Prinzipiell sind Massagen und Treatments eine tolle und entspannende Sache. Zumindest, solange die Massage professionell ausgeführt wird. Was aber, wenn der Behandler Grenzen überschreitet?
Wie sieht eine Grenzüberschreitung aus?
Ganz egal, ob zu Weihnachten ein Day-Spa-Gutschein oder ein Gutschein für eine Massage unterm Baum lag: Es wird höchstwahrscheinlich kein Weg daran vorbeiführen, sich aus den Winterklamotten zu schälen. Will heißen: ausziehen.
Für viele stellt das Nacktsein in der Sauna und während
eines Treatments kein Problem dar. Für mich als ausgebildete Physiotherapeutin
war es auch viele Jahre das Selbstverständlichste der Welt. Bis zu dem Tag, an
dem diese Situation von meinem Behandler ausgenutzt wurde.
„Es geht hier
etwas freizügiger zu.“
Wer wie ich über Spas schreibt, legt regelmäßig seine
Klamotten ab, um Treatments zu bekommen. So war das auch Anfang 2015 bei einem
Hamambesuch. Der Hamammeister forderte mich auf, meinen Bikini auszuziehen. „Es geht hier etwas freizügiger zu.“ WTF? Ich hoffte inständig, dass
diese Äußerung auf seine nicht hundertprozentig perfekten Deutschkenntnisse
zurückzuführen war – und zog meinen Bikini aus.
Im Folgenden erlebte ich meine erste sexuelle
Grenzüberschreitung in der Rolle des Gastes. Ich wurde gestreichelt und gefragt,
ob es mir gefällt. Ich lag splitterfasernackt vor diesem Mann und war
bewegungs- und handlungsunfähig. Er massierte ausgiebig meinen Po und ich war
nicht in der Lage, aufzustehen und zu gehen, geschweige denn, ihn anzuschreien
und wissen zu lassen, dass er verdammt nochmal damit aufhören soll.
Ich war eingefroren
und vollkommen handlungsunfähig – der Klassiker
Im Anschluss fühlte ich mich schmutzig und benutzt. Wie konnte
mir das nur passieren? Ich habe selbst schon so viele Behandlungen gegeben und
bekommen. Wie kann es sein, dass ich in solch einer Situation nicht in der
Lage bin, zu interagieren? Ich ging hart mit mir ins Gericht und beschloss
nach einer Weile, auch dieses ungute Erlebnis mit meinen Lesern zu teilen.
Es gab zu diesem Zeitpunkt einen neun Monate alten Post über Grenzüberschreitungen
im Treatment-Raum, die von Gästen ausgehen, und schon damals bekam ich unzählige
E-Mails von Leserinnen, bei deren Rückenmassage männliche Behandler mehr massiert haben als nur
den Rücken.
Nach der Veröffentlichung meiner eigenen Erfahrung in diesem
Hamam explodierte jedoch mein E-Mail-Postfach. Die Besucherzahlen des Blogs
schossen in nie dagewesene Höhen, und nachdem ich mich zwei Tage lang durch E-Mails
von ebenfalls betroffenen Frauen gelesen hatte, war für mich klar: Ich muss
diesem Thema mehr Raum geben. Ich interviewte den ersten Kriminalhauptkomissar
für Sexualdelikte sowie einen Spa-Manager und besuchte eine Frauenberatungsstelle in Kreuzberg.
Je mehr ich mich mit dem Thema auseinandersetzte,
desto mehr bestätigte sich mein Verdacht, dass es sich dabei um ein
allgegenwärtiges Problem handelt, das aber niemand so recht auf dem Schirm hat,
weil die betroffenen Frauen schweigen. „Bei uns ist sowas noch nie
passiert“, tönt es aus den meisten Spas. „Ja, sowas ist mir auch
schon mal passiert“ die Reaktion vieler Freundinnen und weiblicher Bekannter.“
Die meisten Frauen schweigen
Nur, weil betroffene
Frauen diese Erlebnisse in der Regel für sich behalten, bedeutet das nicht,
dass es nicht passiert.
Es ist also wichtig, die Spa-Branche zu sensibilisieren für
diese ungemütliche Thematik. Ich habe beim SpaCamp 2015 mit einer Session zum
Thema bereits damit begonnen. Jetzt gilt es, am Ball zu bleiben. Ich denke über eine
blogeigene Zertifizierung nach. Was aber noch viel wichtiger ist:
Betroffene Frauen
sollten solche Situationen immer öffentlich machen!
Dass man in einer solchen grenzüberschreitenden Situation als betroffene Frau handlungsunfähig
ist, ist leider ganz normal. Dieses Verhalten ist zum einen darauf
zurückzuführen, dass die Frau durch die liegende Position bereits physisch exponiert ist. Dass sie selbst nackt ist und der Behandler angezogen,
macht es auch nicht unbedingt besser. Zum anderen stehen uns in einer solchen
Situation drei mögliche Reflexe aus dem Bereich der Traumatologie zur
Verfügung: Fight, Flight oder Freeze. Dass die meisten Frauen einfrieren, ist
also keine willentliche Entscheidung, sondern bloß ein sehr früh im Gehirn
angelegter, sehr primitiver Reflex. Mir hätte dieses Hintergrundwissen damals
sehr geholfen, weil ich sehr hart mit mir selbst ins Gericht gegangen bin.
Was tun nach einer
übergriffigen Massage?
Es ist ganz wichtig, dass betroffene Frauen nach einer
solchen Erfahrung gut für sich sorgen. Für gewöhnlich dauert es eine Weile, bis
man wieder zu sich kommt. Es ist vollkommen in Ordnung, sich zurückzuziehen und
sich erstmal zu sortieren. Es kann darüber hinaus auch helfen, sich jemandem anzuvertrauen.
Hier gilt es jedoch, diese Person achtsam auszuwählen, denn ich bekam nach
meiner Schilderung solche Sachen zu hören wie „Aber war es nicht auch ein
bisschen geil?“ oder „Also ich hätte dem eine gescheuert!“.
Beides Aussagen, die alles nur noch schlimmer machen.
In der zweiten Phase ist es wichtig, den Übergriff
öffentlich zu machen. Ich habe das bereits unmittelbar nach der Behandlung
getan. Wer dazu dann schon in der Lage ist: Go for it! Es empfiehlt sich, zu
diesem Zweck nach dem Spa-Manager oder der Spa-Managerin zu fragen. Für viele ist
es aber vermutlich einfacher, den Vorfall im Nachhinein telefonisch oder per
Email zu thematisieren. Meine Leserinnen berichten in Emails auch häufig, dass
der Freund/Ehemann/Partner den Laden nach einem erlebten Übergriff
auseinandernimmt.
Die Art und Weise, wie der Übergriff letztendlich öffentlich
gemacht wird, ist vollkommen egal. Wichtig ist nur, dass es passiert, denn nach
wie vor schweigt die Mehrheit aller betroffenen Frauen.
Aber wo fängt eine sexuelle Grenzüberschreitung an?
Sobald die Gedanken während der Massage nur noch darum
kreisen, ob es sich bei den Griffen und Techniken des Behandlers noch um eine „normale Massage“ handelt oder ob er schon zu weit geht, darf davon
ausgegangen werden, dass eine Grenzüberschreitung vorliegt.
Wer sich darüberhinaus nicht sicher ist, ob ein
Straftatbestand vorliegt, der zur Anzeige gebracht werden kann, findet beim
Bundesverband Frauen gegen Gewalt Listen von Beratungsstellen.
Also: Nur wenn es Beschwerden gibt, haben Spas die
Möglichkeit, Konsequenzen zu ziehen und nur wenn übergriffige Behandler nicht
länger massieren, kann es in den Treatmenträumen wirklich entspannt zugehen.
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