Der Gesundheitsminister Jens Spahn will fünf Millionen Euro in eine Studie stecken, die die seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen untersuchen soll – obwohl in dieser Sache längst Klarheit herrscht. Wir haben mit Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, darüber gesprochen, wie sich dieses weitgehend unnütze Projekt noch verhindern lassen könnte.
Mal eben fünf Millionen Euro in den Sand setzen?
Die groß angelegte Studie, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zu den seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen durchführen lassen und in die er fünf Millionen Euro stecken will, wabert schon länger durch die Öffentlichkeit: Sie wird auch in einem Eckpunktepapier erwähnt, das die zuständigen Minister*innen von Union und SPD im Dezember erarbeitet hatten; dieses Papier sollte endlich zu einem Kompromiss in Sachen 219a, also zu einer Änderung des Paragrafen zum „Werbeverbot“ für Schwangerschaftsabbrüche, führen. Ausgehend von diesem Eckpunktepapier hatten die Minister*innen der Großen Koalition Ende Januar einen Referent*innenentwurf zur Reform von 219a vorgelegt, den auch EDITION F eher als lahmen Kompromiss denn als großen Wurf sah, um Schwangeren vor einer schwierigen Entscheidung endlich wahre Selbstbestimmung zu ermöglichen.
Immerhin: Von der Studie war in diesem Entwurf keine Rede mehr, umso erstaunlicher, dass das von Jens Spahn geführte Gesundheitsministerium nun bestätigte, die fünf Millionen Euro teure Studie machen zu wollen – obwohl wissenschaftlich längst belegt ist, dass es so etwas wie das „Post-Abortion-Syndrom“ nicht gibt. Der Begriff wurde in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts von der amerikanischen „Pro-Life-Bewegung“ erfunden – und behauptet, Frauen würden nach einer Abtreibung mit allen möglichen Krankheitssymptomen wie Depressionen zu kämpfen haben. Die Sozialwissenschaftlerin Kirsten Achtelik sagte in der taz, all das sei wissenschaftlich längst widerlegt – eine aktuelle Studie zeige vielmehr, dass mehr als 95 Prozent aller Frauen auch drei Jahre nach einem Abbruch noch erleichtert über ihre Entscheidung seien. Bereits bestehende Studien weisen vielmehr in die Richtung, dass es womöglich mehr Sinn machen würde, die seelischen Folgen von Eltern zu untersuchen, die ein Kind bekommen haben, obwohl sie lieber einen Abbruch gehabt hätten. Hier steht zum Beispiel sehr gut aufbereitet, wie die Studienlage aussieht und welche Fragen für Frauen und schwangere Personen, die über einen Abbruch nachdenken, wirklich relevant sind.
Ulle Schauws ist frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion und kritisiert Spahns Vorhaben scharf. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, welche Strategie der CDU-Politiker mit seinem Vorhaben verfolgt und ob es doch noch Möglichkeiten gibt, die Studie zu verhindern.
Wenn wir uns mal an einer kleinen Interpretation versuchen und ins Gehirn von Jens Spahn blicken wollen: Welches Ziel verfolgt er mit dieser Studie, die ja ganz offensichtlich gegen jede wissenschaftliche Relevanz durchgeführt werden soll?
„Man muss es ganz klar so sagen: Herr Spahn bedient damit die Forderungen der Anti-Choice-Bewegung, der selbsternannten Lebenschützer*innen. Die Forderung nach einer solchen Studie haben wir im Bundestag in der Fachanhörung zu 219a im Juni 2018 gehört: der von der AfD berufene Sachverständige hat sie eingebracht. Aus meiner Sicht suggeriert Herr Spahn mit diesem Schritt, dass Frauen in einer schwierigen Lage nicht eigenverantwortlich entscheiden können. Die Union hält mit dieser Haltung die Stigmatisierung von Frauen, die einen Abbruch durchführen lassen, aufrecht. Mir ist auch nicht klar, was er eigentlich herausfinden will. Ja, für Frauen kann die Zeit nach einem Abbruch je nach individueller Situation schwer sein; Frauen können nach einem Abbruch traurig sein, und ja, sie können Emotionen von A bis Z durchlaufen, wenn sie einen Abbruch hatten; aber genauso macht es mit Frauen emotional etwas, wenn sie eine ungewollte Schwangerschaft austragen. Die Frage ist doch: Kann durch einen Abbruch eine psychische Störung verursacht werden? Und hier gibt es längst Studien, dass dies nicht der Fall ist. Die Union redet in der Debatte an den Bedürfnissen der Frauen vorbei. Unterstützung – Fehlanzeige!“
Die fünf Millionen Euro für die Studie hat das Bundeskabinett freigegeben. Ist die Sache damit erledigt?
„Am Ende ist die Freigabe des Geldes für die Studie eine Haushaltsentscheidung des Bundestags und keine Entscheidung, die das Kabinett allein treffen kann, das muss durch eine Mehrheit im Parlament beschlossen werden.“
Besteht aus Ihrer Sicht eine realistische Chance, dass der Bundestag das Geld nicht freigibt?
„Wenn die Mehrheiten so bleiben, wie sie derzeit sind, und sich die Bundesregierung nicht verändert, dann ist die SPD, die ja bisher alles mitgemacht hat, im Wort, und dann müsste die SPD auch für die Haushaltsmehrheit sorgen. Aber meine Kritik an dieser Stelle ist die: Die SPD hat im Kabinett dem Kompromiss zu 219a zugestimmt, und damit offenbar auch den fünf Millionen Euro für diese Studie, und jetzt muss die SPD das aber noch in ihrer Fraktion im Bundestag durchkriegen, die Fraktion muss das ja mittragen. Die Frage, die sich stellt, ist doch: Ist die SPD bereit, nicht nur den Kompromiss mitzutragen, sondern darüber hinaus auch noch fünf Millionen Euro für eine so genannte Post-Abortion-Syndrom-Studie, die von SPD-Seite aber eigentlich abgelehnt wird? Als Oppositionspolitikerin stelle ich der SPD genau diese Frage: Macht ihr das alles mit oder stimmt ihr dem nicht zu?“
Würde dann der ganze Kompromiss wieder zusammenbrechen, wenn viele SPD-Bundestagsabgeordnete gegen die Freigabe des Geldes für die Studie stimmen würden?
„Die Studie ist Teil des Kompromisses, klar. Aber die SPD könnte ja für sich entscheiden, zu sagen: Wir machen nicht mit, was die beiden Ministerinnen im Kompromiss mit der Union verhandelt haben. Die Entscheidungsfreiheit haben die Abgeordneten. Als Katarina Barley und Franziska Giffey den Kompromiss zu 219a in der Pressekonferenz vorstellt haben, wurde die Studie ja geflissentlich weggelassen, sie wurde jetzt von Jens Spahn nachgeschoben. Ich halte das für einen zentralen Punkt: Ende Dezember hieß es: ,Wir haben einen Kompromiss, den werden wir euch im neuen Jahr präsentieren‘; dieser beinhaltete auch eine Studie zu den Folgen von Abbrüchen ; daraufhin gab es einen Aufschrei und viel Kritik, insbesondere von den Befürworter*innen der Streichung von 219a; und dann wird der Kompromiss im Januar vorgestellt, und die Studie wird mit keinem Wort erwähnt, obwohl sie ja anscheinend Teil des Kompromisses ist, und alle denken: Diese Studie ist raus. Und jetzt kommt Herr Spahn damit durch die Hintertür und sagt, das war ja Teil der Abmachung, und jetzt brauche ich fünf Millionen Euro.“
Also eine bewusste Taktik der SPD?
„Tatsächlich ist das eine Salamitaktik der SPD, die überhaupt nicht aufgegangen ist. Das muss man der SPD wirklich vorwerfen: Es kann doch nicht sein, dass ihr den Punkt weglasst und nun am Ende sagt: Wir machen da mit, wir haben es nur leider in der Pressekonferenz vergessen zu erwähnen. Die SPD muss sich jetzt klar werden, ob sie bei so einem repressiven Gesetzentwurf im Sinne der Union wirklich mitmacht. Die Union wird natürlich darauf pochen. An dieser Stelle sag ich: Jetzt gibt es noch die Möglichkeit für die SPD auszusteigen; als Grüne sagen wir der SPD: Ihr könnt jetzt noch der Streichung zustimmen.“
Gäbe es denn aus Ihrer Sicht irgendetwas rund um das Thema Schwangerschaftsabbruch, für das sich eine Studie wirklich lohnen könnte?
„In der Debatte um 219a ist ja tatsächlich die Versorgungslage von Frauen, die einen Abbruch vornehmen lassen, kritisch beleuchtet worden; bei der medizinischen Ausbildung und in der Beratungsinfrastruktur gibt es eine Menge Dinge, die verbessert werden müssten, um die die Versorgungssicherheit der Frauen zu garantieren. Die bereits bestehenden Studien aus den USA und Dänemark weisen auf einen interessanten Punkt hin, nämlich dass die moralische Stigmatisierung den Frauen rund um einen Abbruch zu schaffen macht. An dem Punkt könnte man ansetzen, wenn man erforschen will, wie Frauen vor und nach einem Abbruch beeinträchtigt werden. Und vielleicht könnte Herr Spahn mal schauen, wenn es um lebenslange Beeinträchtigungen von Frauen geht, welche Rolle das Thema strukturelle und individuelle Gewalt, also etwa häusliche Gewalt , im Leben jeder einzelnen Frau spielt. In der Bekämpfung und in der Prävention dieser Gewalt wären die fünf Millionen Euro wirklich sinnvoll eingesetzt.“
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