Foto: Franca Gimenez – Flickr – CC BY-ND 2.0

Die Folgen von Schönheitsdruck: „Ich fühl mich so hässlich, ich bleibe Zuhause“

Die Körperpflege-Marke Dove hat in einer globalen Studie danach gefragt, wie es um das Selbstbewusstsein von Mädchen und Frauen steht. Das erschreckende Ergebnis verlangt nach einer neuen Definition von Schönheit. Carina Kontio von unserem Partner Handelsblatt berichtet.

Selbstvertrauen: Mangelware

„Pickelproblem, heute Abend Party!”, „Wegen Akne zu Hause bleiben?”, „Hilfe, meine Haare!” oder „Kann ich so aus dem Haus?”: die einschlägigen Internetforen sind voll von solchen Hilferufen. Hinter diesen Beiträgen stecken oft zahlreiche Frauen, die sich in ihrer Haut nicht wohlfühlen – das kann fatale Folgen haben, wie eine globale Dove-Studie, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt, jetzt zeigt.

Der Unilever-Konzern untersuchte für seine Körperpflegemarke in insgesamt 13 Ländern die Ansichten zu Schönheit und Selbstvertrauen von 10.500 Mädchen und Frauen. Mit dem Ergebnis, dass ein niedriges Selbstwertgefühl und die kritische Wahrnehmung der eigenen Schönheit immer noch ein großes Thema sind. Überall auf der Welt, so heißt es, nimmt das Selbstbewusstsein von Frauen, wenn es um den eigenen Körper geht, stetig ab – ungeachtet von Alter und Herkunft.

Das verwundert kaum, lautet doch die heutige Maxime, die uns wie Smog umgibt: „Sei jung, schlank und schön!”. Das moderne Menetekel: „Wer nicht gesund ist, hat selbst schuld.” Und so träumen viele Frauen – natürlich auch Männer, aber die wurden hier nicht explizit untersucht – vom perfekten Körper ohne Fett, ohne Falten, ohne Krankheit. Dabei sind sie sich selbst stets die schärfste Richterin und sie urteilen hart, wie der „Global Beauty Confidence Report“ zeigt.

Für Schönheit die Gesundheit gefährden

So stehen im Kern der Studie vor allem die negativen Auswirkungen eines gestörten Schönheitsempfindens. Fast alle deutschen Mädchen (87 Prozent) und Frauen (86 Prozent) geben an, dass sie auf wichtige Aktivitäten des sozialen Lebens verzichten und sich damit freiwillig in die soziale Isolation verbannen.

Unreine oder blasse Haut? Da werden Treffen mit Freunden und der Familie oder der geplante Freibadbesuch schnell wieder abgesagt. Besonders krass: Hierzulande hat bei fast allen Frauen (91 Prozent) und der Mehrheit der Mädchen (79 Prozent) ein negatives Körpergefühl schon einmal dazu geführt, dass sie auf Nahrung verzichtet oder ihre Gesundheit anderweitig gefährdet haben, weil sie beispielsweise Arztbesuche vermeiden.

Ein Blick über die Studie hinaus auf aktuelle Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastischen Chirurgie zeigt, dass es sogar noch krasser geht. So wurden 2015 in Deutschland rund 400.000 ästhetisch-plastische Operationen durchgeführt. Die Top-Ten der Eingriffe: Fettabsaugungen, Ohrenkorrekturen, Entfernung von Tränensäcken und Schlupflidern, Facelifting, Nasenkorrekturen, Oberschenkel-, Gesäß- und Bauchdeckenstraffung, Brustoperationen.

„Sobald es um das eigene Erscheinungsbild geht, ist das Selbstbewusstsein weltweit ein kritisches Thema. Wenn sich Mädchen und Frauen aus diesem Grund von der Gesellschaft abwenden, verpassen sie einfach zu viel“, sagt Lejla Mader, Brand-Managerin bei Dove. „Die neuen Studienergebnisse sind sehr beunruhigend, wenn auch nicht überraschend in Anbetracht des zunehmenden Schönheitsdrucks, der von einer stetig wachsenden Anzahl klassischer und sozialer Medien ausgeht.“

Damit scheint auch schon die wichtigste Ursache für den eigenen Schönheitsdruck gefunden zu sein: die eindeutige Mehrheit der deutschen Mädchen (66 Prozent) und Frauen (72 Prozent) nennt das durch die Medien kommunizierte unrealistische Schönheitsbild. Dazu zählen Models auf Titelseiten von Illustrierten und Werbeplakaten genauso wie Talkmoderatorinnen im Fernsehen. Zusätzlich geben 50 Prozent der deutschen Frauen an, dass eine Ursache für ihr Streben nach einem Schönheitsideal ihre ständige Onlinepräsenz in sozialen Netzwerken ist. Man braucht nur mal eben einen Blick in das inszenierte Instagram-Universum zu werfen, in dem täglich über 100 Millionen Nutzer ästhetisch aufpolierte Bilder von sich selbst posten – klar, dass das am anderen Ende der Leitung dann irgendwie Druck macht.

Der Druck steigt

Was die Inszenierung des Makellosen mit uns macht, weiß auch die Österreichische Soziologin Eva Flicker und erklärt: „Retuschierte Bilder und kameraoptimierte Frauen in Film und Fernsehen täuschen uns so sehr, dass wir nicht mehr unterscheiden können, was echt ist und was nicht. Scheinbar verlieren wir die Relationen und der Druck, jung, schön und gesund zu sein oder zumindest so auszusehen, steigt enorm.“ Unsere Leistungsgesellschaft kommuniziere viel über Äußerlichkeiten und Frauen sind davon immer noch ganz besonders betroffen beziehungsweise dadurch benachteiligt, so ihre Analyse. Flicker: „Ein Blick um uns herum zeigt doch, wie Menschen wirklich aussehen. Warum vertrauen wir unserer Wahrnehmung nicht und geben uns freiwillig der Illusionsmaschinerie hin? Mädchen und Frauen reden sich ein, sie würden sich all den Stress für sich antun, dabei folgen sie einer verinnerlichten Norm der globalisierten Mediengesellschaft, die uns ein Märchen verkauft.“

Das Engagement von Unilever gegen gängige Schönheitsideale betrachtet die Soziologin mit Skepsis. In den Kampagnen der Marke treten Hobbymodels mit Makeln und Pfunden auf und wann immer es um Themen wie untergewichtige Models oder den Jugendwahn geht, wird die Dove-Werbung als positive Ausnahme hervorgehoben. Flicker überzeugt das nicht. “Unilever setzt sich nur scheinbar gesellschaftskritisch ein und treibt den patriarchalen Blick auf ein weibliches Objekt unverändert weiter – nur ist die Zielgruppe jetzt größer, älter und molliger.”

Mit dem Thema Selbstbe- und entwertung beschäftigt sich auch die Berliner Autorin und Werte-Expertin Barbara Strohschein in ihrem aktuellen Buch „Die gekränkte Gesellschaft”. Sie zählt als Ursache neben den gesellschaftlichen Erwartungen, die über Medien, Moden und Trends kommuniziert werden ergänzend noch den Einfluss von Eltern, Partnern und Kollegen auf das Selbsturteil dazu. „Über den Blick auf sich selbst”, sagt Strohschein, „legen sich Folien und Vorstellungen, die von anderen bedruckt worden sind.”

Die Folge ist ein ständiges Vergleichen, Abgleichen und Messen mit anderen. So soll ich sein! Das tut man! So sieht man heute aus! Diese Folien, diese inneren Bilder wirken auf die Selbst- und Weltwahrnehmung und machen es schwer, länger als fünf Minuten zufrieden zu sein. Strohschein: „Das Ideal vom perfekten Erscheinungsbild wird von vielen unbewusst übernommen. Es wird zu einem: ‘Man muss!’. Dem fügt man sich und ist resigniert, wenn man ihm nicht entsprechen kann.”

Was ist schön?

Doch – das ist die gute Nachricht – mit dieser Negativspirale könnte bald Schluss sein, denn gleichzeitig tobt ein innerer Protest gegen diesen anstrengenden und kraftzehrenden Konformismus. Schließlich wird keine Frau zur Selbstkritikerin, weil sie es wirklich will.

Statt sich also weiter beeinflussen und herunterziehen zu lassen, verlangen die Befragten nun nach einer neuen Definition von Schönheit. Unrealistischen Idealen sagen sie den Kampf an. So fordern in Deutschland 69 Prozent der Frauen und 67 Prozent der deutschen Mädchen ein, dass eine größere Vielfalt an Schönheitsvorstellungen in den Medien abgebildet wird. Bestehende Konventionen hinsichtlich Körperform, Größe und Alter seien einseitig und präsentierten nicht die Wirklichkeit. Weltweit wollen das 67 Prozent der Mädchen und 71 Prozent der Frauen.

Vor allem deutsche Mädchen sind sich dabei immer stärker bewusst, das Bilder in den Medien manipuliert werden: So ist die Wahrnehmung dieses Themas insgesamt von 47 Prozent (2010) auf 76 Prozent (2015) gestiegen – der höchste Anstieg unter allen befragten Ländern.

Vielversprechend ist auch das Ergebnis der Frage, ob deutsche Mädchen und Frauen lieber einem Schönheitsstereotypen oder aber ihrer ganz persönlichen Schönheitsvorstellung entsprechen möchten: 73 Prozent der teilnehmenden Mädchen und 84 Prozent der befragten Frauen geben an, dass sie für sich persönlich bestmöglich aussehen wollen, anstatt einer externen Definition von Schönheit hinterherzulaufen. 75 Prozent der Mädchen und 77 Prozent der Frauen sind zudem der Auffassung, dass jedes Mädchen und jede Frau etwas an sich hat, das schön ist.

Den Schlüssel zu einer Welt, in der die eigene Schönheit eine Quelle des Selbstbewusstseins und nicht von Angst und Selbstzweifeln, sehen die Befragten in regelmäßigen Auszeiten vom Alltag und Momenten, in denen sie sich Zeit für sich und ihren eigenen Körper nehmen. So fühlen sich 73 Prozent der Mädchen und 60 Prozent der Frauen selbstbewusster, 72 Prozent der Mädchen und 61 Prozent der Frauen fühlen sich positiver, wenn sie sich bewusst um sich um ihr Wohlbefinden, ihren Körper und ihr Äußeres kümmern.

Selbstwertgefühl ist nicht käuflich

„Ein gutes Selbstwertgefühl“, erklärt Barbara Strohschein, „entsteht im besten Fall durch die einst erfahrene elterliche Liebe, durch Selbstakzeptanz, durch gelingende Beziehungen zu anderen Menschen und durch das Gefühl, verstanden zu werden. All das kann man weder erkaufen noch erzwingen.“ Und: „So wichtig und wünschenswert Gesundheit und Schönheit sind, so wenig sagt beides etwas über die gesamten Qualitäten eines Menschen aus.“

„Wir suchen unser Glück außerhalb von uns selbst, noch dazu im Urteil der Menschen, die wir doch als kriecherisch kennen und als wenig aufrichtig, als Menschen ohne Sinn für Gerechtigkeit, voller Missgunst, Launen und Vorurteile: Welch eine Verrücktheit!” – Jean de La Bruyère, französischer Moralist (1645-1696).

Titelbild: Franca Gimenez – Flickr – CC BY-ND 2.0

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