierigen Einsatz für Frauenrechte im Iran unterhalten.

Wie konntest du Motorradfahren lernen, obwohl das Frauen im Iran eigentlich verwehrt wird?

„Mit 15 habe ich das erste Mal eine Frau auf einem Motorrad gesehen – das hat mich überrascht und zugleich so begeistert, dass ich es auch lernen wollte. Den Führerschein habe ich im Ausland gemacht und damit man mich nicht erwischt, bin ich die ersten zehn Jahre nur als Mann verkleidet aufs Motorrad gestiegen. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich meine Haare aus dem Helm hängen ließ – die Leute sollten sehen, dass eine Frau auf dem Motorrad sitzt. Daraufhin kamen immer mehr Mädchen und Frauen auf mich zu und fragten, wo sie die Sportart lernen können und wie ich das geschafft habe. Nach vielen Jahren bin ich dann zur Behörde für Verkehr gegangen, um mich für eine offizielle Lizenz und somit auch die Erlaubnis einzusetzen, den Sport offiziell ausüben zu dürfen. Bis ich das geschafft habe, sind jedoch Jahre vergangen.“

Als du mit dem Motorradfahren begonnen und noch keine Lizenz hattest, war da die Angst nicht groß, von der Polizei erwischt zu werden?

„Natürlich hatte ich Angst. Doch ich wollte mir den Sport und diese Freiheit nicht nehmen lassen. Zudem sind außerhalb der Metropolen nicht so viele Menschen unterwegs, da bekommt man nicht allzu viel mit. Einige Menschen hatten fast schon Angst vor mir. Eine Frau in schwarzer Bikerkleidung, die Motorrad fährt – das passte nicht ins Weltbild der Menschen. Da konnte man sich anscheinend noch eher vorstellen, dass ich eine Terroristin bin (lacht).“

„Meine Schwestern und Brüder sagten, ich würde Schande über die Familie bringen.“

Wie hat dein Umfeld auf deine Begeisterung für diesen Sport reagiert – und wie stehen die Menschen in deinem Leben heute dazu?

„Meine Schwestern und Brüder haben jahrelang nicht mit mir gesprochen, nachdem ich mit dem Motorradfahren begonnen habe. Sie waren wahnsinnig wütend auf mich und sagten, ich würde Schande über die Familie bringen. Meine Mutter war die einzige, für die es in Ordnung war, dass ich diesen Sport ausübe. Sie gehört noch zur alten Generation, die den Iran aus der Zeit vor der Islamischen Revolution kennt, damals hatten Frauen mehr Rechte und Freiheiten. Meine Mutter ist zwar religiös, jedoch sehr moderat, sie sieht also nichts Schlimmes daran, dass Frauen Motorradfahren wollen. Sie war auch diejenige, die mir meine ersten Fahrten auf einem Motorrad ermöglicht hat, indem sie Männer auf der Straße angehalten und gefragt hat, ob ich eine Runde auf ihren Rädern drehen darf. Die ersten zwei bis drei Jahre bin ich nur auf fremden Motorrädern gefahren, auch weil wir kein Geld hatten für ein eigenes.“

Wie haben diese Männer reagiert, als deine Mutter sie angesprochen hat?

„Im Iran ist es nicht ungewöhnlich, dass man Leute auf der Straße anspricht und fragt, ob man was ausprobieren darf, zu dem man selbst keinen Zugang hat. Doch selbstverständlich waren die Männer erstaunt und haben gefragt, ob ich sicher sei, dass ich das wirklich will – ob ich mir das als Frau zutraue.“

Wie hat sich die Situation für Frauen im Iran verändert, seit du mit dem Motorradfahren begonnen hast?

„Die Bedingungen wurden inzwischen etwas gelockert. Doch alles, was mir irgendwann erlaubt wurde, musste ich mir über viele Jahre erkämpfen. Wer zu viel auf einmal fordert, kann es vergessen, dann sagen die Behörden sofort nein. Bei uns geht sowas nur langsam voran.“

„Mein Wunsch war es immer, an Rennen teilzunehmen, eine Siegerin zu sein.“

Deine Leidenschaft für den Sport hat sich zu einem Einsatz für Frauenrechte entwickelt. Du bist zu einem Symbol dafür geworden, dass sich gesellschaftliche Normen im Iran wandeln, weil du deinen Traum leben kannst. Wie fühlst du dich in dieser Rolle?

„Mein Wunsch war es immer, an Rennen teilzunehmen, eine Siegerin zu sein. Um mir diesen Traum zu erfüllen, mussten Frauen erstmal mehr Rechte erhalten. Zu sagen, ich hätte mich von Anfang an für andere eingesetzt, wäre gelogen. Im Endeffekt macht niemand etwas uneigennützig, fast jede*r will seine eigenen Träume verwirklichen. Wenn man so zugleich anderen helfen kann, ist das natürlich toll. Ich habe mich für meine Rechte eingesetzt, lebe inzwischen meinen Traum und wurde dadurch zum Idol. Nun setze ich mich für andere Frauen ein. Damit auch sie ihre Träume leben können.“

Hast du das Gefühl, dass sich im Iran gerade tatsächlich etwas bewegt für Frauen und ihre Rechte? Und was wünschst du dir für die Zukunft deines Landes?

„Die Rechtslage im Iran ist für Frauen sehr schwach. Man muss sich stark für alles einsetzen, für jede Freiheit, für jedes Recht. Das Leben eines Mannes zählt doppelt so viel wie das einer Frau. Kommt beispielsweise bei einem Unfall eine Frau ums Leben, ist die Strafe nur halb so hoch, wie wenn dabei ein Mann stirbt. Frauen können sich nur scheiden lassen, wenn der Mann einwilligt. Männer können sich ein Zimmer in einem Hotel nehmen, Frauen nicht. Ich denke, bis das besser wird, dauert es noch mindestens 50 Jahre. Mein Wunsch für den Iran ist Freiheit und Frieden. Der Iran ist im Umbruch, also müssen wir das Land gemeinsam gestalten. Jede*r in der Gesellschaft muss etwas dazu beitragen, dass sich die Dinge ändern.“

„Solange sich das iranische Gesetz nicht ändert und eine Frau nur halb so viel wert ist wie ein Mann, werde ich nicht heiraten.“

Du bist mit Ende 20 unverheiratet, übst einen Sport aus, der für Frauen eigentlich tabu ist und kannst fürs Motorradfahren sogar ins Ausland reisen. Ist diese Unabhängigkeit für eine iranische Frauen nicht unüblich?

„Ich hatte mit meiner Mutter eine unabhängige Frau zum Vorbild, die mir gezeigt hat, dass Frauen alleine klarkommen. Als ich drei Jahre alt war, hat sie sich von meinem Vater getrennt. Ich habe gesehen, wie sie all den Schwierigkeiten getrotzt und fünf Kinder alleine großgezogen hat. Zudem war ich schon als Kind kein klassisches Mädchen; ich trug meine Haare kurz und habe lieber mit Bällen als mit Puppen gespielt. Ständig wurde mir mitgeteilt, dass ich mich nicht wie ein Junge benehmen soll und dies oder das nur für Jungs und nicht für Mädchen ist. Doch für mich stand nie zur Debatte, dass ich gewisse Dinge nicht tun kann, weil ich ein Mädchen oder eine Frau bin, so auch das Motorradfahren.“

Du hast gerade gesagt, Frauen dürfen kaum etwas, ohne die Einwilligung ihres Mannes. Kannst du dir überhaupt vorstellen, irgendwann zu heiraten – oder verzichtest du bewusst darauf, um dir möglichst viel Freiheit zu bewahren?

„In der Ehe gehört alles dem Mann: die Kinder, das Haus, du selbst. Der Mann entscheidet, ob du aus dem Haus gehst und wie du aus dem Haus gehst; er darf sich weitere Ehefrauen nehmen, dich schlagen und umbringen – du gehörst ihm. Natürlich heirate ich deswegen nicht. Sollte ich jemals heiraten, muss ich mir sicher sein, dass mein Mann mich unterstützt und nicht einsperrt. Solange sich das iranische Gesetz nicht ändert und eine Frau nur halb so viel wert ist wie ein Mann, werde ich nicht heiraten. Denn man weiß nie, wie sich jemand in der Ehe verändert. Deshalb ist es aktuell sicherer, nicht zu heiraten, auch wenn der richtige Mann an meiner Seite gewisse Dinge erleichtern würde.“

Wird diese Entscheidung akzeptiert?

„Andere sagen mir: Wenn du Verstand hast, heiratest du nicht. Viele verheiratete Frauen sind neidisch auf mich, dass ich so viele Freiheiten habe, die sie durch die Hochzeit verloren haben. Ich bin jedoch ziemlich erstaunt, dass auch in Deutschland so wenige Menschen heiraten. Ihr behaltet alle Freiheiten, könnt euch jederzeit scheiden lassen und zahlt dadurch sogar weniger Steuern. Meine Definition von Freiheit ist nochmal eine ganz andere, als eure hier in Deutschland. Im Iran geht es bei einer Ehe stark darum für die Zukunft vorzusorgen. In Deutschland leben die Menschen im Moment, das Hier und Jetzt zählt mehr als die Zukunft und das Altwerden. Das gefällt mir. Warum soll ich über die Zukunft nachdenken und vorsorgen? Ich lebe gefährlich und könnte morgen schon tot sein. Bei jedem Rennen hat man den Tod vor Augen.“

Wovon träumst du heute; was willst du noch erreichen?

„Ich habe erreicht, was ich mir mit 15 gewünscht habe. Doch im Laufe des Lebens kommen neue Träume dazu. Mein nächstes Ziel ist es, an der ,Isle of Man TT‘ teilzunehmen – dem gefährlichsten und bedeutendsten Motorradrennen der Welt. Pro Jahr sterben im Schnitt zwei Teilnehmer*innen und es machen fast nur Männer beim Rennen mit. Doch ich bin eingeladen und will unbedingt teilnehmen. Mein Ziel ist also, eine Bewilligung von den iranischen Behörden zu erhalten, für das Rennen nach England reisen zu dürfen.“

„Auf dem Motorrad habe ich das Gefühl frei zu sein, so fühle ich mich stark und unbezwingbar.“

Was begeistert dich so sehr an dem Sport, dass du an so einem gefährlichen Rennen teilnehmen möchtest?

„Das Adrenalin und die Freiheit. Ich mag es nicht, im Auto zu sitzen, dort bin ich eingeschlossen, auf dem Motorrad spüre ich den Wind. In diesen Momenten habe ich das Gefühl frei zu sein, fühle mich stark und unbezwingbar.“

Wie finanzierst du den Motorradsport? Kannst du davon leben?

„Ich habe Buchhalterin gelernt und viele Jahre in dem Beruf gearbeitet. Vor drei Jahren habe ich dann gekündigt, um mich komplett dem Motorradfahren zu widmen. Neben dem Vollzeitjob war das nicht möglich. Aber Motorradfahren ist ein sehr teurer Sport: die Ausrüstung, das Motorrad und alles was man sonst dafür braucht. Inzwischen lebe ich vom Geld von Sponsor*innen, die mich zugleich auch für Model-Jobs buchen. Im Motorradsport muss man sehr gut sein, um davon leben zu können. Hinzu kommt, dass iranische Fahrer*innen nicht an internationalen Rennen teilnehmen können.“

Wie kommst du mit anderen Motorrad-Fahrerinnen in Kontakt?

„Hauptsächlich über Instagram. Andere Frauen finden meinen Account auf der Plattform, schicken mir Nachrichten und fragen, ob wir uns treffen und gemeinsam Motorrad fahren kann. Anschließend kommunizieren wir über Direktnachrichten. Facebook hingegen ist im Iran gesperrt.“

Wie organisiert ihr Frauen euch, um gemeinsam etwas zu erreichen und euch für mehr Rechte einzusetzen?

„Ich plane, im Iran eine Kampagne zu starten, damit wir uns zusammenschließen und gemeinsam etwas tun können, um die Gesetze zu ändern. Das ist jedoch nicht so einfach, wie es klingt. Wenn man sich organisiert und mit mehreren Leuten zusammentut, werden einzelnen Personen, die sich schon gewisse Freiheiten und Rechte erkämpft haben, genau diese wieder weggenommen.

Hinzu kommt, dass es viel Eifersucht und Missgunst unter den Frauen im Iran gibt. Man könnte meinen, wir hätten einen stärkeren Zusammenhalt, um uns gemeinsam für mehr Rechte und Freiheiten einzusetzen. Aber man begegnet mir mit sehr viel Neid, weil ich Freiheiten habe, die sich andere Frauen auch wünschen. Ich darf ins Ausland reisen, verdiene Geld mit Modelaufträgen, mache öffentliche Auftritte und darf den Sport offiziell ausüben. Vielen scheint leider nicht bewusst zu sein, dass man gemeinsam mehr erreichen könnte. Jede denkt nur an ihr eigenes Wohl. Jene, die mehr haben, werden nicht selten fertig gemacht. Es wird versucht, andere ans Messer zu liefern. Das ist schade. Ich will die Frauen dazu bewegen, sich zusammentun; ich möchte andere ermutigen, unterstützen und sie dazu bringen, sich gegenseitig zu empowern.“

Ein großes Dankeschön geht an der Stelle an unsere Kollegin Assal Azodi, die das Interview mit Behnaz Shafiei als Dolmetscherin begleitet und live von Farsi auf Deutsch übersetzt hat.

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