2018 ist fast vorbei: In ihrer politischen Kolumne „Ist das euer Ernst?” zieht unsere Redakteurin heute ein Fazit: Es war ein gutes Jahr für den Rechtsextremismus.
War es das mit dem Rechtsextremismus in 2018?
Sechs Polizist*innen wurden diese Woche in Frankfurt wegen Verdachts auf rechtsextreme Betätigung suspendiert. Der Hintergrund: eine Whatsappgruppe, in der die Beteiligten unter anderem rechtsextreme Texte und Bilder austauschten und ein Drohbrief an die Anwältin Seda Başay-Yıldız , Nebenklagevertreterin im NSU-Prozess und Anwältin des mutmaßlichen ehemaligen Bin-Laden-Leibwächter Sami A.. Im Drohbrief wird der Name ihrer Tochter und der Wohnort der Juristin genannt, verbunden mit einer direkten Drohung: „Wir schlachten deine Tochter”. Unterschrieben war das Fax, das Başay-Yıldız bereits Anfang August erreichte, mit „NSU 2.0”. Ähnliche Schreiben haben mittlerweile auch andere Anwälte der Nebenklage im NSU-Prozess erreicht. Başay-Yıldız Adresse wurde wahrscheinlich von einer der suspendierten Polizist*innen von einem Frankfurter Polizeicomputer aus recherchiert. Der hessische Innenminister sah es dennoch erst diese Woche, nach den ersten Medienberichten über den Fall, für notwendig an, das Parlament in einer Sondersitzung zu informieren.
Da werden also rechtsextreme Strukturen innerhalb der Polizei offengelegt und dann? Nichts, kein Brennpunkt, keine Stellungnahmen der Landesregierung, keine sofortige Aufarbeitung der Strukturen, die so etwas immer wieder möglich machen. Stattdessen: die Leugnung des Problems: Die Polizei habe kein Rechtsextremismusproblem, die Beamt*innen seien Einzelfälle, das System sei gesund.
Was dieses Jahr los war
Es ist traurig, wie gut dieser Fall ans Ende dieses Jahres passt. Ein Jahr, in dem in Ostritz im April bei einem Rechtsrockfestival fast 1.300 Nazis zwei Tage lang zu Naziparolen fröhlich den Arm recken konnten. In dem in Chemnitz Ende August Nazis rassistische Hetzjagden machen konnten und der damalige Präsident des Verfassungsschutz die Videoaufnahmen, die dies beweisen, auch noch in Zweifel zog. Das Jahr, in dem immer wieder Übergriffe von Rechtsextremen gemeldet wurden. Das Jahr, in dem dank einer hervorragender Recherche der taz herauskommt, dass es rechtsextremes Netz bei der Bundeswehr gibt – und der gesellschaftliche und politische Aufschrei wieder einmal weitestgehend ausbleibt. Das Jahr, in dem sich antisemitische Vorfälle häufen. In dem Stolpersteine geschändet werden. Das Jahr, in dem Polizeischüler von rassistischen Strukturen in der Ausbildung berichten.
Ein Jahr, in dem ein junger Syrer fälschlicherweise monatelang in Untersuchungshaft sitzt und im September in seiner Zelle verbrannt. Das Justizministerium bezeichnete es als einen tragischen, aber nicht zu verhindernden Suizid. Ob das wirklich so war soll nun ein Untersuchungsausschuss aufklären. Das gleiche Jahr, in dem der Fall Oury Jalloh nicht wieder aufgerollt wird, obwohl es erhebliche Zweifel daran gibt, dass Jalloh sich 2005 in seiner Zelle wirklich selbst angezündet hat. Auch hier gibt es den Verdacht auf rechtsextreme Strukturen in der Polizei. Es ist auch das Jahr, in dem ein AfD-Politiker, von Steuern finanziert nach Südafrika reisen konnte, um sich dort mit Faschisten zu fröhlichen Schießübungen zu treffen.
Ein besonderes Jahr – und doch eins wie jedes andere
Klingt nach einem verrückten Jahr voller Ausnahmen? Tja, leider ist es fast ein Jahr wie jedes andere. Von Rassismus Betroffene und Aktivist*innen weisen schon seit Jahren (Jahrzehnten? Man denke an die 90er) immer wieder auf die Gefahren des Rechtsextremismus hin, auf eine selbstbewusste, gewaltbereite Szene, auf Diskriminierung im Alltag und auf strukturellen Rassismus in unserem System. Nur leider hört ihnen die Mehrheit nicht zu.
2018 war auch das Jahr, in dem einer der wichtigsten Prozesse der Nachkriegszeit zu Ende gegangen ist: der NSU-Prozess . Ein Prozess, der dazu beitragen sollte, ein System aufzuklären, dass es einem rechtsextremen Netzwerk über Jahre ermöglichte quer durch Deutschland hinweg zu morden. Ein Prozess, der am Ende die Opfer und Angehörigen mit viel zu vielen offenen Fragen zurückließ und ein Prozess an dessen Ende, der Urteilsverkündung, jubelnde Nazis standen. Und eine Gesellschaft, die sich viel zu wenig solidarisierte.
Während der hessische Verfassungsschutz eine Akte zum NSU für 120 Jahre sperrt, kann Gamze Kubaşık, die Tochter des Dortmunder NSU-Opfers Mehmet Kubaşık sich bis heute nicht sicher sein, ob sie, wenn sie in Dortmund das Haus verlässt, nicht vielleicht immer wieder direkten Unterstützer*innen der Mörder*innen ihres Vaters über den Weg läuft. Denn es wäre naiv zu glauben, dass der NSU ein Zusammenschluss von nur drei Menschen war. Der Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann zog Anfang Dezember ein halbes Jahr nach dem Urteil das Fazit: „Die Urteile im NSU-Prozess zeigen, dass sich die Gesellschaft nicht darauf verlassen kann, dass die Justiz, die Polizei, die Staatsanwaltschaften oder die Staatsschutzsenate einen erfolgreichen Kampf gegen Nationalismus, gegen Neonazis, gegen Antisemitismus führen”. 2018 haben wir als Gesellschaft versagt, diesen Kampf selbst zu führen und von den zuständigen Behörden einzufordern. 2019 können wir uns das nicht mehr erlauben, dafür ist die Beweislast zu erdrückend.
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