Die Schriftstellerin Anke Stelling hat einen Roman über Prenzlauer-Berg-Mütter geschrieben. Sie muss sich auskennen, sie ist nämlich selbst eine.
„Frauen werden als Mütter komisch“
Sie hat selbst drei Kinder und lebt in dem Berliner Kiez, der als Symbol für alle feindlichen Klischees gegenüber Müttern steht: Anke Stelling wohnt in Prenzlauer Berg. Die Autorin, Mutter von drei Kindern, setzt sich in ihrem Roman Bodentiefe Fenster mit den Bewohnern des wohlhabenden Bezirks auseinander. Was steckt hinter der Fassade von nachhaltiger Mode, Holzspielzeug und dem Latte-Macchiato-Mutterglück. Mit Friederike Oertel hat Anke Stelling im Interview für EDITION F über den Drang nach Selbstoptimierung, #regrettingmotherhood und die Frage gesprochen, wieso uns das Mutterwerden eigentlich so verändert.
In ihrem Roman „Bodentiefe Fenster“ beschreiben Sie mit viel Ironie eine Müttergeneration, die an den Idealen der 68er-Bewegung scheitert. Sie selbst wohnen mit mehreren Familien in einem Gemeinschaftshaus im Prenzlauer Berg – ist Ihr Buch eine Abrechnung?
„Ich hatte öfters das Gefühl, Beifall von der falschen Seite zu bekommen, nach dem Motto: Endlich haut mal jemand auf die blöden linksliberalen Mütter ein. Aber das war nicht meine Absicht. Ich habe mich einfach gefragt, warum alle Frauen um mich herum, mich selbst eingeschlossen, so komisch werden, wenn sie Kinder bekommen. Dieser Frage wollt ich im Schreiben nachgehen.“
In Ihrem Roman leiden insbesondere Frauen unter dem Anspruch, alles richtig, alles besser machen zu wollen. Würden Sie sagen, dass der Drang zur Selbstoptimierung ein Frauenthema ist?
„Selbstoptimierung betrifft auch Männer. Alltag, Elternrolle, Kindererziehung – das alles ist auch bei ihnen ein Riesenthema. In meinem Roman stehen die Frauen im Fokus, weil die weibliche Perspektive meine eigene ist. Bei der Ich-Erzählerin Sandra kommt eine besondere biografische Komponente hinzu: Sie hat von ihren 68er-Eltern den Auftrag bekommen, die Welt in einen besseren Ort zu verwandeln und will deshalb auch selbst immer alles richtig machen. Als eine Art Kassandra vom Prenzlauer Berg ist sie eine tragische Heldin und keine Witzfigur, die vorgeführt werden soll.“
Inwiefern Heldin? In welcher Welt lebt Sandra?
„Gut situierte bürgerliche Gegenwart. „Deutsche-Bionade-Biedermeier-Gesellschaft“ – es gibt diese ganzen Schlagwörter. Mir wurde im Vorfeld oft gesagt, deren Probleme seien doch Luxusprobleme. Aber ich glaube: Problem ist Problem. Man findet immer jemanden, der noch mehr leidet. Sandra hat sich nicht ausgesucht, in dieser Welt zu leben. Dennoch wird ihr Lebensrahmen dadurch gestaltet. Das macht Sandra zur Heldin des Alltags – als Frau und Mutter.“
Auch Sie leben in einem Gemeinschaftshaus im Prenzlauer-Berg. Die Frage liegt nahe: Gibt es zwischen Ihnen und Ihrer Protagonistin eine Parallele?
„Sandra hat eine große biografische Nähe zu mir. Und in meinen Roman sind viele reale Erfahrungen und Themen eingeflossen, die mich beschäftigen und auch veranlasst haben, diesen Roman zu schreiben. Für mich ist es wichtig, beim Schreiben an etwas Persönliches anzudocken. Ich mag keine Texte, bei denen man das Absperrband und den Sicherheitsabstand spürt.“
Trotzdem schreiben Sie aus Sandras Perspektive…
„Ich brauche die Figur der Sandra. An ihr kann ich verschiedene Situationen und Möglichkeiten durchspielen. Sandra kann Sachen machen, die ich nicht mache und Gedanken denken, die ich mich nicht traue zu denken. Dafür erleidet sie aber auch ein Schicksal, das ich womöglich nicht erleide.“
Was für ein Verhältnis haben Sie zu ihrer Protagonistin? Mögen Sie sie?
„Ja, sehr. Wenn ihr von Kritikern vorgeworfen wird, sie würde nicht ausbrechen, sei larmoyant und schmore im eigenen Saft, macht mich das richtig sauer (lacht). Der Plot hätte einen Ausbruch hergegeben, aber mir erschien es stimmiger, dass es nicht passiert. Ich mag dieses Weinerliche und Neurotische an ihr. Sandra sagt an einer Stelle im Roman, sie mag keine Leute, die ihr Leben im Griff haben und ich mag auch keine Leute und Figuren, die ihr Leben im Griff haben. Außerdem: In dem was sie denkt, geht sie ziemlich weit.“
Sie hat negative Gefühle gegenüber ihren eigenen Kindern und ihrer Rolle als Mutter. Ein Thema, das unter dem Schlagwort #regrettingmotherhood eine hitzige Debatte in den Medien entfacht hat. Hatten Sie Bedenken, über dieses Thema zu schreiben?
„Die Debatte kam erst nach dem Schreiben meines Buches auf. Dieses Tabu hat mich eher befeuert. Ich finde es toll, in einer Sache voranzuschreiten. Aber natürlich war die Sorge da, etwas zu thematisieren, was ich vielleicht gar nicht thematisieren will.“
Würden Sie Ihre Literatur als politisch bezeichnen?
„Ich halte das Schreiben von Gegenwartsliteratur an sich für einen politischen Akt. Für mich gibt es immer eine Verschränkung von Kunst und Wirklichkeit. Insofern sind auch meine Texte im weitesten Sinne politisch. Aber was die Debatte #regrettingmotherhood betrifft: Ich habe nicht geplant, mit meinem Roman einen Debattenbeitrag zu schreiben. Aber der ist es dann geworden: Besonders auf Lesungen wurde viel und böse gestritten. Mir haben die Diskussionen gefallen, aber um Literatur zu schreiben, braucht es mehr als einen aktuellen Aufhänger.“
Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
„Als ich angefangen habe zu schreiben, mit elf oder zwölf, habe ich Hanni und Nanni-Bücher kopiert und persifliert.“
Sie haben abgeschrieben?
„Eher parodiert. Ich habe lange gebraucht, um meine eigene Stimme zu finden und Literatur zu produzieren, der mein subjektiver Zugriff auf die Wirklichkeit zugrunde liegt. Schreiben hat viel mit Selbstermächtigung zu tun, also sich immer wieder zu sagen: Ich bin hier richtig und meine Stimme ist auch für andere interessant.“
Zu Beginn sagten Sie, dass Sie der Frage nachgehen wollten, wieso Frauen so komisch werden, wenn sie Kinder bekommen. Haben Sie es herausgefunden?
„Ein bisschen, ja. Ich habe zwar keine konkrete Antwort, aber ich konnte die Frage von verschiedenen Seiten beleuchten und hoffe, dass auch andere nach dem Lesen meines Buches manches besser verstehen – oder zumindest anders. Auf Lesungen waren die Reaktionen sehr unterschiedlich. Die einen Zuhörer waren ernst und still, andere haben sich auf die Schenkel geklopft. Das hängt auch damit zusammen, wo man selbst steht in dem Ganzen, ob man das als lustig oder bitter empfindet – oder einfach nur als lebensnah.“
Bodentiefe Fenster ist im Verbrecher Verlag erschienen. 256 Seiten, 19 Euro.
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