Jede*r scheint zum Thema Fortpflanzung und Familienplanung eine starke Meinung zu haben, die gerne ungefragt aufgedrängt wird. Das nervt, findet unsere Community-Autorin.
Ende 20 und noch nicht schwanger? Was ist denn da los?
Mein Freund und ich waren beide Mitte 20, als wir die Verhütung absetzten. Wir hatten gerade unsere ersten richtigen Jobs nach dem Studium angefangen, waren mit dem ersten Gehaltsnachweis in eine große, schöne Wohnung mit kleinem „Arbeitszimmer” gezogen, das jederzeit gut in ein kleines Kinderzimmer umfunktioniert werden könnte. Wir hatten natürlich befristete Verträge, die in maximal drei Jahren auslaufen würden und ich wollte unbedingt während Schwangerschaft und Elternzeit in einem sicheren Arbeitsverhältnis stehen. Außerdem waren wir uns sicher, dass wir zusammenbleiben würden und auch Kinder wollten – warum also warten?
Das Problem war: Das Kind kam einfach nicht. Nach eineinhalb Jahren suchten wir, mittlerweile nervös geworden, eine Kinderwunschpraxis auf. Drei Jahre lang dauerte die psychisch wie physisch anstrengende, nervenaufreibende Prozedur. Nach zwei Fehlgeburten hielt die dritte Schwangerschaft. Unsere kleine Tochter wurde geboren, als wir Anfang 30 waren.
Anderthalb Jahre später haben wir erneut die Reproduktionsmedizin in Anspruch genommen. Diesmal klappte es auf Anhieb, und aktuell bin ich mit Zwillingen schwanger, einem Sohn und einer Tochter. Wir sind sehr glücklich, auch wenn uns klar ist, dass das erste Jahr vermutlich unglaublich anstrengend werden wird.
Fragen über Fragen!
Was mir im Zuge dieser Fortpflanzungsgeschichte extrem aufgefallen ist: wie eng der gesellschaftlich akzeptierte Rahmen in diesem Bereich ist – und dass das einfach nur tierisch nervt. Denn mit Ende 20 gingen die Fragen los:
„Wann kriegt ihr denn ein Baby?”
„Ähm” … Schweigen.
Die ehrliche Antwort hätte gelautet:
„Naja, nachdem nach der quasi erzwungenen Heirat (denn nur dann übernimmt die Krankenkasse wenigstens die Hälfte der horrenden Kosten einer Kinderwunschbehandlung) die Methode der künstlichen Befruchtung endlich angeschlagen hat, habe ich leider gerade unser zweites Kind verloren, danke der Nachfrage.”
„Also ich hatte mich ja auf mehrere Enkelkinder gefreut.”
„Ähm.” … Schweigen
Die ehrliche Antwort hier hätte gelautet:
„Ja, du, ich mich auch, auf Kinder. Generell. Oder zumindest eines. Scheint aber leider nix damit zu werden.”
Fortpflanzung als Pflicht
Fortpflanzung wird ab einem bestimmten Alter also grundsätzlich zur Pflicht, zu einer Erwartung. Selbst Leute, zu denen man keine wirklich intime Beziehung hat – wie Arbeitskolleg*innen oder Orchestermitglieder – konfrontieren eine*n mit unangenehmen Kommentaren zum Thema Familienplanung, als handele es sich um die Frage, wie denn das Wetter morgen werde. Und Gott behüte, wenn man, statt „mal schauen” zu nuscheln, geradeheraus sagt, dass man keine Kinder wolle (vor allem als Frau). Das habe ich zwar nie gemacht, weil das nicht stimmte, aber ich weiß, was man dann für Blicke, Kommentare und Belehrungen erntet.
Der Kelch der ungewollten, permanenten Kinderlosigkeit ist, wie gesagt, knapp an uns vorbeigeschrammt. Gerade noch rechtzeitig! Gut, dass wir so früh angefangen haben – denn über 35 beim ersten Kind? Grundsätzlich eine Risikoschwangerschaft. Und dann noch weitere Kinder? „Über 40 wird das aber ganz schön anstrengend, mit so einem Säugling, oder?”
Alter, Anzahl, Zeitpunkt sind genau festgelegt
Alterstechnisch haben wir es also mit einer starken Normvorstellung zu tun, in welchem Zeitfenster man (und vor allem Frau) Nachwuchs bekommen darf. Aber auch die Anzahl der Kinder wird viel und gerne kommentiert.
Keins geht gar nicht. Eins ist schonmal besser als keins. Aber auf jeden Fall zu wenig: „Wann kommt denn das nächste? Ihr wollt doch kein egoistisches Einzelkind, oder?”, „Ach ja, Zwillinge. Wie nett. Aber dann seid ihr auch durch, ne!”, „Aber das war’s dann auch, oder?”
Es scheint komplett außerhalb der Vorstellungskraft vieler Menschen zu liegen, dass man eventuell auch mehr als drei Kinder kriegen kann. Aus Trotz sage ich dann, nett lächelnd, aber konsequent: „Naja, mal schauen, wir waren ja vier zu Hause, das war auch lustig!” Und ernte meistens einen schockierten Blick und ein zweifelndes „Aaaah, ja, ok.”, während sie sich heimlich zu denken scheint „Komisch, für so geisteskrank habe ich sie gar nicht gehalten.”
Es gibt nicht nur einen richtigen Weg
Jede*r zu dem Thema eine Meinung zu haben scheint und diese einem/einer ständig ungefragt mitteilt. Ich verstehe das nicht. Was interessiert es mich, ob meine Nachbarin „erst mit 22! Und mitten in der Ausbildung!” ein Kind bekommt oder schon fünf von unterschiedlichen Männern hat? Ich habe einen kleinen Neffen, dessen Eltern sich während der Schwangerschaft getrennt haben und der nun im gleichberechtigten Wechselmodell mit Mama und Papa, Stiefmutter und Stiefvater, zwei Halbschwestern und zwei Stiefgeschwistern aufwächst – ein absolut glückliches Kind. Mittlerweile bewundere ich meine Mutter sehr, die, wie gesagt, vier Kinder bekam und beim letzten, Anfang der 90er Jahre, über 40 war. Das muss gesellschaftlich noch viel härter gewesen sein als heute.
Ich frage mich, warum wir nicht einfach alle etwas entspannter sein und uns gegenseitig machen lassen können. Dann wären auch die „Kriege” nach der Geburt der Kinder (nicht stillen / stillen / wie lange stillen?, Süßigkeiten oder keine, ab wann wie viele? Kinder-Sonnencreme für 2 Euro von dm, für 30 Euro aus der Apotheke, nicht eincremen, sondern lange Leinenkleidung?) nicht so anstrengend. Bekommen wir das hin? Das wäre schön.
Wir haben jetzt unsere eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder (noch) nicht. Schaut doch mal vorbei!
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