Die „neue Arbeitswelt“ rollt an – und mit ihr der Ruf nach Eigenverantwortung, nach Freiheiten, nach Mitbestimmung. Was ist aber mit den Mitarbeiter*innen, die keine Lust auf Selbstverwirklichung haben?
Die „neue Arbeitswelt” ist ein Gewinn für Führungskräfte
Ich bin ein absoluter Fan der „neuen Arbeitswelt”. Ich glaube, dass durch eigenverantwortliches Arbeiten, Innovation gefördert wird. Dass hinter mehr Eigenverantwortung, flexibleren Modellen und mehr Freiheit, unternehmerische Motive stecken, ist natürlich richtig. Dieser Aspekt ist in meinen Augen auch nichts Verwerfliches, denn nur so können Unternehmen schließlich ihre volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.
Allerdings blicke ich auch kritischen auf die „neue Arbeitswelt”. Denn was ist mit den Mitarbeiter*innen, die sich in den „starren” Strukturen am wohlsten fühlen?
Die Schattenseite der „neuen Arbeitswelt”
Freiheit und Eigenverantwortung sollen Mitarbeitern ermöglichen, ihren Beitrag für das Unternehmen zu erbringen. Und das tun sie bekanntlich am besten, wenn sie einen Sinn in diesem Beitrag sehen, Selbstverwirklichung erleben und handlungsfähig sind – zumindest geht das vielen so, aber eben nicht allen.
Nun kommt diese enorme Welle an Ideen, Gedanken und Methoden, wie Führungskräfte und Mitarbeiter*innen diese neuen Freiheiten umsetzen sollen. So weit, so gut. Nur: Da entsteht ein ideeller Hype. Was ist mit Mitarbeiter*innen und Führungskräften, die nicht selbstverantwortlich und total frei arbeiten wollen und können? Selbstverantwortung hört sich gut an, aber es gibt eine ganze Menge von Menschen, die lieber nur das machen, was sie bisher auch machen sollten, die Angst haben, Entscheidungen zu treffen. Oder aber Menschen, die einen ganz anderen Bezug zu Arbeit haben und sich sagen: „Ich verdiene hier mein Geld und gut ist.“ Was ist mit den Mitarbeitern, die Eigenverantwortung und Freiheit voll ausnutzen? Die im Home-Office bei einem Tässchen Kaffee die Beine hochlegen und Zeitung lesen, einfach weil sie nur im Büro wirklich produktiv sind.
Diese Menschen gibt es zuhauf. Und doch wollen die meisten Unternehmen alle ihre Mitarbeiter*innen auf einen Schlag „abholen“. Daher ist und bleibt für mich die Frage: Wann wird sich realistisch mit den Voraussetzungen und Wünschen der Mitarbeiter*innen auseinandergesetzt?
Was wollen Angestellte?
Die Grundhaltung, die für die „neue Arbeitswelt” Voraussetzung ist, wird nicht thematisiert, sondern umschifft. Wieder einmal glauben viele Unternehmer und Führungskräfte, ihre Mitarbeiter brauchen nur die richtigen Methoden, Instrumente und Regeln, schon sind alle motiviert und bringen Höchstleistungen. Sie vergessen: Nicht alle hatten die Möglichkeit, sich in Freiheit auszuprobieren.
Für die „neue Arbeitswelt” brauchst du Menschen, die die Chance hatten, eine entsprechende Grundhaltung und Identität zu entwickeln oder aber in der Lage sind, unter bestimmten Rahmenbedingungen diese Einstellung zu fördern. Nicht alle Menschen haben aber gelernt, eigenständig und selbstbestimmt zu arbeiten. Nicht alle haben die nötige Grundhaltung, das Selbstvertrauen und die Selbstreflexion, um Freiheit in der Arbeit erlernen zu können und zu wollen.
Das sagt nichts über den Wert der Menschen oder das Bildungsniveau aus. Ich kenne hochintelligente, promovierte Menschen, die erstarren, weil sie Angst haben, eine Entscheidung zu treffen. Ich wünsche mir deshalb mehr Verständnis von Seiten jener, die diese Freiheit genießen können, anstatt andere Lebensläufe schlicht zu ignorieren oder abzuwerten. Denn sie haben das Glück, dass die „neue Arbeitswelt” bereits ihren Einstellungen, Fähigkeiten und Vorstellungen entspricht. Sie haben Freude daran, sich weiterzuentwickeln. Und um persönliche Entwicklung geht es schließlich, wenn Mitarbeiter plötzlich mit Freiheiten und Eigenverantwortung arbeiten sollen.
Als Führungskraft solltest du dich deshalb fragen: Welche Rahmenbedingungen schaffst du für deine Mitarbeiter*innen, damit sie den Übergang in die „neue Arbeitswelt” gut meistern können? Dabei geht es eben nicht nur um die richtgen Tools, sondern auch darum seine Angestellten da abzuholen, wo sie am besten arbeiten können. Und von dort aus mit ihnen gemeinsam einen guten Übergang in neue Strukturen zu schaffen. Du weißt, dass sich die Arbeitswelt ändern wird und muss, aber ich wünsche mir, dass du dich dabei mehr mit der Grundhaltung der Mitarbeiter*innen auf allen Hierarchieebenen beschäftigst und dass du sie im Unternehmen endlich thematisierst. Dann schaffst du das Umfeld, in dem dein Unternehmen erfolgreich in die „neue Arbeitswelt” wandern kann – und zwar mit allen Mitarbeiter*innen gemeinsam.
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