Was läuft schief in der Familienpolitik und was muss verändert werden? Die CDU-Politikerin Jenna Behrends macht dazu in ihrem neuen Buch Vorschläge. Ein Interview.
„Familien sind dort, wo Kinder sind“
Das Interview mit Jenna Behrends findet an einem familienfreundlichen Ort statt. Während wir miteinander sprechen, sucht ihre Tochter sich in der Kinderabteilung der öffentlichen Bücherei Hörspiele und Bücher aus. Hier sind Kinder willkommen. Hingegen kritisiert Jenna Behrends, die für die CDU Mitglied in der Bezirksverordnetenversammlung in Berlin-Mitte ist, dass Kinder in der Öffentlichkeit immer weniger akzeptiert sind und Familien zu wenig Wertschätzung genießen. In ihrem gerade erschienenen Buch „Rabenvater Staat“ macht die angehende Juristin Vorschläge dafür, Familienpolitik einfacher und aktueller zu gestalten, sowie die Arbeit, die Eltern und Menschen, die Verantwortung für Kinder tragen, stärker anzuerkennen und politisch mitzudenken. Wir haben mit ihr über Werte und Wandel gesprochen und darüber, wie Familien sich stärker einmischen können.
Du gehst mit der Familienpolitik in Deutschland hart ins Gericht und sagst, dass sie einen Neustart verdiene. Welcher ist dein größter Kritikpunkt?
„Am meisten hat mich gestört – und das war auch das, was ich von den Familien, die ich getroffen habe, gehört habe – dass Familien immer noch relativ respektlos behandelt werden. All das, was sie leisten, wird gar nicht anerkannt, sondern im Gegenteil: als selbstverständlich hingenommen. Die ganzen Lasten, die Kinder so mit sich bringen – zu aller Bereicherung, die sie sind – müssen von den Familien ganz allein getragen werden. Außerhalb der Familienpolitik kommen Familien so gar nicht vor und werden nicht wertgeschätzt. Dabei sind ihre Anliegen nicht nur in der klassischen Familienpolitik relevant, sondern auch im Steuer- , im Arbeits- und im Sozialrecht. Im Wahlkampf interessieren sich plötzlich alle für Familien. Da kommen dann Vorschläge wie das Baukindergeld, was für die allermeisten Familien und ihren Alltag nicht wirklich eine Verbesserung bedeutet. Familien sind in den anderen Ressorts zu wenig präsent. Wir bräuchten eigentlich mal einen Finanzminister, besser noch eine Finanzministerin, die familienpolitisch denkt.“
Die erste Finanzministerin der Bundesrepublik hat schon die Rechtswissenschaftlerin und Politikerin Jutta Limbach ins Spiel gebracht. Ist das Thema Familien im Finanzministerium aus deiner Sicht nicht verankert?
„Gar nicht. Wenn wir uns anschauen, wie zum Beispiel unser Steuerrecht und unser Sozialversicherungssystem aussehen, sind wir da immer noch im Modell der 50er, 60er, 70er Jahre, wo es einen Ernährer, eine Hausfrau, zwei Kinder und einen Hund gab. Daran hat sich seitdem wenig geändert. Man hat nur ein paar moderne Elemente auf die Familienpolitik draufgelegt, wie beispielsweise das Elterngeld, oder den Rechtsanspruch auf Kitaplätze. Aber das ändert nichts an den Grundfesten unseres Systems, das immer noch vor allem die Alleinverdienerehe fördert, obwohl es nicht mehr der Lebensrealität der meisten Familien entspricht.“
Spiegelt das Steuersystem unsere Werte wieder? Und wenn ja, welche Werte sind das?
„Das Problem an Familienpolitik ist, dass Familie ein sehr wertaufgeladener Begriff ist. Anders als bei anderen politische Themen, die natürlich manchmal auch sehr emotional diskutiert werden, haben Familien eine besonders schwere Position, weil jeder irgendetwas mit Familie verbindet. Wir haben fast alle eine. Für die einen ist Familie die klassische Kernfamilie und manche Strömungen würden wahrscheinlich am liebsten Mutterkreuze wieder einführen. Auf der anderen Seite gibt es das Extrem, dass Familien als Ort der Unterdrückung von Frauen gesehen werden. Irgendwo dazwischen versuchen die Familien einfach jeden Tag ihr Leben zu leben und für sie ist gar nicht gut, wenn sie in dieser Idieologie-Debatte gefangen sind. Denn das führt dazu, dass Diskussionen über die Förderung von Familien nur schwer zu führen sind, und Themen wie eine gerechtere Besteuerung von Familien gar nicht angegangen werden.“
Aus den Reihen der Union ist es in Sachen Familienpolitik schon länger still – das liegt sicherlich nicht nur daran, dass das Ministerium bei der SPD liegt. Woran dann?
„Zumindest die wirklich großen familienpolitischen Änderungen der letzten Jahre, die aus meiner Sicht viel gebracht haben, kamen von der Union: das Elterngeld mit dem eigentlich revolutionären Gedanken der Vätermonate – auch wenn man immer noch drüber diskutieren kann, ob es genug sind. Und dass es jetzt den Rechtsanspruch auf Kita-Plätze gibt, auch wenn das in der Praxis noch deutlich verbessert werden muss. Ansonsten würde ich mir natürlich wünschen, und das betrifft alle Parteien, dass Familien wieder viel stärker ins Zentrum der politischen Aufmerksamkeit kommen. Familienpolitik wurde in den letzten Jahren zu stiefmütterlich behandelt.“
Fehlen junge Eltern in deiner Partei?
„Die fehlen generell in der Politik. Das war auch mein Gedanke, denn ich bin ja erst nachdem ich Mutter geworden bin, in die CDU eingetreten, weil ich genau diesen Verdacht hatte. Dass vielleicht diese Themen in der Politik nicht vorkommen, weil junge Menschen dort nicht präsent sind, oder überhaupt Menschen, die Familienverantwortung tragen. Du musst mitbekommen, dass gerade Hebammen fehlen, viel zu wenige Kinderärzt*innen da sind und wie schwer es ist, einen Kita-Platz zu bekommen, um diesen Themen dann wirklich große Relevanz zuzumessen. Eltern sind allgemein weniger aktiv in der Politik, weil es ja eine Lebensphase ist, in der wir sowieso alle schon straucheln, unser Familienleben mit dem Berufsleben und vielleicht noch ein wenig Freizeit zu vereinbaren.“
Du machst in deinem Buch eine Reihe von Vorschlägen, die Konservativen vermutlich den Schweiß auf die Stirn treiben würde. Inwiefern siehst du deine Ideen in Einklang mit deinen konservativen Werten?
„Es gibt von der CDU diese Definition, auf die man sich vor einiger Zeit geeinigt hat, dass Familien dort sind, wo Kinder sind. Diese Annahme finde ich schön, weil sie das Kind in den Mittelpunkt stellt und es erstmal egal ist, wo und wie das Kind lebt – ob es zwischen den Eltern hin und her wechselt, mit verheirateten Eltern lebt, in einer Patchwork-Konstellation oder Co-Eltern, spielt keine Rolle. Es geht darum: Wo sind Kinder und wo die Menschen, die sich für diese Kinder verantwortlich fühlen? Wenn man versucht, Politik von diesem Standpunkt aus zu denken, dann stellt man zwangsläufig Dinge in Frage wie: Warum ist uns ein Kind, das bei verheirateten Eltern mit sehr unterschiedlichen Einkommen aufwächst, mehr wert als das Kind einer Alleinerziehenden?“
Du sagst zum Beispiel in deinem Buch, die Abschaffung des Ehegattensplittings könne sogar Ehen stärken. Wie funktioniert das?
„Nur eine kurze Klarstellung, weil das vielen gar nicht klar ist: Ganz abschaffen können wir das Splitting aus verfassungsrechtlichen Gründen gar nicht. Zumindest das Existenzminimum beider Partner muss immer steuerfrei bleiben. Aber trotzdem sollten wir uns dringend bemühen, die Besteuerung von Familien gerechter zu gestalten, sodass es keine Rolle mehr spielt, wie Familien Sorgearbeit und Berufstätigkeit untereinander aufteilen. Steuerrecht sollte uns nicht in unser Leben reinreden. Momentan ist es so, dass wenn wir mit unserem Partner, unserer Partnerin am Küchentisch sitzen und darüber diskutieren, wie wir unser Leben gestalten – das kann man vor dem Kind machen, aber währenddessen gibt es ja auch immer wieder Anpassungen – dann machen wir das nicht nur Zuhause in einem neutralen Raum, sondern sind umgeben von gesellschaftlichen Normen und staatlichen Regelungen, die in unsere Entscheidung mit reinspielen und uns vielleicht gar nicht ermöglichen, unser Leben so zu leben, wie es am besten zu uns passen würde und mit dem wir am glücklichsten sind. Weil unsere Wahlfreiheit am Ende doch eingeschränkt ist. Und einige Wege viel leichter gangbar sind als andere, um die wir vielleicht kämpfen müssen. Ich bin überzeugt, dass die Lebenszufriedenheit einer ganzen Familie stark zunimmt, wenn sie das Leben so leben können, wie sie es leben möchten.“
Viele verheiratete Paare wissen gar nicht, dass sie anders splitten könnten als im Tarif III-V. Was könnte es verändern, wenn mehr Ehepaare anders splitten würden?
„Wenn du geheiratest hast, bist du bis vor kurzem erstmal in die Steuerklasse gekommen, die für dich als Person, die weniger verdient – und das ist meistens, genau genommen zu 90 Prozent, immer noch die Frau – unvorteilhaft ist. Alle Vorteile des Verheiratetseins werden dem Mann zugerechnet. Dein Freibetrag taucht dann auf dem Gehaltszettel des Mannes auf. Wohingegen das, was du an Steuern zahlen musst, plötzlich sehr stark steigt. Wenn man sich das nur auf dem eigenen Steuerzettel anschaut, führt das sehr schnell zu der Frage: ,Lohnt es sich überhaupt, dass ich arbeite?‘ Wenn auch noch Kosten steigen, wie ein zweites Auto, das gerade auf dem Land notwendig wird, oder die Kitakosten, die in vielen Städten und Gemeinden immer noch sehr hoch sind, wird eine eigene Arbeit noch unattraktiver. Zumal es sehr viele Studien dazu gibt, dass es anders ist, als viele Paare von sich behaupten und das ,Mein Geld ist dein Geld‘ in der Praxis eben nicht stattfindet, sondern immer noch das Gefühl da ist, eigentlich ist mein Geld nur das, was ich wirklich verdient habe, um das andere muss ich bitten. Deswegen ist schon relevant, was auf dem Gehaltszettel der Frau steht, was eben durch das Splitting bei III-V verfälscht wird. Alle Steuervorteile der Frau, schreibt man dem Mann zu. Das ließe sich ändern, indem ein Paar in die Steuerklasse IV/IV mit Faktor wechselt (zumindest bei neuen Eheschließungen ist IV/IV seit vergangenem Jahr Standard, aber der Faktor immer noch nicht). Das machen aber nur die wenigsten, denn diese Möglichkeit ist größtenteils gar nicht bekannt. Warum diese Kombination nicht längst gesetzlicher Standard ist, verstehe ich nicht: Rein psychologisch hat diese Änderung eine riesige Wirkung. Wenn man schaut, was man am Ende des Monats dastehen hat, macht es etwas aus, wenn die eigene Summe höher ist. Außerdem orientieren sich viele Lohnersatzleistungen wie Kranken- und Elterngeld daran.“
Du erklärst in deinem Buch Themen und zeigst Alternativen auf, die gerade von jüngeren Menschen oft als zu komplex betrachtet werden. Neben dem Steuerrecht wirfst du einen sehr genauen Blick auf das Rentensystem. Wie erklärst du dir, dass jüngere Menschen die Thematik oft ausblenden?
„Das sind beides Themen, die ein bisschen unangenehm sind. Bei der Rente wissen wir, dass unsere Generation es total schwer haben wird, wenn wir in Rente gehen. Die allermeisten glauben gar nicht mehr daran, mal eine Rente zu bekommen, von der sie gut leben können. Und dann hat man gerade im eigenen Alltag so viele Probleme, die jetzt akut gelöst werden müssen. Ich sehe das gerade ganz gut, während ich den Kita-Platz für mein zweites Kind suche, das noch nicht einmal auf der Welt ist. Man hat die ganze Zeit im Hinterkopf ein Monster, das sagt: ,Du müsstest dich jetzt mal mit deiner Altersvorsorge beschäftigen‘ und schiebt es trotzdem weg. Ich finde es aber ein total wichtiges Thema, gerade aus feministischer Sicht, weil Familienverantwortung häufig doch bei Frauen liegt, mit allen Konsequenzen wie zum Beispiel Altersarmut. Gerade wenn du vielleicht deine Arbeitszeit reduzierst und auf Dauer schlechtere Karrierechancen hast.“
Gibt es noch diese unbewusste Idee, dass Kinder eine gute Altersvorsorge sein können?
„Kinder sind eine gute Altersvorsorge – aber hauptsächlich für diejenigen, die keine Kinder bekommen haben und in der Zeit Vollzeit arbeiten konnten, volle Rentenansprüche erwerben konnten und im Idealfall auch noch privat vorsorgen konnten. Sie hatten in dieser Zeit nämlich nicht die ganzen Ausgaben für Windeln, Kita, Klassenfahrten, sondern Zeit, um erstens mehr zu verdienen und zweitens dieses Geld dann auch anzulegen und nicht für ihre Kinder ausgeben zu müssen. Das heißt, dass diejenigen, die am Ende davon profitieren, dass junge Menschen oder Kinder da sind, die künftig für die Renten aufkommen, diejenigen sind, die die Zeit hatten, Rentenansprüche zu sammeln – und das sind meistens nicht die Eltern der Kinder, vor allem nicht die Mütter.“
Könnte man denn Rentenansprüche an die Zahl der Kinder koppeln?
„Ich fände zumindest ein System fairer, das diese berücksichtigt. Es ist zwar jetzt schon wahnsinnig kompliziert, aber es gibt verschiedene Rechenvorschläge dafür. Sorgearbeit in Familien mehr wertzuschätzen, indem man entweder die Rentenansprüche daran koppelt, oder, was auch eine Alternative wäre, die Rentenbeiträge zu senken, die man in der Lebensphase mit kleinen Kindern zahlt, aber dabei trotzdem höhere Ansprüche zu sammeln, wären mögliche Modelle.“
Das könnte ja auch ein Modell sein, um das Thema Rente für jüngere interessant zu machen.
„Ja, gerade dann, wenn es nicht nur um Ansprüche in der fernen Zukunft geht, sondern jetzt gezeigt werden kann ,Wir sehen, was Familien leisten und erkennen das an‘ – das wäre eine starke Botschaft.“
Du sagst in deinem Buch ja sehr klar: Wer gerade Kinder hat, kann nicht so gut vorsorgen, wie Menschen ohne Kinder. Das ist ja ziemlich hart. Denkst du, das wird selten in dieser Deutlichkeit gesagt, weil es auch provokativ ist?
„Was ich an dieser Stelle schon noch mal betonen möchte ist, dass es in Ordnung ist, sich aus welchen Gründen auch immer dafür zu entscheiden, keine Kinder zu bekommen, da gibt es legitime und gute Gründe. Man sollte diese Entscheidung nicht bestrafen oder als schlecht darstellen. Aber, was man sich trotzdem vergegenwärtigen muss, ist, dass die Gesellschaft momentan nahezu parasitär davon profitiert, was Familien leisten. Eltern sitzen mit dem fiebernden Kind Zuhause am Bett und leisten die gesamte Erziehungsarbeit. Sie müssen sich zeitlich und monetär extrem einschränken. Natürlich können Kinderlose dann argumentieren ,Ja, die bekommen ja das Kindergeld und werden auch sonst unterstützt‘, aber das stimmt so nicht. Denn das Kindergeld ist ja nicht eine nette Überweisung jeden Monat auf das Konto der Eltern, sondern größtenteils eine Steuerrückzahlung, damit das Existenzminimum des Kindes steuerfrei bleibt. Das wird eben nicht erst am Ende des Jahres bei der Steuerberechnung berücksichtigt, sondern vorher schon als Kindergeld ausgezahlt. Das Kindergeld ist kein nettes Geschenk. Sondern selbstverständlich. Genauso wie Investitionen in Schulen und Kitas, zu denen man manchmal hört: ,Ich finanzier das für fremde Kinder mit, obwohl ich keine Kinder habe.‘ Aber das ist letztlich eine Investition in die Zukunft, von der wir alle etwas haben – auch Menschen ohne Kinder. Deswegen haben auch alle etwas von gut ausgebildeten und motivierten Erzieher*innen, die die Grundsteine für die Zukunft unserer Kinder legen.“
Müsste man das alles besser erklären, um auch die Fronten zwischen Menschen mit und ohne Kindern etwas weicher zu gestalten?
„Auf jeden Fall. Denn es geht ja nicht darum, das eine Modell gegen das andere auszuspielen, sondern zu sagen: Momentan ist es alles andere als gerecht. Familien stehen sehr schlecht da in dieser Gesamtrechnung und werden nicht einmal gesellschaftlich ausreichend anerkannt und wertgeschätzt. Kinder werden im öffentlichen Raum zunehmend zu einem Störfaktor. Neben der Anerkennung, die auf gesetzlicher Ebene gerade nicht stattfindet, nimmt auch die gesellschaftliche ab, was eine fatale Kombination ist.“
Wie würdest du Gerechtigkeit für dich definieren?
„Eine angehende Juristin fragen, was Gerechtigkeit ist … (lacht) … Ich finde, eine Politik gut, die Familien gegenüber zumindest keine Nachteile bewirkt. Politik wird niemals alle Nachteile ausgleichen können, die Familie so mit sich bringt und das soll sie auch gar nicht. Aber zumindest insoweit Wahlfreiheit herstellen, dass es möglich ist, das Leben so zu gestalten, wie Familien es möchten. Und dafür gibt es sehr viel Spielraum, weil klar ist, dass wir alle sehr lange leben werden. Der klassische Lebenslauf mit Ausbildung, Beruf, Rente, der existiert für fast niemanden mehr – davon müssen wir auch im Sozialsystem wegkommen und neue Modelle suchen. Von daher ändert sich Gerechtigkeit ja auch immer. Das System, was wir haben, mag früher gut funktioniert haben, aber wenn wir uns die Gesellschaft jetzt anschauen und sehen, dass zum Beispiel 20 Prozent der Kinder bei Alleinerziehenden aufwachsen, dann ist das ist keine Zahl, die wir vernachlässigen können. Das ist Realität und da muss sich Politik auch anpassen, um weiterhin gerecht und auch akzeptiert zu sein.“
In einem Kapitel arbeitest du heraus, wie die Anforderungen des Alltags Familien auch belasten können – bis hin zur Trennung. Was müsste sich denn verändern, damit Menschen mit Kindern gute Beziehungen führen können und gestärkt werden?
„Das Modell, das wir aktuell haben, also dass du einem Paar in einer Beziehung nahezu alle Verantwortung allein auferlegst, das ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Denn die allermeisten Paare sind doppelberufstätig, und sei es in der Kombination Vollzeit-Teilzeit, aber alle Paare müssen zusätzlich enorm viel Arbeit leisten in und um die Familie herum. Viele junge Eltern sind am Ende des Tages nur froh, halbwegs ihr Pensum erledigt zu haben und dann einfach ins Bett fallen zu können. Und dazwischen dann dieses ständige schlechte Gewissen, wieder zu wenig gelacht, gespielt und gekuschelt zu haben, und währenddessen aber weder sich selbst gerecht geworden zu sein, noch dem Arbeitgeber und auch nicht der Beziehung – die ja auch Zeit braucht. Ich glaube, wenn wir uns mehr anstrengen würden, mehr Regelungen zu finden, die Familien entlasten und ihnen mehr Freiräume geben zu gestalten, wie es in der aktuellen Lebensphase passt, das würde Familien stärker machen. Es kann ja auch sein, dass Kinder in der Pubertät wieder mehr Zeit und Aufmerksamkeit brauchen. Gute Betreuung und Ausbildung für Kinder sind toll, aber darüber hinaus brauchen sie ja weiterhin Zeit und Menschen, die für sie da ist. Ich glaube schon, dass Paarbeziehungen viel davon hätten, wenn man nicht alles nur von zwei Menschen erwartet, sondern die Arbeit rund um die Familie stärker verteilt.“
Kann das gesetzlich geregelt werden? Müssen Unternehmen mehr machen?
„Am Ende sind alle gleichermaßen in der Verantwortung. Wir haben selbst in der Hand, wen wir uns als Partner aussuchen. ,Mit wem bekomme ich Kinder?‘ ist eine wichtige Frage, so hart es klingt. Ist das jemand, der bereit ist, das partnerschaftlich zu machen und vielleicht seine Arbeitszeit zu reduzieren und nicht nur zu sagen ,Ich bin da‘, sondern wirklich da zu sein? Dann ist es natürlich ein Thema in der Wirtschaft. Wenn wir uns zum Beispiel die Befristungen von Arbeitsverträgen anschauen, dann hätten Unternehmen auf jeden Fall die Möglichkeit, die Arbeitswelt familienfreundlicher zu gestalten. Es ist eine häufige Situation, dass jemand schwanger ist und weiß, dass der Arbeitsvertrag einfach endet oder an der Schwangerschaft die Verlängerung scheitern könnte. Arbeitszeiten sind ein Thema genauso wie die Möglichkeit, auch mal Zuhause zu arbeiten. Es wäre aber fatal zu sagen, dass der Gesetzgeber im Gegensatz zu den Unternehmen damit gar nichts zu tun – weil Gesetze Rahmenbedingungen beeinflussen können, aufgrund derer sich dann alle anderen bewegen.“
Du bringst auch den gesetzlichen Schutz für Väter ins Spiel. Die EU hat gerade eine Richtlinie beschlossen für 10 Tage Vaterschutz nach der Geburt, die in Deutschland aber gar nicht greifen wird. Brauchen Väter hier mehr Schutz?
„Ich finde schon, dass auch Väter immer wieder in schwierigen Situationen sind. Was mich besonders schockiert hat, ist, dass ein Vater, der Elternzeit nehmen möchte, nur den Zeitraum von einer einzigen Woche hat, um sie zu beantragen, und gleichzeitig nicht gekündigt werden zu können. Denn der Kündigungsschutz für Väter greift erst acht Wochen vor der Elternzeit, muss aber spätestens sieben Wochen vorher beantragt werden. Das heißt, du hast genau diese eine Kalenderwoche, in der du sagen kannst, du möchtest Elternzeit nehmen, ohne dass der Arbeitgeber dich kündigen kann. Wenn du das frühzeitig kommunizierst als Vater, hast du im Zweifel Pech gehabt. Dabei wissen wir, dass es positive Auswirkungen hat, wenn Väter sehr früh mit dem Kind zuhause sind, und zwar nicht gleichzeitig mit der Mutter, sondern auch mal allein verantwortlich sind. Dann sind Väter langfristig viel engagierter in der Familie. Von daher ist es für Familien und Beziehungen ganz wichtig, dass Väter von Anfang an dabei sind und nicht erst später. Es gibt natürlich Anreize, wie die Partner-Monate beim Elterngeld, aber ich glaube, es wäre ein ganz starker Anreiz, wenn es am Anfang auch den Vaterschutz gäbe, indem die Väter auch sicher sind, und aus dem heraus auch die Entscheidung entstehen könnte: ,Ich bleib jetzt noch mal länger zuhause‘ als diese klassischen zwei Monate.‘ Das ist auch dafür wichtig, damit nicht nur eine Frau, die ein Unternehmen einstellt, eine potenzielle Mutter ist – so wie die meisten Frauen im gebärfähigen Altern nun mal gesehen werden – sondern auch jeder Mann, den man einstellt, ein potenzieller Vater ist. Das würde der Gleichberechtigung helfen.“
Wäre die CDU, die auch immer stark auf die Freiheit der Unternehmen pocht, dabei, auch Väter besser zu schützen?
„Am Ende ist es eine Frage des Abwägens. Unser Arbeitsrecht ist allein deshalb so umfangreich, weil wir immer zwischen dem Schutz der Arbeitnehmenden und den Interessen der Arbeitgebenden abwägen müssen. Das ist in vielen Bereichen gelungen, aber bei Familien reden wir darüber noch nicht einmal, wie sich Interessen von Familien und Unternehmen in Einklang bringen ließen. Diese Debatte bräuchte es dringend.“
Interessiert Männer das eigentlich – oder wollen sie gar nicht so sagen, dass sie gern mehr gesetzlichen Schutz hätten?
„Das ist komplett unterschiedlich. Wenn man sich anschaut, wie die Diskussion vor Einführung der Elternzeit war und man sich den Spaß macht, alte Kommentare zu lesen aus der Zeit, dann war das höchst umstritten, dass es die Zusatzmonate nur gibt, wenn der Partner*die Partnerin die auch in Anspruch nimmt. Als die Regelung dann da war, war es in Ordnung und wurde schnell in Anspruch genommen. Bei anderen Regelungen könnte es ganz ähnlich sein.“
Politische Entscheidungen bewirken also schon auch gesellschaftlichen Wandel.
„Natürlich. Um mit der eigenen Politik überhaupt akzeptiert zu sein, muss man aktuell bleiben. Und momentan ist es ja so, dass vielfältige Familienformen, die wirklich von vielen gelebt werden und nun einmal keine Minderheit sind, in der Politik überhaupt nicht vorkommen. Patchwork-Konstellationen, das Wechselmodell oder lesbische Partnerschaften mit Kindern, das ist alles überhaupt nicht geregelt – dabei kommen zum Beispiel im Abstammungsrecht große Probleme auf uns zu, wenn wir das nicht endlich mal angehen. Von daher muss Politik auch immer der gesellschaftlichen Realität entsprechen aber hat auch selbst die Möglichkeit, Gesellschaft mitzugestalten, in dem sie Impulse setzt, die Wandel auch beschleunigen können.“
Du forderst ja Eltern auf, sich stärker einzumischen. Wie könnte das denn aussehen? Müssen sie alle in die Politik?
„Es ist erst einmal wichtig, noch viel stärker zu sagen, wo überhaupt Probleme sind. Eine der größten Initiativen, die es überhaupt gab und gibt, ist die zum Hebammen-Mangel. Wenn man sich den Erfolg der Eltern anschaut, ist es zwar immer noch nicht ausreichend, aber das Thema ist bundesweit auf die Agenda gekommen. Daneben gibt es so viele andere Themen, die Familien betreffen, ganz egal, wie sie leben – die für jeden mit Kindern relevant sind. Es ist wichtig, da einfach lauter zu sein, was durch soziale Medien leichter geworden ist – man kann auch abends von zuhause aus eine Initiative starten. Allein die Masse kann etwas ausmachen.“
Du bekommst in wenigen Monaten dein zweites Kind. Was hat dir Mut gemacht – trotz aller Hürden?
„Persönlich find ich Kinder einfach großartig. Wenn man alle gesellschaftlichen Randaspekte ausblendet und die negativen Folgen, die es natürlich hat, weil sich Dinge wieder verzögern und schwieriger gestalten werden mit einem Säugling, freu ich mich trotzdem total drauf, weil ich sehr gerne in der Familie lebe und für mich das persönlich – auch wenn es nach einer großen Plattitüde klingt – sehr glücklich macht. Es sind Überlegungen, die mit dem Umfeld recht wenig zu tun haben. Meine Entscheidung war, meine Kinder sehr jung zu bekommen, was vielleicht ein bisschen Entzerrung in den Lebenslauf bringen kann. Das ist natürlich eine Entscheidung, die nicht alle so treffen können und wollen, aber zumindest ein Weg, der mir es ermöglicht, weil ich gerade noch im Studium und der Promotion bin, noch ein bisschen mehr Freiheiten zu haben.“
Danke für das Gespräch.
In eigener Sache
Wir haben jetzt unsere eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder nicht. Schaut doch mal vorbei!
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