Ein unerfüllter Kinderwunsch ist für Paare eine große Belastung. Kommentare und „gut gemeinte” Ratschläge von Außen sind dann oft ein Schlag ins Gesicht. Unsere Community-Autorin Inka erzählt, wie sich das anfühlt.
Tabuthema: „unerfüllter Kinderwunsch”
„Schützen wir mit der Geheimhaltung von Kinderwunschbehandlungen uns selber, oder andere?”, fragt Helge vom Vaterwunsch-Blog – und schickte mich damit auf eine etwas längere Gedankenreise. Die Antwort ist relativ simpel, soll mich aber nicht von einem längeren Artikel abhalten:
Als Frau schützt man in den meisten Fällen erst einmal den eigenen Job. Das war mir gar nicht so klar (über Panikattacken zum Thema „Scheiße, wenn es diesen Zyklus klappt falle ich das ganze Weihnachtsgeschäft über aus!”, sprechen wir ein anderes Mal. Vielleicht.)
Auch wenn meine Auftraggeberinnen sich auf mich verlassen können sollen, so sind sie ja nicht dauerhaft fest an mich mit einer Festanstellung gebunden. Leider ist der Arbeitsmarkt immer noch nicht so richtig gut auf kinderhabende Menschen eingestellt, und so kann ich ziemlich gut verstehen, dass die meisten Frauen Ihre Familienplanung geheim halten, damit der Arbeitgeber nicht doch durch Zufall davon Wind bekommt und sich einen guten Grund sucht, vorab schonmal die Kündigung auszusprechen.
„Und, seid ihr schon schwanger?
Aber es gibt auch einen anderen, sehr guten Grund den Kinderwunsch für sich zu behalten: andere Menschen. Mittlerweile sind wir seit drei Jahren im Kinderwunsch-Zirkus dabei und ein paar „schöne” Geschichten konnte ich schon sammeln. Das geht von kleinen, unbedachten Äußerungen über große, unbedachte Äußerungen, bis hin zu echten „What the fucking Fuck”-Momenten.
Da gibt es zum Beispiel die: „Mein Kind ist ein halbes Jahr alt, und ich weiß jetzt alles”-Fraktion, die oft leider auch die „Melde Dich, aber bitte erst wenn du schwanger bist, vorher kann ich mit dir nichts anfangen”-Fraktion ist.
Es sind die, die mir Tipps zum Maxi-Cosi geben wollen, aber es nicht mal hinbekommen, die Freundschaft mit mir aufrecht zu erhalten bis wir es schaffen, ein Kind zu produzieren. Die meinen, man müsse sich nur mal entspannen. Die nicht verstanden haben, dass unerfüllter Kinderwunsch eine von der WHO klassifizierte Kondition ist – nicht wirklich eine Erkrankung im klassischen Sinne, aber behandlungsbedürftig sofern man sich fortpflanzen möchte.
Nicht jeder wird einfach schwanger
Ich freue mich wirklich für Menschen, die nicht durch den anstrengenden und langwierigen Prozess von Kinderwunsch-Behandlungen gehen müssen. Aber: Ihr habt keine Ahnung. „ Das kann erstaunlich schnell gehen” – Menschen haben keine Ahnung, wie viel Scheiße man so durchmacht, wie viele Medikamente man nehmen muss, und dass man, sofern man nicht einen Kryo-Spontanzyklus macht, täglich drei bis vier Mal daran erinnert wird, dass man gerade versucht, ein Kind zu produzieren.
Und: jemandem, der sich seit Jahren mit dem Wunsch nach Kindern durch’s Leben bewegt, Tipps anzubieten, ist ganz ganz großer Blödsinn und außerdem übergriffig! Ich habe schon gewusst, welches Beistellbettchen ich will, bevor Ihr auch nur im Traum daran gedacht habt, die Pille abzusetzen. Ich weiß, dass ich keine Spucktücher von Aiden&Anais brauche, aber welche will. Ich weiß, dass ich stillen will, und ich weiß, dass ich bereit bin dafür auch nochmal Geld auszugeben, für eine Laktationsberaterin, wenn es nötig sein sollte. Ich weiß, dass ich mittlerweile der Idee einer Klinik-Geburt (mit Beleg-Hebamme, falls ich denn eine bekomme) gar nicht mehr so schlecht finde, und eine PDA auch nicht mehr vollständig ablehne. Ich weiß, dass ich lieber tragen will als schieben. Ich weiß, dass wir vermutlich einen Autositz brauchen werden, obwohl wir kein Auto haben. Ich weiß, dass ich rosa und hellblau schrecklich finde.
Diese Aussagen sind das Stichwort für die überheblich, messerwissend lächelnde „Kommt eh alles anders als Du denkst”-Fraktion. Euch hab ich gefressen. Geht und legt Euch gehackt, mit Euch spiel ich nicht. Ihr dürft das denken, so viel Ihr wollt. Aber bitte sagt es einfach nicht!
Auch ungewollt kann man sehr verletzend sein
Kommen wir zu den unbedachten, mittelbeschissenen Äußerungen. Das sind die, die einen nicht nur ein, zwei Tage beschäftigen, sondern mehrere Wochen.
Ein Beispiel: Mein Mann hat einen Cousin. Und dieser Cousin hat letztes Jahr geheiratet, und nun ein Kind bekommen, also seine Frau, ihr wisst schon. Und nun bekam mein Mann von seinem Vater eine E-Mail, mit Babyfotos des Cousin-Babys und der Anmerkung „Zur Nachahmung empfohlen”. Und ja, mein Schwiegervater weiß über die Problematik bezüglich unseres Kinderwunschs Bescheid – sogar im Detail! Die Gründe für unsere Kinderlosigkeit, wie schwierig es ist, und so weiter. Ich wollte daraus kein Geheimnis machen, weil ich die Hoffnung hatte, dass die Nachfragen ausbleiben, bzw. die Anmerkungen á la „Ihr lasst euch ja auch ganz schön viel Zeit.”
Was genau soll so eine E-Mail bewirken? Ist es eine Art digitaler Fruchtbarkeitstanz, von dem wir nichts wissen? Es folgt der Versuch eines Vergleichs: Ich habe diese Cousine, sie ist nicht nur sehr schön, sondern auch gut in Mathe, und ich hab sie sehr gern. Aber sie war immer gut in Mathe. Und hatte gute Zeugnisse. Und beim sommerlichen Vorzeigen beim Großvater hatte sie immer ein besseres Zeugnis. Sie war nie überheblich oder hat eine große Sache daraus gemacht, aber sie wurde von unserem Großvater herausgestellt: „So ein tolles Zeugnis!” Und ich stand da und dachte: „Tja, ich bin halt nicht so gut. Schon gar nicht in Mathe.” Irgendwann habe ich dann aufgegeben. Daran trägt sie keine Schuld, und mein Großvater nur ein bisschen, aber irgendwann hat man keine Lust mehr, sich anzustrengen, wenn es hoffnungslos scheint.
Ein unerfüllter Kinderwunsch ist sehr privat
Der größte Hammer war jedoch meine ehemalige Zahnarztpraxis. Ich hatte einer der Zahnärztinnen von unserem Kinderwunsch erzählt, um eventuelle Behandlungen besser planen zu können. Natürlich weiß ich, dass solche Informationen auch in die Akte geschrieben werden. Dass mich jedoch eine Mitarbeiterin anruft, die gerade eine Nachfass-Liste abtelefoniert, und mich fragt, ob ich denn nun schwanger sei, ziemlich genau mitten zwischen zwei nicht erfolgreichen Versuchen – das war dann zu viel. Dass meine ehemalige Zahnärztin mich dann noch anrief und sich entschuldigen wollte und dann auch nochmal dreist nachfragte, wie denn der Stand sei…
Nicht unbedingt die Frage an sich, aber doch, irgendwie doch. Und auch die Art – die Frage wirkte in dem Moment auf mich, als würde auch von dieser Seite nun eine Erwartung kommen, Leistungsdruck auf unsere Fertilität ausgeübt.
Wie verhält man sich richtig?
Wenn man von unerfülltem Kinderwunsch bei Freunden oder Familienmitgliedern bereits weiß, hilft es, nachzufragen wie diejenigen sich den Umgang anderer mit ihnen und dem Thema wünschen. Bei uns gibt es Phasen, in denen ich Freunden erzähle, was gerade los ist, und darum bitte, es nicht zu kommentieren oder nachzufragen. Anfangs war es leichter, mit Reaktionen umzugehen, nach vielen fehlgeschlagenen Versuchen wird es leider für mich immer schwieriger. Ich mag keine großen Umarmungen, in Person nur von sehr wenigen Menschen, virtuell mit Fremden gar nicht.
Andere Betroffene wiederum brauchen ganz viel Zuwendung und suchen es sich zum Teil zum Beispiel auf Twitter, „umarmen” und trösten sich virtuell und würden sich dies vielleicht auch von Freunden und Familie wünschen. Da ist jeder anders und hat anderes Bedürfnisse, die man als Freunde und Familie beachten kann und sollte. Ansonsten ist Kinderwunsch – sei es die Frage nach dem ersten, zweiten oder dritten Kind – einfach kein Thema für Smalltalk. Lieber nach anderen Sachen fragen, die weniger persönlich sind.
Es ist ja nicht so, als würden wir uns nicht „anstrengen”
So wird der eigene Kinderwunsch zum Leistungsmerkmal. Und ich kann meine Schwiegereltern nicht treffen und keinen Alkohol trinken, ohne dass ein neugieriger Seitenblick kommt. Aber ehrlich gesagt, solange ich nicht gerade in der 2-Week-Wait bin, trinke ich eher mal Alkohol. Das macht alles leichter zu ertragen, und ja, ich finde das bedenklich. Aber es scheint nicht so unüblich zu sein, dass Menschen mit Kinderwunsch-Problematik gerne mal mehr trinken als sie es üblicherweise tun.
Bis zu diesem Punkt habe ich diesen Artikel bereits einige Wochen liegen gelassen, und nun, als ich ihn fertig schreiben will, merke ich, dass alles im Chaos endet und ich irgendwie keinen Griff drankriege. Aber vielleicht ist das die Antwort auf die Frage, und sie ist so individuell wie jeder Mensch und jedes Paar.
Ich denke, bei allen Erlebnissen die wir bislang hatten, war es für uns die richtige Entscheidung, damit offen umzugehen. Bis heute merke ich, dass vielen Außenstehenden trotz Interesse völlig die Vorstellung fehlt, wie das alles funktioniert. Aber ich wüsste nicht, warum man diese Außenstehenden vor der Realität schützen sollte. Jeder ist für sich selbst und seinen eigenen Schutz und seine eigene Abgrenzung verantwortlich. Wer mit unserem Problem nicht umgehen kann, hat eben auch keinen Platz in unserem Leben. Unser Kinderwunsch, die damit verbundenen Hürden und Schmerzen sind ein Teil von uns.
Ebenso, wie wir derzeit oft dasitzen und feststellen, wie glücklich wir trotz allem sind. Abschließend kann ich jedoch sagen: Mit Geheimhaltung schützen wir uns selbst. Vor den anderen. Und machmal ist das vielleicht auch die bessere Variante.
Dieser Text ist zuerst auf Inkas Blog erschienen. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.
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