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#metoo bleibt in Deutschland eine Debatte ohne Namen – warum ist das so?

In den USA führt die „New York Times“ eine lange Liste mit Prominenten, deren Karriere nach Bekanntwerden ihrer Vergehen (zumindest vorerst) beendet ist. In Deutschland wiederum scheint es, als würde die Debatte um #metoo abklingen, ohne dass Namen von prominenten Tätern öffentlich genannt wurden. Wie ist das zu bewerten?

 

Die Liste wird länger

Am Sonntag wurde bekannt, dass die New Yorker Metropolitan Opera ihren Stardirigenten und langjährigen Leiter James Levine suspendiert hat. Levine soll einen Jugendlichen über Jahre sexuell missbraucht haben. Mit James Levine verliert nach Harvey Weinstein, Kevin Spacey, Louis C.K. und vielen anderen in den USA also ein weiterer prominenter Mann nach Bekanntwerden von Missbrauchs- oder Belästigungsvorwürfen seinen Job. 

Und in Deutschland? Sind bis heute, zwei Monaten nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Harvey Weinstein und dem Beginn der #metoo-Debatte, keine Namen öffentlich genannt worden. Die Frage ist: Warum nicht? Und: Wäre das gut? Wie würde es unsere Diskussion verändern?

Niemand würde wohl behaupten, dass in Deutschland aus irgendwelchen Gründen ein gesellschaftliches Klima herrscht, das Übergriffe wie in den USA unwahrscheinlicher machen würde. Davon ist leider nicht auszugehen. Und es gab in den vergangenen Wochen ja auch immer wieder Texte und Berichte von Frauen, die einen Einblick gewährten in das Gebaren prominenter Männer in Politik und Kultur – nur eben immer anonym.

Die „stern“-Autorin Ulrike Posche zum Beispiel schrieb über ihre Erlebnisse mit Kollegen und diversen Ministerpräsidenten (betont aber auch, dass sie nicht der Meinung ist, ein Minister müsse zurücktreten, nur weil er mal einer Journalistin die Hand aufs Knie gelegt habe.) Der WDR veröffentlichte Videos von Gesprächen mit 45 weiblichen Bundestagsabgeordneten, die auch von anzüglichen Bemerkungen und Belästigungen berichten.

Brauchen wir Namen?

Die „Zeit“ veröffentlichte kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Weinstein ein ausführliches Dossier, mit dem die Autoren auch die Lage in Deutschland zu ergründen versuchten. Im Text kommt auch Nico Hoffmann zu Wort, einer der bekanntesten Filmproduzenten Deutschlands, der sagt, er habe in Deutschland noch nie von Zuständen wie in Hollywood gehört. Die Autoren schreiben: „Wenn ein Branchenkenner wie Hofmann versichert, er sei noch nie mit Berichten von sexueller Belästigung konfrontiert worden – was bedeutet das dann: dass es das Problem in Deutschland nicht gibt? Oder dass es systematisch verschwiegen wird?“

Für das Dossier hatten die Autoren mehr als 50 Schauspielerinnen angeschrieben, nur drei waren bereit, sich zu äußern. Natalia Wörner war eine von ihnen, sie sagte: Sie selbst habe keine massiven Übergriffe wie im Fall Weinstein erlebt, das bedeute aber natürlich nicht, dass es sie nicht auch in Deutschland gebe.

Und dann war es ein sehr, sagen wir, leider schwieriger Text der Autorin Carolin Würfel („Sexismus in der Kulturszene: Wir wissen es“), der nochmal in die Debatte darüber eingriff, ob wir auch in Deutschland Namen brauchen; ob das die Debatte voranbringen würde. Würfel fragt sich, warum sie und ihre Kolleginnen zum Sexismus und sexualisierten Übergriffen im Berliner Kulturbetrieb schweigen – und schreibt, dass sie das nicht länger hinnehmen wolle. Allerdings nennt auch sie keine Namen, listet aber schwere Vergehen bis hin zur Vergewaltigung auf, die von prominenten Vertretern des Berliner Kulturbetriebs begangen worden sein sollen.

Ein Text mit viel Angriffsfläche

Auch wir haben über den Text von Carolin Würfel in der Redaktion diskutiert, er ließ uns teilweise ratlos zurück; tatsächlich handelte es sich bei dem Text nicht um ein klassisches Stück Journalismus; man hatte eher das Gefühl, die Autorin wollte sich dringend etwas von der Seele schreiben. Der Text bleibt zu sehr in der Schwebe. Würfel schreibt von „Namen, die seit Jahren mit Geschichten verknüpft werden. Geschichten, die Frauen flüsternd untereinander weitergeben, aber nie laut aussprechen.“ Das ist natürlich als Information unbefriedigend: Sind das Geschichten, die Würfel selbst erlebt hat? Oder die Frauen, mit denen Würfel gesprochen hat? Oder sind das Geschichten, die kursieren und die man weitererzählt? Vor allem aber: Die Autorin erregt sich in ihrem Text darüber, dass in der deutschen Debatte keine Namen genannt werden, und sagt, dass sie eine Liste mit Namen geschrieben hat. Warum aber nennt sie dann diese Namen nicht? Ist es Angst? Das fehlende Vertrauen, das ihr Glauben geschenkt wird? Die Annahme, dass sich sowieso nichts ändern würde? All das wäre zumindest vorstellbar.

Der Text bot jedenfalls jede Menge Angriffsfläche. Würfels Text war bei „Zeit Online“ erschienen, und kurze Zeit später meldete sich Sabine Rückert, stellvertretende Chefredakteurin der „Zeit“ und Gerichtsreporterin, mit einer vernichtenden Replik, ganz kurz zusammengefasst: Die Autorin verdächtige Berliner Kulturschaffende, Sexualdelikte an Frauen begangen zu haben, Beweise dafür lege sie aber nicht vor. Ihren juristischen Fachverstand nutzend legt sie der „Kollegin Würfel“ dar, dass die sich mit ihrem Text durchaus bis zu sechs Monate Beugehaft einhandeln könne, falls die Staatsanwaltschaft sie vorladen und sie sich nicht äußern würde, also theoretisch. Was Rückert fehlt: Opfer, Daten, Quellen. Zudem berichtete Rückert, dass sich bereits besorgte Herren gemeldet hätten, die nun Angst hätten, aus Versehen und zu Unrecht unter Versacht zu geraten, nur weil sie eben zufällig Gastwirte/Galeristen/Architekten seien.

Zumindest von außen wirkte es etwas befremdlich, den Text der freien Autorin erst durchzuwinken und zu veröffentlichen und dann eine derart vernichtende Kritik hinterherzuschieben.

Man bekam jedenfalls das Gefühl: Würfel hat den Männern Angst gemacht, und nun macht Rückert Würfel Angst. Und von ganz unerwarteter Seite schaltete sich dann noch Jakob Augstein ein, der meinte, Angst sei etwas, an das sich nun auch die Männer vielleicht einfach mal gewöhnen müssten. Seine durchaus steile These: „Die Frauen sind es leid, Opfer zu sein. Vielleicht ist es unvermeidlich, dass dabei auch ein paar Männer unter die Räder kommen.“ – Augstein spricht von einem „bösen und gefährlichen“ Text – den er aber ausdrücklich begrüßt: „(…)Würfels Text war auch nicht normal. Er war ein Ruf zu den Waffen. Denn wir brauchen in der Tat eine Revolution. Eine neue sexuelle Revolution. Wie jede Revolution wird auch diese hier nicht ohne Opfer abgehen. Das ist eine Feststellung, keine Rechtfertigung.“ Und er schließt:  „Es ist schon so: Wenn die Frauen ihre Furcht verlieren sollen, müssen die Männer diese Furcht erst selbst kennenlernen.“

Es bleibt die Frage: Woran liegt es, dass in den USA prominente Täter öffentlich benannt werden, und in Deutschland bis heute kein Fall bekannt geworden ist? Hat es damit zu tun, dass in den USA die Debatte durch den  extremen Fall Weinstein ins Rollen kam, der ein Klima schuf, in dem dann in den Folgewochen Vorwürfe Gehör fanden und ernstgenommen wurden, die ansonsten vielleicht verpufft wären? Hat der Fall Weinstein dazu geführt, dass viele Opfer sich getraut haben, über das zu reden, was ihnen passiert ist? Weil sie gespürt haben, dass jetzt ein Moment dafür ist? Und wird dieses Moment in Deutschland noch kommen?

Welchen Unterschied machen prominente Namen?

Ganz abgesehen davon, dass Straftaten deshalb benannt werden müssen, damit sie geahndet werden können: Wie wichtig ist es tatsächlich für die Debatte um sexualisierte Gewalt, dass prominente Namen in der Öffentlichkeit genannt werden? Geht es darum, bei (meistens männlichen) Tätern das Bewusstsein dafür zu wecken, dass sie „nicht davonkommen“? Ganz konkret: Gehen wir mal davon aus, die von Carolin Würfel geäußerten Vorwürfe entsprächen der Realität: Welchen Unterschied in der Debatte würde es machen, wenn prominente Namen bekannt gemacht würden?

Die große Hoffnung wäre ja, dass die letzten Wochen, egal ob Namen in die Öffentlichkeit gelangt sind oder nicht, etwas bewegt haben, dass Männer und Frauen stärker sensibilisiert wurden. Man darf jedenfalls davon ausgehen, dass noch nie so intensiv unter Kollegen, Freunden und Bekannten über Themen wie Sexismus und sexualisierte Gewalt gesprochen wurde wie in den vergangenen Wochen.

Aber diese Gespräche im Privaten, sie reichen nicht aus, schreibt Georg Diez vom „Spiegel“: „Reden ist der Anfang von Politik und von gesellschaftlicher Veränderung. Über sexuelle Übergriffe wird in Deutschland aber nicht geredet. Dabei können wir es uns nicht leisten, diesen historischen Moment zu vergeuden.“ Und: „Das Schweigen aber, das sich nun wieder so artifiziell wie absichtsvoll über das legt, was Frauen erzählen könnten, ist bedrückend in seiner reaktionären Routine.“

Vielleicht wird also umgekehrt ein Schuh draus: Womöglich ist das Zögern, die Hemmungen, mit Namen an die Öffentlichkeit zu gehen, ein Indiz dafür, dass die Debatte in Deutschland nicht so offen geführt wird, wie das für einen echten Fortschritt wichtig wäre. 

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