Foto: unsplash | Bruno van der Kraan

Wie ich auf Tinder einen Mann mit Durchfall traf und trotz Koran im Nachttisch einen Tanz der Sinne machte

Wenn das Leben die besten Drehbücher schreibt, dann ist Tinder Hollywood-Autor*in. Überall wimmelt es von lustigen, gruseligen und skurrilen Geschichten. Unsere Autorin hat sich selbst in so eine verstrickt. Ein Protokoll mit Screenshots

Bis auf Allen wusste niemand, was abgeht

Es war Samstag Nacht, ich hing in einem Airbnb in Indonesien rum. Dank Jetlag lag ich seit Stunden nur im Bett und machte nichts anderes, als zu versuchen, die Klimaanlage auf eine erträgliche Temperatur zu bringen. Aber irgendwie gab es in dieser Nacht entweder nur Frieren oder Schwitzen. Ein bisschen alleine fühlte ich mich dazu auch noch hier auf diesem fremden Kontinent. Zwei Wochen zuvor hatte ich mit meinem Freund Schluss gemacht. Irgendwie war alles scheiße. Es sollte alles noch etwas beschissener werden (aber nur im wahrsten Sinne des Wortes).

Da lag ich also in meinem Bett und lediglich die Fernbedienung der Klimaanlage leistete mir Gesellschaft. Also tat ich, was Millennials bei Einsamkeit als erstes in den Sinn kommt. Ich suchte Zuflucht im Internet. In so einem Fall wie meinem: Tinder. Da wusste ich noch nicht, dass mein erstes Match auch mein skurrilstes bleiben würde.

Natürlich hatte ich keine Ahnung, wie man Tinder benutzt. Die Beziehung, die ich gerade beendet hatte, kam zustande, bevor es Dating-Apps gab. In der Schule hatte man es uns auch nicht beigebracht und so wischte ich mich auf eigene Faust durch die Herrenwelt bis hin zu Allen*. Es war ein Match.

*Ich würde an dieser Stelle gerne „Namen von der Redaktion geändert“ schreiben, aber da seine Identität ohnehin zweifelhaft ist, ist das auch egal.

Ich hatte ja nichts zu tun, außer mit der Klimaanlage rumzuspielen, also fragte ich Allen, ob er nicht vorbeikommen wolle. Seine Antwort: Geht nicht wegen Durchfall. Okay, sexy.

Ich wusste ja, dass man sich auf Tinder schnell nahekommt, aber irgendwie ging mir diese Art von Intimität in die falsche Richtung. Wir kannten uns ja erst seit einer halben Stunde. Auf den Bildern gab sich Allen als reisefreudiger, durchtrainierter Amerikaner. Meine anfänglichen Fantasien waren mit seiner Nachricht zwar weitgehend verflogen, aber trotzdem wollte ich mein erstes Match nicht gleich in den Wind schießen. Ich mag ja Männer, die natürlich sind und zu sich selbst stehen, sagte ich mir selbst. Und sowieso hatte ich wie gesagt keine Ahnung wie das alles auf Tinder abläuft. Vielleicht macht man das hier so, dachte ich mir. Vielleicht sind hier alle sexuell total befreit, schreiben über alles und Pipi-Kacka ist kein Tabu-Thema. Wir chatteten noch ein bisschen weiter, unterhielten uns über Reiseziele und Essen, was dann irgendwie wieder zu seinem Durchfall führte. Warum, Allen? Warum?

Da lag ich also noch immer alleine im Bett, mit der Info, dass Allen Durchfall hat und fragte mich, ob ich zu prüde für Tinder sei (Spoiler: Ihr werdet im Laufe der Geschichte merken: Ich bin es nicht).

Am nächsten Tag vibrierte mein Handy wieder und ich war mir nicht ganz sicher, ob ich die Nachricht von Allen während des Frühstücks öffnen sollte. Doch die Nachricht war gut. Es gab was umsonst:

Allen hatte Massagegutscheine übrig – er war wohl verhindert durch seine Magenverstimmung – und der Bonus ging an mich.

Ich dachte an eine wunderbare Massage in einem Spa. Aber irgendwie hatte ich da wohl falsche Vorstellungen. Der Masseur kommt nach Hause, erklärte Allen mir. Alles klar, angenehmer Service, dachte ich mir, und ahnte nichts Böses. Auf einen Temperaturwechsel draußen in die schwüle Sommerhitze hatte ich ohnehin keine Lust. Inzwischen hatte ich die Klimaanlage nämlich ziemlich perfekt eingestellt. Ich war lediglich verwirrt, warum Allen mich fragte, ob ich schon Frühstück hatte.

Massageboy und ich machten schnell die Details aus und ich freute mich auf den Nachmittag. Komischerweise wies er mich darauf hin, wenig zu essen. Die letzte professionelle Massage, die ich hatte, stammte von meinem Ergotherapeuten. Er hatte mich nie darauf hingewiesen, dass ich vor dem Termin leicht essen sollte und das, obwohl er beim Wirbel-Einrenken meinen Körper nicht unbedingt sanft behandelt hatte.

Warum sollte ich wenig essen? Das letzte Warnzeichen ignorierte ich in meiner Freude über Freibier. „Are you regular“ interpretierte ich als „Hast du schon öfters (regelmäßig) Massagen bekommen?“.

Also hatte ich noch immer keinen blassen Schimmer, als er mit seinem ganzen Massage-Equipment an der Türe klingelte. Schnell ließ ich ihn rein, wollte ich doch nicht, dass schwüle Luft reinkommt. Denn ich wollte ja meine zwei Stunden Massage genießen und nicht wieder alle paar Minuten die Fernbedienung für die Klimaanlage drücken. Vielleicht war es aber ohnehin gut, dass ich ihn fix und ungesehen von den Nachbar*innen vorbei reinhuschen ließ. Mein superreligiöser Vermieter wäre sicherlich aus allen Wolken gefallen, wenn er mitbekommen hätte, was da gleich in seinem Airbnb abgehen sollte.

Im Schlafzimmer füllten bald entspannende Musik und Duftkerzengeruch die von mir perfekt temperierte Luft. Als ich mich umdrehte, er mir nackt gegenüberstand und sagte, dass ich mich jetzt auch ausziehen kann, wusste ich, dass das nicht eine dieser Massagen ist, die mir sonst meine Orthopädin verschreibt. Ich war verwirrt, Massageboy war verwirrt und ob Durchfall-Allen mit Absicht einen Tantra-Masseur gebucht hatte, wussten wir nicht. Auf jeden Fall standen wir uns verwirrt gegenüber und er wollte meine privaten Stellen massieren. Wie bei allen Dingen rund um Tinder hatte ich natürlich keine Ahnung, was Tantra überhaupt ist. Verwirrter Massageboy erklärte mir, dass es darum geht, den Körper sinnlich zu berühren und bis in die Intimzone zu massieren. Er nannte es einen „Tanz der Sinne“, meinte, dass mein Wesen auf verschiedenen Ebenen berührt wird und dass der Geist befreit wird. Alles klar.

Ich ließ mich darauf ein

Mir gefiel dieses Konzept, mich zwei Stunden rundum massieren zu lassen. Ein bisschen ein schlechtes Gewissen hatte ich nur meinem Vermieter gegenüber, der mir extra noch ein Exemplar des Korans in den Schlafzimmerschrank gelegt hatte. Irgendwie klingt „Mich auf etwas einlassen“ so nach Sadomaso-50-Shades-of-Grey. Tatsächlich ging die Tantramassage in eine andere Richtung: Sanft und meditativ und es wurde unglaublich viel mit der Atmung gearbeitet. Ziemlich intensiv – ich wusste bald, warum ich an dem Tag nur leichte Kost essen sollte. Rundum eine wohltuende Erfahrung, und Massageboy bestand darauf, dass ich zwei Mal gekommen wäre. So wirklich gefühlt habe ich das nicht, aber Mann war da sehr überzeugt von sich selbst. Laut seinen eigenen Aussagen hatte er das nämlich am Energiefluss gespürt. Er war wirklich nicht nur esoterisch angehaucht, sondern ganz benebelt davon. Einen Orgasmus hatte ich also nicht, aber den hatte ich bei einer Massage ja ohnehin nie erwartet. Habe ihn also im Nachhinein mit vier von fünf Sternen bei Google bewertet.

Wie jede schöne Geschichte endet diese hier nicht mit dem Höhepunkt. Massageboy fand nämlich, dass unsere Energien derartig gut geflossen sind, dass er mir noch über seine beruflichen Aufgaben hinaus Nachrichten schickte:

Ob ich mit ihm auf ein Date will oder einen Dreier haben möchte, fragte mich Massageboy noch im Nachhinein. 

Ich saß also auf einem fremden Kontinent, wurde mit Nachrichten zugespamt von einem Tantramasseur, und mein Tindermatch hatte noch immer Durchfall. Deswegen (?) schafften wir es auch nicht, uns zu treffen, bevor ich mein perfekt temperiertes Airbnb wieder verließ und zurück nach Deutschland flog.

Ob Allen wirklich existiert oder nur ein großzügiger Tantramassagenspender ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall schickt er mir selbst neun Monate nach unserem Match noch immer regelmäßig Nachrichten. Seit acht Monaten antworte ich nicht mehr auf die seltsame Mischung aus Nacktbildern, Witzen und Landschaftsfotografie:

Während ich allerdings die Screenshots für diesen Artikel gemacht habe, habe ich aus Versehen auf Videoanruf geklickt. (Falls das hier jemand liest, der bei WhatsApp arbeitet: Das passiert zu vielen Menschen viel zu oft und ihr solltet endlich mal den Anrufbutton umplatzieren, bitte). Vielleicht ruft Allen ja zurück und seinem Durchfall geht es besser. May the story be continued …

 

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