Der neuste Hype: Fitness-Trainerinnen, die in großen Hallen mit hunderten Fans Fett weg schwitzen. Was versteckt sich hinter dem Kampf gegen die Pfunde in einer Community?
Die Fans nennen sich Armee
Hätte ich nicht zufällig einen Zeitungsartikel über das Phänomen gelesen, gäbe es diesen Artikel gar nicht. Ein Text, der eine junge australische Fitnesstrainerin porträtiert, die es geschafft hat, durch ihr „Bikini-Figur“-Programm weltweite Bekanntheit zu erlangen und sich einer immer größer werdenden Army (ja, ihre Jüngerinnen nenne sich wirklich so!) von Mitturnerinnen erfreut.
Um es von vornherein klar zu machen: Dies ist kein Artikel, um diese Dame in irgendeiner Weise zu diskreditieren, ich habe sogar Respekt vor ihrer sportlichen Leistung, ihrem Verkaufstalent und ihrer Fähigkeit, tausende Frauen zu begeistern.
Aber was mich wirklich nachdenklich macht, ist die Frage, WARUM sich so viele Frauen möglichst auf Topmodel-Maße und ein Sixpack hochtrainieren möchten und sich dafür begeistert ihrem persönlichem Guru anschließen. Was Bikini-Figur eigentlich heißen soll, ist mir bis heute nicht ganz klar, aber pünktlich zum Frühling wird man von diesem Wort regelrecht verfolgt, und es hängt mir zum Hals raus! Wenn ich mir die ganzen Fotos und Videos dazu so ansehe, heißt es wohl, dass man kein Gramm Fett haben darf, dafür einen Bauch flach und hart wie ein Brett, Muskelpacks an Armen und Beinen und nach Möglichkeit nur Körbchengröße A.
Sicher: Sport ist gesund, Bewegung tut gut, Übergewicht ist nicht immer gesund, Muskelaufbau- und Fettabbau können bis zu einem gewissen Maß wichtig sein. Das wird wohl niemand in Frage stellen. Und wenn ich es WIRKLICH und aufrichtig schön finde, hauptsächlich aus Muskeln und Sehnen zu bestehen und meine Lieblingsspeise tatsächlich ein Green Smoothie mit Wasser ist, dann würde ich niemandem in seine persönlichen Präferenzen reinreden wollen.
Aber bei den meisten Frauen (zumindest denen, die ich kenne, und das sind gar nicht so wenige), sieht die Wahrheit anders aus.
Was treibt uns wirklich an?
Was ist die wahre Motivation hinter dem eisernen Aufpolieren des körperlichen Erscheinungsbilds, was treibt Frauen wirklich an?
Ist es das Gefühl, sich in einer Fitness-Community sicher und unter Freundinnen zu fühlen – und nicht mehr allein zu sein?
Natürlich machen die meisten Dinge in einer Gruppe mehr Spaß, und die Motivation bleibt meistens auch länger erhalten, wenn man sich nicht als Einzelkämpfer durchschlägt. Aber warum gleich das Bedürfnis nach einer „Army“? Finden es letztlich wirklich so viele Menschen geil, die Befehle und Instruktionen eines Vorturners auszuführen, den eigenen Kopf auszuschalten und stattdessen lieber „Yeah“ und „Whoo“ zu schreien?
Ich kann diese Frage nicht abschließend beantworten, mir macht der Gedanke Angst, dass sich viele offensichtlich „gern“ unterwerfen, egal zu welchem Zweck. Sicher, der Mensch ist ein soziales Wesen, aber das schon fast zwanghafte sich-Zusammenschließen, um in der Masse stark zu sein (oder vielleicht auch nur, um unterzugehen und nicht gesehen zu werden?), nehme ich heutzutage als bedrohlich wahr. Die Community ist alles – bist du nicht drin, bist du draußen.
Liebe meinen neuen Körper!
Oder ist es der Wunsch und das Hoffen auf positive Reaktionen, die der „neue“ Körper hervorrufen soll? Der Wunsch nach mehr Beachtung, mehr positivem Feedback, mehr Erfolg, mehr Liebe?
Die Crux bei diesem ganzen äußerlichen Perfektionswahn ist doch, dass wir Frauen uns unglaublichen Druck machen, weil wir denken, Voraussetzung für ein glückliches Leben und positive Resonanz sei ein gestählter Körper, der möglichst keinerlei Pölsterchen aufweist. Dafür nehmen wir oft viele Entbehrungen in Kauf. Nach jedem Stück Schokolade wird heimlich Abbitte geleistet, wir erlauben uns eine Sünde oft nur mit dem inneren Versprechen, am nächsten Tag nur Obst zu essen und eine Runde mehr zu joggen – und im schlimmsten Fall verzichten wir einfach ganz und nagen krampfhaft lächelnd an unserem Reiscracker. Klingt übertrieben? Ist es in vielen Fällen leider nicht. Aber auch hier lässt es sich in der Community wahrscheinlich gemeinsam fröhlicher nagen.
Der Realitäts-Check
Ich kann nur aus meiner persönlichen Erfahrung sprechen, aber ich habe weder bei mir noch bei meinen Freundinnen erlebt, dass wir weniger Aufmerksamkeit von Männern bekommen haben, wenn die Waage ein paar Kilos mehr angezeigt hat. Ja ich gebe zu, natürlich spreche ich jetzt von höchstens fünf Kilos mehr, aber der Punkt ist doch: Wir machen uns den ganzen Stress, weil wir glauben, dass unser Glück und unsere Attraktivität mit sinkender Kilozahl steigen – und das ist Gott sei Dank nicht wahr!
Ich habe selbst im Fitness-Bereich gearbeitet und wollte oft nur weinen über die schönen Frauen, die sich selbst auf unmenschliche Weise fertig machten, um einem nicht zu erreichenden Ideal nachzueifern. Und wenn ich im Gespräch nachfragte, warum sie sich so drillen, wussten viele darauf nicht einmal eine präzise Antwort. „Ich darf nicht zunehmen“, „Man muss doch attraktiv bleiben“, „Meine Freundin hat Modelmaße, da darf ich mich nicht gehen lassen“, „Wenn ich zunehme, sucht sich mein Freund bestimmt ne Neue“ – alles O-Töne.
So gut wie nie hingegen habe ich den schlichten Satz gehört: „Weil ich einfach Freude dran habe“.
Und selbst die, welche scheinbar so fröhlich ihr tägliches Training absolvierten, gestanden mir oft heimlich, wie sehr sie sich um ihr Gewicht sorgten, und wie hart sie sich ständig disziplinierten, um bloß kein Gramm mehr auf die Waage zu bringen. Und letztlich sind doch immer alle frustriert, weil irgendetwas eben doch noch nicht perfekt ist – was auch immer das heißen mag.
Sind wir denn alle verrückt geworden?
Alle wollen irgendwie perfekt sein. Wir wollen den perfekten Körper, die perfekte Frisur, das verführerischste Lächeln und eine unwiderstehliche Ausstrahlung. All das versprechen uns die Fitness-Gurus natürlich. „Mach mein Programm, und dein ganzes Leben wird sich verändern, weil du jetzt die beste Version von dir bist“.
Ist ja auch eigentlich ganz bequem, die eigene Verantwortung für eine zufriedenstellende Gestaltung des eigenen Lebens abzugeben und alles von äußeren Umständen wie straffen Oberschenkeln abhängig zu machen, oder? 90-60-90: Dein Ticket zur ewigen Glückseligkeit – garantiert!
Ganz ehrlich: Eigentlich sind wir doch alle viel zu clever, um zu glauben, dass sowas wirklich funktionieren kann.
Aber nur mal so in die Luft gesponnen: Was wäre, wenn wir alle die beste Version von uns bereits in uns tragen, also in unserem Herzen – und wenn diese Version gar nichts mit Fett- und Muskelanteil zu tun hätte? Wenn wir mit uns selbst ins Reine kämen und unser Leben selbstbewusst und positiv gestalten ohne vorgegebene Perfektionsnormen? Wenn wir uns gut mit uns fühlen, auch wenn wir außerhalb einer Community oder Army stehen? Sport kann man ja trotzdem machen, aber hoffentlich mit weniger Druck.
Was würde passieren, wenn wir es schaffen, uns auch hier selbstbewusst von äußeren Vorgaben zu emanzipieren?
Tja, dann würden viele Lifestyle-Gurus um einiges weniger an Geld verdienen, und wir um vieles entspannter und lebensfroher werden.
Ich denke, es ist einen Versuch wert.
Mehr bei EDITION F
Ich liebe meinen Bauch – in jeder Form. Weiterlesen
Alex Hipwell: „Ich habe etwas geschafft, von dem alle dachten, dass ich es nicht schaffen würde“. Weiterlesen
Mach es wie Jemima Kirke: Wir sollten anfangen, unseren Körper zu lieben! Weiterlesen