Foto: Timothy Eberly I Unsplash

Wie ich mal ein gutes Gespräch mit meiner 15-jährigen Tochter führen wollte

Mütter sind schon froh, wenn ihre pubertierende Tochter Drei-Wort-Sätze an sie richtet…doch wie hält man das Gespräch mit einem Teenager am Laufen?

Der Anker der Stabilität

Bärbel kommt nach Hause.

„Ich will Tee“ sagt sie und schmeißt ihren Rucksack in die Ecke.

Das Kind will Tee! denke ich und zittere vor Glück. Bärbel ist 15. Wenn sie aus der Schule kommt, geht sie gewöhnlich geradewegs in ihr Zimmer und wird nicht mehr gesehen.

Doch heute ist alles anders. Das Kind . Will. Tee. Von mir.

„Kannst du auch Zitrone reintun?“ fragt Bärbel.

Ich jubiliere. Das war ein ganzer Satz. Mit Subjekt, Prädikat und Objekt. Sogar ein Hilfsverb war drin. Großartig!

„Die Isabel“ sagt Bärbel und sieht mich dabei an. „Die Isabel… die ist soooo blöd.“

Strahlend gehe ich in die Küche, hole eine Tasse und setze das Wasser auf.

„Die Isabel? Wieso denn?“ frage ich. „Erzähl mal.“

Bärbel sieht mich misstrauisch an.

Besser neutral bleiben

Laut Thomas Gordon, dem Erfinder der sogenannten „Familienkonferenz“, ein Ratgeber, den ich mir gekauft habe, als Bärbel in die Pubertät kam, darf man für eine erfolgreiche Kommunikation mit seinem Kind auf keinen Fall Geständnisse einfordern. Statt wertenden Stellungnahmen empfiehlt er,  neutral zu bleiben und sich bei Antworten auf „Aha“, „Soso“ und „Ach ja?“ zu beschränken. „Aktives Zuhören“ heißt das. Erst dann könne, so Dr. Gordon, Phase zwei eingeleitet werde, also die Phase, in der die Mutter die Gefühle des Kindes widerspiegelt.

Etwa so: „Oh, da warst du aber sicherlich verletzt“ oder „Da bist du jetzt bestimmt wütend“. So könne man dem Kind dabei helfen, sich über seine Probleme und seine Emotionen klar werden zu lassen und das sei in der Kommunikation mit Kindern, die gerade bewegte Zeiten durchmachen und oft verunsichert sind, ungemein wichtig. Schließlich muss man als Mutter in diesen schwierigen Zeiten ein Anker der Stabilität sein.

Verständnis: ja, Werten: nein

„Aha“, korrigiere ich mich also schnell, bemüht, einen dabei so neutral und unwertenden Gesichtsausdruck wie möglich aufzusetzen. Zur Sicherheit setze ich noch schnell ein „Soso“ hinterher.

Bärbel sieht mich etwas irritiert an und fährt dann fort:

„Ich hab ihr gesagt, dass die Louise mit den kurzen Haaren wie ein Igel auf Speed aussieht. Und was macht sie? Sagt es der Louise! Jetzt ist die Louise sauer auf mich.“

Ich pruste los. Igel auf Speed. Köstlich.

Bärbel sieht mich wütend an.

„Ja  super, danke für dein Verständnis, Mama!“

Ich schrecke zusammen und setze augenblicklich ein betroffenes Gesicht auf.

„Äh…hm…soso“, sage ich.

„Jetzt schau nicht so…so ein Weltuntergang ist es ja auch nicht.“

Mist, denke ich. Man muss Verständnis haben, darf dabei aber nicht wertend sein…also… betroffen ja, aber dabei wertneutral. Klar. Aber wie zum Teufel soll das gehen? Ich hole einen Taschenspiegel heraus, drehe mich etwas abseits und schneide ein paar Grimassen.

Verdammt – eine Du-Botschaft!

„Was zu Teufel machst du da?“ fragt Bärbel. „Ich dachte du willst dich mit mir unterhalten?“

Ich lasse sofort den Spiegel in meine Handtasche fallen.

„Nein! Ich meine ja! Ich will alles wissen! Alles!“

„Also ausfragen lasse ich mich jetzt nicht.“

„Aber du… du.. wolltest doch mir was erzählen!“

Verdammt! Eine Du-Botschaft! Wenn es eines gibt, sagt Dr. Gordon das man nicht tun darf, dann sind es anklagende Du-Botschaften, die Kardinalsünde jeder Kommunikation, sagt Dr. Gordon!

„Äh.. ich meine natürlich ich… also ich… ich wollte… “

„Du wolltest was?“

„Dir zuhören! Und zwar ganz neutral! Also nicht indifferent, aber neutral, verstehst du, weil ich ein Anker bin, also dein Anker Und deine Emotionen widerspiegeln möchte. Wie fühlst du dich eigentlich?“

Bärbel sieht mich mit schiefem Kopf an.

„Sag mal, was ist denn dein Problem?“

„Was mein Problem ist?“

Ich sehe Bärbel an. Hat Dr. Gordon nicht auch gesagt, dass man ehrlich sein soll?

„Ich sag dir, was mein Problem ist! Ich arbeite, ich koche, ich gehe einkaufen, ich mache mir ständig Gedanken, wie ich alles am besten mache, gut für euch sorge, gut mit euch kommuniziere, euch gut erziehe…. und das alles wächst mir einfach über den Kopf! Das ist mein Problem!““

„Aha“, sagt Bärbel.

„Ich rackere mich ab, dass ihr zum Tennis kommt, dass ihr gute Noten habt, dass ihr höflich seid, dass ihr fröhlich seid, ich lese einen Ratgeber nach dem anderen und……“

„Soso..“

„Und…das ist einfach…. einfach….“

„Ermüdend?“ “ fragt Bärbel.

„Ja! Ermüdend! Und weißt du was das blödeste an der Sache ist?“

„Nein.“

„Das blödste ist, dass niemand anderer schuld daran ist als ich selbst und zwar weil ich alles immer perfekt machen will!“

„Aha.“

„Und dabei muss man doch eigentlich gar nicht alles immer perfekt machen, oder? Ich meine, wer sagt eigentlich, dass alles perfekt sein muss? Niemand! Nichts muss perfekt sein gar nichts!  Nicht einmal Beziehungen zu pubertierenden Kindern müssen perfekt sein, richtig?“

„Du bist ja richtig wütend auf dich, was?“

„Ja bin ich! Vor allem aber bin ich auf Dr. Gordon wütend! Ich sage: Zum Teufel mit Dr. Gordon!“ schreie ich.

„Klar“, wiederholt Bärbel. „zum Teufel mit Dr. Gordon!“

Ich hole tief Luft, dann gehe in die Küche und hole den Tee mit der Zitronenscheibe.

„Hier“, sage ich und reiche ihn Bärbel.

„Danke“.

„Bitte!“ sage ich. „Es hat gut getan, dass du dich ausgesprochen hast, oder?“

„Ja, hat es“ sagt Bärbel. Sie wirkt jetzt ganz ruhig. Auch wenn sie mich ein klein wenig seltsam ansieht.

Zufrieden gehe ich zurück in die Küche. Wie gut, dass man als Mutter für seine Kinder, die gerade bewegte Zeiten durchmachen und oft verunsichert sind, ein Anker der Stabilität sein kann.

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