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Her mit den Dresscodes im Büro – denn das schenkt Freiheit, statt einzuschränken!

Sogar in Sparkassen haben sich Dresscodes gelockert. Kleidervorschriften gelten als Relikt einer alten Berufswelt. Unsere Autorin findet: Berufskleidung hat viele Vorteile. Zeit, sich an sie zu erinnern.

Schau her, wie seriös ich bin

Der Austritt Großbritanniens aus der europäischen Union ist eine ernste Sache. Im Unterhaus sind demnach auch nur dunkle Röcke und schlichte Anzüge mit nachdenklich blickende Frauen und Männer zu sehen. Sie wissen: Kleidung sendet Signale. Ein klassisches Kostüm vermittelt Seriosität und Ernsthaftigkeit wie manchmal zwei zu einer Raute geformte Hände. So ein Hosenanzug ruft: Schau her, mir und meiner Trägerin kannst du vertrauen!

Obwohl im Unterhaus so ziemlich alles geregelt ist, zum Beispiel die Reihenfolge zu sprechen, oder die Verteilung der knapp bemessenen Sitzplätze, dort wo Beifall klatschen verboten ist und jedes unpassende Verhalten mit einem „Order! Oooooorder!“ unterbrochen wird, gibt es keinen einheitlichen Dresscode für die Abgeordneten. Klar, als Mitglied der Tories trägt Premierministerin Theresa May das leuchtende Blau ihrer Partei. Das hindert sie aber nicht daran, auffällige Pumps in Leopardenmuster zu kombinieren.

Wie viel Abweichung ist erlaubt?

Obwohl in der Politik kein offizieller Dresscode herrscht (selbst die Schriftführer*innen im Bundestag müssen keinen Schlips mehr tragen), ziehen sich die Politiker*innen meist so an, wie ihre Berater*innen es empfehlen. Und das ist eben meistens der Business-Look, Kostüm oder Anzug. Gerade Frauen in der Politik können es sich meist nicht leisten, durch „unpassende“ Kleidung in den Mittelpunkt gerückt zu werden, weil diese Frauen dann in Zukunft auf ihren Stil reduziert werden oder man ihnen weniger Autorität zuspricht. Googelt man zum Beispiel Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung, schlägt einem die Suchmaschine als erste Ergebnisse den Namen der CSU-Politikerin in Kombination mit den Begriffen „Kleid“ und „Leder“ vor.

Die Aufregung war groß, als Dorothee Bär sich dazu entschied, zur Gala des deutschen Computerspielepreis einen extravaganten Entwurf der Designerin Marina Hoermanseder anzuziehen. Einige Medien kommentierten diese Wahl mit Überschriften wie „Wonderwoman in Latex“, während der schlichte Anzug von Verkehrsminister Andreas Scheuer unkommentiert blieb. Bär nimmt diese Kritik locker und hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie sich für Mode interessiert und High Heels liebt. Der FAZ gab die Digitalpolitikerin im letzten Jahr ein ganzes Interview über ihren Stil. Bislang hat es wenig daran geändert, dass ausgefallene Outfits von Politikerinnen geräuschlos akzeptiert werden.

Bye bye, Krawatte!

Wie bei Politiker*innen gibt es nur noch wenige Unternehmen mit einem expliziten Dresscode, lässt man einmal die Uniformen der Polizei oder die Arbeitskleidung im Krankenhaus oder im Handwerk beiseite. Unternehmen Kleidervorschriften werden immer seltener. Selbst konservative Branchen, wie der Finanzsektor, lockern ihre Vorschriften. Die Hamburger Sparkasse zum Beispiel hat sich schon vor Jahren von Krawatten für ihre Berater*innen verabschiedet, die Düsseldorfer Sparkasse hat Kund*innen per Foto über das Outfit der Berater*innen abstimmen lassen. Auch das New Yorker Unternehmen Goldman Sachs verzichtet seitdem Frühjahr auf die klassischen Outfits ihrer Mitarbeiter*innen. Wenn eine der größten und renommiertesten Investmentbanken der Welt ihren Dresscode abschafft, tut sie das nicht ohne Grund. Schlips und Kragen scheinen uncool geworden zu sein. Zu den Kund*innen von Goldman Sachs zählen zunehmend auch Milliardär*innen aus dem Silicon Valley. Und die lassen sich mit Nadelstreifen nicht mehr beeindrucken. Eher mit einem Paar limitierter weißer Turnschuhe.

Während der Casual-Look sich für viele Männer einfach in Jeans, Hemd und coolen Sneakern übersetzten lässt, ist es für Frauen schwieriger, sich lässig, aber dennoch seriös zu kleiden – gerade wenn sie in einem männerdominierten Bereich, wie dem Finanzsektor oder der Techbranche arbeiten, wo sie sich immer noch behaupten müssen. Auf dieses Problem und die damit verbundene Marktlücke reagierte Gardoré, ein Fashion Startup, das ausgewählte Business-Looks für Frauen zusammenstellt und verkauft. Die Gründerinnen Laura Cordes und Anna Raabe, zwei ehemalige Unternehmensberaterinnen wissen, wie schwierig es ist, passende Outfits für verschiedene Jobs zu finden. Wenn es keinen Dresscode mehr gibt, hat man eben auch tausend neue Möglichkeiten, was überfordern kann. Denn was gilt als stilsichere Mode? In ihrem Online-Shop  haben Cordes und Raabe unter verschiedenen Kategorien passend zusammengestellte Outfits, die den neuen Anforderungen – nicht zu ,business‘, nicht zu lässig – gerecht werden sollen.

Mit dem Outfit auf die Arbeit einstellen

Die neue Freiheit bringt neue Unsicherheiten mit sich. Könnte das ein Hinweis darauf sein, dass Berufskleidung gar keine schlechte Tradition war, sondern sogar eine hilfreiche? Denn obwohl Goldman Sachs mit ihrer Entscheidung nun vielleicht mehr Bewerber*innen ansprechen, die Anzug und Kostüm als etwas aus der Zeit Gefallenes betrachten, hat Berufskleidung viele Vorteile, die zunehmend in Vergessenheit geraten. Ein verbindlicher Kleidungsstil schafft Verbundenheit mit den Kolleg*innen, Outfits nur fürs Büro sparen morgens Zeit vor dem Kleiderschrank. Und: Die passende Kleidung hilft, sich auf den Arbeitstag einzustellen. Wer Berufskleidung trägt, hat das Büro schon am Körper – auch im Homeoffice. Mit dem letzten Blick in den Spiegel stimmt man  Körper und Geist auf Arbeit ein.

Ein Dresscode kann außerdem Berufsanfänger*innen den Einstieg erleichtern. Die Herausforderung sich passend zu kleiden, ist gerade bei Bewerbungsgesprächen groß. Man kennt das Unternehmen vielleicht noch nicht und rästelt darüber, wie sich die anderen kleiden. Die Vorbereitung endet in hektischen Google-Suchen, die widersprüchliche Ergebnisse produzieren. Auch wenn es allein um Fähigkeiten gehen sollte, können sich selbst geübte Personaler*innen nicht gegen den ersten Eindruck wehren, der sich aus dem Anblick eines*einer Bewerber*in ergibt. Ist man zu förmlich angezogen, traut der lässige Chef dem Bewerber vielleicht den Umgang mit den hipperen Kunden*innen nicht zu. Ist die Bewerberin zu casual gekleidet, zweifelt die Chefin an ihrer Kompetenz. Wer von vornherein weiß, was im Unternehmen getragen wird, vermeidet es, unpassend gekleidet zum Jobinterview oder zum ersten Arbeitstag zu erscheinen. Noch vor einigen Jahren hatten neue Mitarbeiter*innen es leichter: Da waren Rock, Bluse und schlichte Lederschuhe immer richtig. Ein verbindlicher Dresscode würde also beim Berufseinstieg wenigstens die Unsicherheit bei der Kleiderwahl minimieren, wenn schon alles andere aufregend und neu ist!

Die Entgrenzung von Arbeit und Freizeit

Berufskleidung hilft mitunter auch dabei, zwischen Arbeit und Freizeit zu unterscheiden. Die Kleiderordnung ist mittlerweile so aufgeweicht, dass viele Menschen kaum noch einen Unterschied zwischen Privatkleidung und Berufskleidung machen. Ähnlich wie das Homeoffice, wird auch die Freiheit, sich casual und leger kleiden zu dürfen, von vielen Angestellten befürwortet; sie ist jedoch eine Entwicklung, die nicht nur positiv ist.

Wer um 18 Uhr nach Hause kommt und Anzug oder Kostüm in den Schrank hängt, weiß: Jetzt kommt die Freizeit. Mit dem Ablegen der Arbeitskleidung endet das Arbeits-Ich. Wer hingegen keine Kleidung fürs Büro hat, dem fällt es schwerer, sich auf den Feierabend einzustellen. Das gilt besonders für diejenigen, die Mails von der Arbeit oder Slack-Nachrichten auf ihr privates Smartphone bekommen. Die Angleichung von Berufs- und Privatkleidung spiegelt die Entgrenzung von Arbeit und Freizeit wider mit ihren Vor- und Nachteilen. Es ist entspannter, direkt nach der Arbeit in Jeans und Turnschuhen weiter zu Freund*innen gehen zu können, ohne sich vorher umziehen zu müssen. In Jogginghose im Homeoffice zu arbeiten, ist nun einmal gemütlich. Doch unterschätzen wir vielleicht die Nachteile der Work-Life-Integration? Wer nicht mehr zuverlässig trennen kann zwischen Arbeit und Freizeit, arbeitet mitunter mehr als er sollte und schaltet nicht mehr ab.

Die Abschaffung des Dresscodes wird von Unternehmen zwar als neue Freiheit verkauft, doch sie ist es nur für diejenigen, die gut mit ihr umgehen können. Menschen, denen es schwerfällt sich abzugrenzen, könnte Berufskleidung vielleicht dabei helfen, mit dem Jacket auch das Diensthandy auszuschalten. Arbeitskleidung erinnert uns daran, dass wir uns gerade in der Rolle des*der  Mitarbeiter*in befinden. Diese „Uniform“ stellt so eine professionelle Distanz her, die dabei helfen kann, die Wünsche und Anforderungen von Kolleg*innen und Führungspersonen stets auf der professionellen Ebene zu betrachten. Denn Kolleg*innen, mit denen man freundschaftlich verbunden ist, schlägt man ungern einen Wunsch ab, selbst wenn er den Rahmen der beruflichen Anforderungen verlässt. Für Unternehmen zahlt sich diese Entwicklung aus: Mitarbeiter*innen, die das Gefühl haben, gerade privat zu sein, etwa beim Feierabend-Bier am Freitag, bleiben länger im Büro und arbeiten mehr. Ohne Dresscode ist auch der Casual-Friday Geschichte – und damit auch der Arbeitstag der Woche, der ein wenig entspannter ist?

Die Qual der Wahl

Berufskleidung hat für handwerkliche Betriebe vor allem eine funktionale Bedeutung, schützt sie doch die Arbeiter*innen vor Hitze oder Säure. Aber die besondere Kleidung ist nicht nur ein Schutz, sondern bedeutet auch immer noch Traditionsbewusstsein. Je nachdem, in welcher Art von Betrieb man arbeitet, kann sie auch einen Unterschied in der Hierarchie markieren. Heute ist es eher so, dass Führungskräfte versuchen, durch lockere Kleidung ihre höhere Position zu verschleiern, um vermeintlich näher zu wirken. Am Umgang miteinander ändert es jedoch eher wenig, wenn der Chef auf Jacket und Lederschuhe verzichtet. Hinter dem Sneaker verbirgt sich derselbe Machtanspruch. Sich von anderen abzugrenzen, geht natürlich mit teuren Turnschuhen genauso gut, wie früher mit Anzügen von Brioni. Wer sich heute von den Spießer*innen im Büro abheben will, zieht wohl eher wieder ein Kostüm an, denn Jeans und Turnschuhe fallen mittlerweile eher unter „Normcore“ und sind kaum noch Ausdruck von Individualität.

Das Leben der Banker*innen von Goldmann Sachs ist jetzt nicht unbedingt leichter geworden. Der sichere Griff zu Anzug oder Kostüm am Morgen gehört der Vergangenheit an. Anziehen was sie wollen, dürfen sie auch nicht. In einem Memo der Chefetage heißt es, dass von den Angestellten lediglich erwartet werde, „sich so zu kleiden, wie es den Erwartungen der Kund*innen entspricht“. Das heißt, jetzt müssen sie morgens abwägen, welche Kund*innen sie treffen und was diese sich wohl für ein Outfit wünschen.

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