Priscilla Du Preez | Unsplash

Die Welt wird besser? Unterhaltet euch mal mit Menschen, die wirklich von Diskriminierung betroffen sind

Solidarität ist in der Theorie ziemlich simpel, aber was muss passieren, damit wir auch praktisch gegen Sexismus aufstehen? Das fragt sich unsere Redakteurin Helen heute in ihrer Kolumne „Ist das euer Ernst?”.

Die Sexisten sind zurück 

Sexuelle Belästigungsvorwürfe zerstören die Karrieren von Männern? Zumindest könnte man das meinen. Das prägnantestes Beispiel diese Woche: der österreichische Politiker Peter Pilz. Nach vermehrten Vorwürfen von sexuellen Übergriffen gegenüber Kolleginnen, trat dieser vor einigen Monaten zurück. – und wurde diese Woche dann doch im österreichischen Nationalrat angelobt. So sehen also zerstörte Karrieren aus … 

Das Beispiel zeigt einmal mehr, dass sexuelle Übergriffe zwar oft Karrieren zerstören, aber eben nicht von den übergriffigen Männern, sondern von den betroffenen Frauen, verließen bei der Angelobung am Montag fast alle weiblichen Abgeordneten den Plenarsaal, um ein Zeichen des stillen Protests zu setzen. Einzelne Frauen wie Doris Bures (SPÖ), die Neos-Abgeordnete Karin Doppelbauer und die Frauen der Liste Pilz und alle Männer blieben sitzen.

Wo wollen wir hin: vor oder zurück? 

„Danke für Nichts”, möchte man als müde Feministin sagen, sich ein volles Glas Wein einschenken, um morgen wieder aufzustehen und mit aller Kraft weiter gegen den Backlash anzukämpfen. Dass das Patriarchat noch lange nicht zu Ende ist, wissen wir wohl leider alle. Dennoch ist es immer wieder erschreckend, wie wenig Solidarität es für feministische Belange gibt. Oder auch für Menschen, die von Rassismus, Antisemitismus, Homosexuellenfeindlichkeit oder Diskriminierung auf Grund ihrer körperlichen Voraussetzungen betroffen sind. Die Frage, die da hinter steht: Wann stehen wir (mit) auf? Nur, wenn es uns selbst betrifft? Nur, wenn es nicht mit unseren anderen Zielen in Konflikt steht? Nur, wenn es uns gut steht?

Entschuldigung, aber dafür steht gerade zu viel auf dem Spiel: #Metoo hat (wie viele Hashtags davor) einiges losgetreten. Nun ein paar Monate später stehen aber viele der beschuldigten Männer kurz vor ihrem Comeback. Unsere Gesellschaft ist in den letzten Jahrzehnten offener geworden. Und doch häufigen sich rassistische Übergriffe wieder. Antisemitismus war nie weg. In Irland wurde gerade eines der striktesten Abtreibungsgesetze gekippt, in Polen soll es dafür noch strenger werden. Und in Deutschland diskutiert man zwar über eine Abschaffung des Paragrafen 219a, geht es aber an Paragraf 218, der Abtreibungen gesetzlich verbietet, aber straffrei macht, ist es auch schon wieder vorbei mit den Selbstbestimmungsrechten der Frau. Überall erstarken rechtspopulistische bis rechtsextreme Kräfte. 

Aufstehen, zu Not auch mehrmals am Tag 

Wer glaubt, die Welt wird besser, muss sich dringend mit den Menschen unterhalten, die von Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Homosexuellenfeindlichkeit und anderen Formen der Diskriminierung betroffen sind. Die traurige Wahrheit: In Deutschland wird man beim Anmieten eines Kleingartens immer noch rassistisch angegangen, Fußballspieler mit einem Migrationshintergrund haben gefälligst besonders laut die Nationalhymne zu singen, politische Talkshows wissen nicht, was Framing bedeute, Morde und Gewalttaten an Frauen werden immer noch als „Familiendramen” bezeichnet und im österreichischen Nationalrat bleiben eben alle Männer sitzen.

Und genau das ist eben fatal. Und deshalb, egal wie abgedroschen es klingt, ist es eben an der Zeit, aufzustehen und solidarisch zu sein: im österreichischen Nationalrat, in der medialen Debatte, aber auch in der U-Bahn, an der Supermarktkasse, im Freundeskreis, im Büro und auch aus der Ferne, wenn an Europas Grenzen weiterhin täglich Menschen sterben. Denn, so viel feministische Resthoffnung ist geblieben, wer sitzen bleibt, verliert. Nicht heute und wahrscheinlich auch nicht morgen. Aber nächste Woche spätestens. Und spätestens dann gibt es keine Medaille mehr dafür.

Am gleichen Tag der Angelobung Peter Pilzs wurde die Abgeordnete Alma Zadic bei einer Rede im Parlament von anderen Abgeordneten rassistisch angegangen. Auch da wäre ein solidarisches Zeichen nötig gewesen. Ja, solidarisch sein, heißt oft aufzustehen, manchmal sogar mehrmals am Tag. 

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