Eine Rose für alle Frauen, denen Gewalt bei der Geburt widerfahren ist und eine Erinnerung daran, dass Emanzipation vorm Kreißsaal nicht Halt machen darf. Dafür steht der Roses Revolution Day.
Triggerwarnung für: Beschreibungen einer Geburt und Gewalterfahrungen unter der Geburt
Warum wir so wenig über Geburten wissen
Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich diesen Text schreiben soll oder nicht. Heute, am Vorabend zum 25. November – dem Roses Revolution Day in Deutschland – und 274 Tage nachdem ich unseren Sohn geboren habe, tue ich es doch.
Es gibt wenig, was mir so schwer von der Hand geht, wie diese Worte. Warum? Weil das Thema Geburt in unserer Gesellschaft in einem so geschlossenen Rahmen stattfindet – zu dem Außenstehende kaum bis gar keinen Zugang haben. Es ist neben dem Tod noch immer eines der großen Tabus in der Öffentlichkeit, denn darüber wie es wirklich war, sprechen die wenigsten. Besonders dann, wenn das Erlebnis nicht gut war. Krankenhäuser regeln die Anwesenheit Angehöriger mit Hilfe von Auflagen, die oft nur eine weitere Begleitperson neben der Hebamme vorsehen; Hausgeburten nehmen zwar wieder zu, sind aber immer noch die Ausnahme – davon abgesehen wohnen längst nicht mehr viele Generationen unter einem Dach, die so Zeuge des Ereignisses werden könnten. Was der Rest der Familie dann von der Geburt des neuen Familienmitglieds mitbekommt, sind Erinnerungen. Erinnerungen einer erschöpften Mutter, die oft verschwommen sind – durch medikamentöse Eingriffe oder schlichtweg die persönliche Verzerrung des Erlebten. Die meisten erwachsenen Menschen kommen mit dem Thema Geburt deswegen oft erst in Berührung, wenn sie selbst zum ersten Mal Eltern werden. Männer wie Frauen.
Geburtserfahrungen können traumatisch sein
Nicht selten bleibt es bei diesem ersten Mal, denn viele Frauen erleben im Kreißsaal Dinge, die den Wunsch nach einem weiteren Kind oder einer erneuten spontanen Geburt im Keim ersticken. Ich möchte hier keine Daten und Fakten auflisten – ich habe unter meinen Beitrag Links gesammelt, die dazu bereits zur Genüge Aufschluss geben. Vielmehr möchte ich eine Geschichte erzählen. Die Geschichte einer Protagonistin, die ihre Identität lieber nicht preisgeben möchte, weil sie sich für das, was passiert ist, schämt. Viel zu lange sucht sie die Fehler bei sich – bis ihr klar wird, dass im Krankenhaus vielleicht Dinge passiert sind, die nicht okay waren. Da ist sie also wieder, die #metoo-Debatte – nur dass die Täter dieses Mal nicht ausschließlich Männer sind.
Als unsere Protagonistin mit Wehen ins Krankenhaus eingeliefert wird, ist noch alles gut. Ihr Muttermund ist bereits komplett geöffnet, die Fruchtblase etwa eine Stunde zuvor geplatzt, dem Baby geht es gut. Einzige „Komplikation“: Das Fruchtwasser war mißfärbig – ein Indiz dafür, dass das Baby irgendwann einmal Stress hatte, ob während des Geburtsverlaufs oder bereits eine Woche früher kann in dem Moment jedoch niemand mit Sicherheit sagen. Solange die Herztöne gut sind, ist das lediglich ein Grund für erhöhte Aufmerksamkeit, aber keiner zur Panik.
Die letzten Stunden hat sie Zuhause verbracht, es war ein kraftvoller aber friedlicher Wellengang bis hierher. Die Verlegung ins Krankenhaus war im letzten Drittel des Geburtsverlaufs zwar etwas abenteuerlich aber komplikationslos. Mit der Ankunft im Kreißsaal wendet sich das Blatt binnen einer halben Stunde allerdings um 180 Grad. Die Frau trifft auf ein nervöses Geburtsteam aus einer jungen Ärztin, Hebamme und Arzthelfer und erlebt von verbaler Gewalt (niemand nimmt sich wirklich die Zeit sie zu begrüßen oder kurz auf die einzugehen, stattdessen wird sie ununterbrochen angeschrien) über eine Episiotomie dritten Grades (der medizinische Begriff für einen Dammschnitt), Kristeller-Handgriffen bis hin zum Reißen an der Nabelschnur, um den Plazenta-Abgang zu beschleunigen in kürzester Zeit alles, was das Gewaltregister in der Geburtshilfe so zu bieten hat.
Eine halbe Stunde später ist ihr Sohn auf der Welt. Viel zu schnell für ihr Empfinden. Fünf Minuten bleiben den frisch gebackenen Eltern zum Kuscheln, dann muss die junge Mutter in den OP zur Kürettage, die vermeintlichen Plazenta-Reste müssen entfernt werden. Zwei Stunden sind ihr neugeborener Sohn, der Vater und sie voneinander getrennt. Allein wacht sie in einem sterilen, weißen Raum auf, muss warten bis die Blutergebnisse da sind, bevor sie endlich wieder zu ihrem Baby kann. Im Zimmer angekommen schafft es die nachwirkende Narkose Gottseidank nur bedingt, die Freude zu trüben – und doch ist da dieser Nebel – ein Schleier, der sich auch Monate danach nicht so recht lichten will. Manches kommt ihr vor wie ein Traum, anderes wieder ist so klar, dass es noch immer schmerzt. Von ihrem Wunsch einer selbstbestimmten Geburt war dieses Erlebnis jedenfalls weit entfernt. Und doch sollte sie glücklich sein – immerhin haben all diese Eingriffe ja dazu beigetragen, dass sie heute das größte Geschenk überhaupt in den Händen halten darf, ihren Sohn! Was diese an manchen Stellen eher fragwürdige Vorgehensweise ihr und ihrem Sohn allerdings genommen hat, das soll sie erst viel später realisieren.
„Dem Baby geht es gut“ ist nicht der Maßstab für eine „gute Geburt“
Natürlich waren sie alle notwendig, um Leben zu retten. Natürlich hätte sie es alleine nicht geschafft, natürlich war der Platz für ihr Baby viel zu eng, weil sie doch so schmal ist. Deswegen habe man geschnitten. Und auch die Kürettage war leider notwendig, natürlich – wenn die Plazenta noch vor Lösung mit Gewalt versucht wird zu entfernen. Mit diesen Argumenten erklärt sich die Ärztin nach der Geburt mehrfach gegenüber der jungen Mutter – in ihrem Gesicht und ihrer Stimme ist Wehmut zu erkennen. Auch sie hat sich einen anderen Geburtsverlauf gewünscht, das kann sie spüren. Vielleicht weiß sie es nicht besser, weil unsere Gesellschaft es nicht besser weiß.
Die Mutter macht der Ärztin keinen Vorwurf, sondern bedankt sich und entlässt sich trotz Abraten der Ärztin wenige Stunden später selbst aus dem Krankenhaus, um zurück nach Hause zu kommen – in den geschützten Raum, den sie sich für diese Erfahrung gewünscht hatte. Das Krankenhaus, das sie damit hinter sich lässt, war für einen „Notfall“ wie diesen eigentlich ihre erste Wahl, weil eigentlich bekannt für seine alternative Einstellung zum Thema spontane Geburt. Und doch hängt die Belegschaft auch hier in ihrer Routine fest, hat Auflagen zu erfüllen und Ängste, die mit bürokratischen (Un-)Sicherheiten einhergehen. Unsere Geburtsmedizin ist verhältnismäßig sicher, im Vergleich zu anderen Ländern sterben in der westlichen Welt weniger Mütter und Kinder als noch vor 100 Jahren. Darauf dürfen wir stolz sein, uns aber nicht ausruhen. „Zu überleben“ (egal um welchen Preis) darf nicht zur einzigen Motivation einer westlichen Geburtskultur werden. Das entspricht nicht dem evidenzbasierten Wissen über eine interventionsarme, sichere Geburt, das es ja nachweislich gibt.
Im Grunde hat die Ärztin nicht einmal etwas falsch gemacht, ebenso wenig wie die Hebamme oder gar die Frau, sie haben getan, was sie gelernt haben – dafür ist keine von ihnen an den Pranger zu stellen, im Gegenteil: Alle drei haben in diesen frühen Morgenstunden dazu beigetragen, dass neues Leben sein darf. Und doch haben sie, ohne es zu wissen, damit ein System gestützt, das zu sehr von Angst getrieben ist und viel zu selten auf Intuition und Selbstvertrauen vertrauen darf. Wir Frauen reden von Emanzipation, Selbstermächtigung und Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft, der Berufswelt und im Familienleben. Wo aber ist diese im Rahmen der Geburt? Gäbe es einen „Roses Revolution Day“, wenn Männer Kinder bekommen würden? Würden sie sich darauf verlassen, dass andere das schon für sie schaukeln werden? Sicher nicht!
Setzt euch ein für selbstbestimmte Geburten!
Es ist an der Zeit aufzustehen, liebe Frauen! Gewalt hat nirgends auf der Welt etwas zu suchen – gegenüber Kindern und Frauen genauso wenig wie gegenüber Männern – und schon gar nicht gegenüber Gebärenden. Gewalt darf nicht das Erste sein sein, was unsere Kinder erleben, wenn sie auf diese Welt kommen. Es ist wichtig, wie wir geboren werden und es kann eine der schönsten und kraftvollsten Erfahrungen für eine Frau sein, wenn ihr von Außen der Raum dafür gegeben wird. Denn nur eine Gesellschaft, in der Frauen wieder ihren Platz kennen – in der das Weibliche sein darf und geheilt ist – ist eine gesunde Gesellschaft.
Visualisiert eure Wunschgeburt, macht euch klar, was ihr wollt und was ihr nicht wollt und fordert das von eurem Krankenhaus und eurem Arzt vorab ein. Unterrichtet eure Hebamme, euren Partner und eure Doula darüber und bittet sie darum, euch in der Ekstase der Geburt wieder daran zu erinnern, damit ihr für euch einstehen könnt und nicht nur mit einem gesunden Baby nach Hause geht, sondern auch dem Seelenfrieden, an diesem Tag behandelt worden zu sein, wie es euch gebührt: wie eine Göttin! Selbst, wenn medizinische Interventionen wirklich notwendig werden sollten, weil sie eben Leben retten können, dann können diese zumindest respektvoll und mit Würde vorgenommen werden. An alle Frauen, die bereits ein Baby bekommen und ähnliche Erfahrung gemacht haben: Sprecht darüber, wendet euch an euer Krankenhaus, teilt eure Geschichte – nicht nur heute!
Das besagte Krankenhaus hat von besagter Frau heute jedenfalls einen Brief und eine Rose erhalten. In der Hoffnung, dass sich etwas ändert – und das wird es, das hat sie in den Augen der jungen Ärztin bereits sehen können.
Hilfreiche Links zum Thema Gewalt in der Geburtshilfe:
Was ist der Rose Revolution Day und was bedeutet Gewalt in der Geburtshilfe überhaupt?
* https://www.hebammenblog.de/gewalt-in-der-geburtshilfe-roses-revolution-day/
Eine hilfreiche Dokumentation, wo wir 2017 in Deutschland stehen:
Hebammen setzen sich für eine positivere Geburtskultur ein:
Anlaufstelle für Betroffene:
* http://www.gerechte-geburt.de/home/roses-revolution/
Der Motherhood E.V. kämpft für eine sichere Geburtskultur:
* http://www.mother-hood.de/aktuelles/aktuelles.html
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