Foto: Agung Pandit/Pexels

Vom Görlitzer Park in die Gentrifizierungs-Bubble: Hier warten erst die wahren Freaks in der Nachbarschaft

In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Umzug vom sozialen Brennpunkt in die Filter-Bubble-Hölle der heilen Welt.

Am Tegernsee ist die Welt noch in Ordnung!

Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch, das ich vor acht Jahren mit einer damals ebenfalls schwangeren Kollegin im Coworking-Büro führte. Sie erläuterte mir ihre Beweggründe dafür, Berlin-Kreuzberg zu verlassen und die neu entstehende Kleinfamilie stattdessen am Tegernsee im Voralpenland anzusiedeln.

Sie: „Blablabla (….), blabla, jedenfalls: Ich möchte meine Kinder nicht zwischen Kottbusser Tor und Görlitzer Park aufwachsen sehen.“

Ich: „Hmpf.“

Acht Jahre später muss ich sagen: Soooo schlimm war‘s eigentlich nicht. Mir ist nicht aufgefallen, dass mittlerweile drei Kinder, die in diesem Elendsgebiet zur Welt kamen und aufwuchsen, größere erkennbare Schäden erlitten hätten. Trotzdem sind wir vor einer Woche umgezogen. Die üblichen Gründe, vor allem: zu wenig Platz. Ein Kinderzimmer für drei hätte irgendwann vielleicht doch für bleibende Schäden bei mehreren Beteiligten gesorgt. Der Berliner Wohnungsmarkt hat allerdings dafür gesorgt, dass wir nun trotzdem ein Kinderzimmer zu wenig haben, und das zweijährige Kind, das sich leider bei den älteren Kindern keiner großen Beliebtheit erfreut, um es mal diplomatisch zu sagen, ins Elternschlafzimmer eingezogen ist.

Ab und zu mal ein Crack-Pfeifchen

Ich fand es zwischen Kottbusser Tor und Görlitzer Park meistens total angenehm. Klar, wenn man so wie neulich bei absolutem Dreckswetter mit den Kindern per U-Bahn unterwegs ist und beim Aussteigen jemandem in die Arme läuft, der sich gerade ein Crack-Pfeifchen anzündet, dann mag der idyllische Gesamteindruck aus elterlicher Perspektive leicht getrübt sein; aber ich kann sagen: Die Kinder haben sich hier immer sehr wohlgefühlt, egal ob hier und da mal ein Irrer ein Messer in die Fensterfront unserer Lieblingspizzeria schleuderte, während wir davor saßen.

Und nun wohnen wir in einem Neubauprojekt in einem Stadtteil, der im Hochglanzprospekt des Immobilienentwicklers in einer übermütigen Mischung aus Euphemismus und Größenwahn „der nette Nachbar von Kreuzberg“ genannt wird. Wir wohnen hier erst seit einer Woche, aber es ist interessant, wie mulmig einer*m werden kann, wenn die Filter-Bubble, in der man sich auch im sozialen Brennpunkt ja irgendwie trotzdem immer schon bewegt hat, um ein Vielfaches konzentriert wird. Wenn hier der*die Paketbot*in klingelt, ist er*sie hinter dem riesigen Stapel aus Ökowindel-Paketen und Blumenabonnement-Schachteln nicht zu sehen. Die Anzahl der Lastenfahrräder skandinavischer Provenienz ist immens. Jeden Tag parkt eine Kolonne von Bo-Concept-LKWs rund um das Projekt, um den Gentrifizierer*innen-Palast hübsch einzurichten.

Natürlich sind ein paar Sachen auch richtig gut, keine Frage. Die Fußbodenheizung zum Beispiel. Die elektrischen Jalousien. So schön neu alles. Keine zugigen Fenster. Kein Schimmel im Bad. Die Tiefgarage.

Verrohte Sitten im Neubauprojekt

Achja, die Tiefgarage. In fast zehn Jahren in einer der räudigsten Straßen Berlins ist mir nie was Blödes passiert. Klar, es gab die leicht irre greise Nachbarin, die unsere Winterreifen im Keller verstreut hat; den Nachbarn, der wegen Kokainhandels Probleme hatte. Aber das Verhältnis zur Nachbarschaft habe ich immer als sehr angenehm empfunden.

Nun also haben wir einen Tiefgaragen-Stellplatz, und mein Mann, was natürlich wirklich ein bisschen dumm ist, parkte vor ein paar Tagen so schief ein, dass der Platz direkt nebenan zeitweise unbenutzbar war.

Am nächsten Morgen klemmte ein Zettel an der Windschutzscheibe, der mit bösen, sehr großen Buchstaben androhte, beim nächsten Mal das Auto umsetzen zu lassen. Das wäre ja soweit noch OK, aber ergänzend hatte der*die wütende Nachbar*in an sämtlichen Scheiben eine beeindruckende Mischung aus Spucke und Rotz hinterlassen.

Und ich befürchte nun: In der Gentrifizierungs-Filter-Bubble sind die Sitten jetzt schon verrohter, als sie am Görlitzer Park je waren. In dem Roman, den ich noch nicht geschrieben habe, könnte die kleine Rotz-Spucke-Begebenheit dieser feine Moment sein, in dem die Stimmung kippt, mit dem alles seinen Lauf nimmt, ein perfider Stalking-Psychokrieg, eine Mischung aus „Bodentiefe Fenster” und „The Upright Piano Player”.

Ich glaube, ich muss mich hier erst noch ein bisschen einleben.

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