Foto: Hernán Piñera – Flickr – CC BY-SA 2.0

Warum wir oft streiten, wenn wir von der Arbeit nach Hause kommen – und wie es anders geht

Endlich Feierabend – doch kaum betritt der andere die Wohnung, bricht ein Streit vom Zaun über irgendeine Nichtigkeit. Warum passiert uns das eigentlich so oft? Wir erklären die Gründe und wie ihr in Zukunft friedlicher sein könnt.

Schatz, ich bin Zuhause!

Eigentlich sollte es ein schöner Moment sein: Nach einem anstrengenden Arbeitstag kommst du nach Hause und freust dich auf den Abend mit deiner Partnerin oder deinem Partner. Vielleicht kocht er schon, wenn du reinkommst, vielleicht bist du aber auch die erste und hast noch Zeit für dich, bis du Gesellschaft bekommst. Egal wie die Situation genau ist und ob noch Kinder durch die Wohnung toben oder ein Hund: Die ersten 15 Minuten des Aufeinandertreffens entscheiden in der Regel darüber, wie der Rest des Abends verläuft: harmonisch oder angespannt. Denn wer schon im Flur streitet, hat häufig keine Lust mehr auf ein gemeinsames Abendessen oder Kuscheln auf dem Sofa. (Ok, vielleicht später Versöhnungssex.)

Warum kommt es kurz nach dem Nachhausekommen immer so schnell zu Streit? Können wir alles auf stressige Jobs und blöde Vorgesetzte schieben? Der Führungskräfte-Coach Ed Batista hat sich für die Harvard Business Review das Problem genauer angesehen und erklärt, warum Paare am Ende des Tages so oft streiten – und wie sie vermeiden können, dass ihre gemeinsame Zeit am Abend ein Disaster wird.

1. Unterschiedliche Bedürfnisse

Manche Menschen brauchen morgens mindestens zwei Kaffee, bevor sie auf Interaktion mit anderen Lust haben, andere springen aus dem Bett und möchten gleich gemeinsam den Tag planen. Dass man völlig unterschiedlich tickt und andere Dinge braucht, um sich wohlzufühlen, ist ganz normal. Genau so ist es auch am Abend, wenn man nach Hause kommt. Ich zum Beispiel brauche einige Zeit, um „wieder anzukommen“. Es hat gar nichts damit zu tun, ob ich einen guten oder einen schlechten Tag im Büro hatte, ich brauche 15-30 Minuten, damit ich mich gedanklich sortieren kann und vom Arbeitsmodus auf den Zuhause-Modus umschalten kann. Manch anderer hingegen beginnt schon von seinem Tag zu erzählen, wenn er gerade noch die Jacke auszieht. Obwohl die Unterschiedlichkeit etwas ganz Normales ist, vergessen selbst Paare oft, dass sie nicht die gleichen Bedürfnisse haben, wenn sie von der Arbeit kommen. Mental und emotional geht es der einen Person jedoch oft ganz anders als ihrem Partner – und sie braucht in der Zeit nach dem Nachhausekommen andere Dinge.

2. Unterschiedliche Erholungszeiten

Die Gehirnforschung hat gezeigt, dass Menschen unterschiedlich lange benötigen, um sich von schlechten Erfahrungen zu erholen, also mit Stress umzugehen. Das bedeutet in der Praxis, dass du nach einem Konflikt in der Firma schon wieder gut gelaunt bist, sobald du dich auf den Weg nach Hause machst, eine andere Person die Gedanken an Arbeitsaufgaben oder Begegnungen mit Kollegen noch eine ganze Weile länger beschäftigen. Ist es nun besser, schneller umschalten zu können? Nicht unbedingt. Denn wer sich schneller vom Arbeitstag „erholt“, ist zwar schneller offen für Neues, zum Beispiel den Partner, eventuell bedeutet dies jedoch nur, dass die Person schneller Sachen verdrängt und weniger reflektiert und damit auch weniger aus Fehlern lernt, so Batista. Wie auch immer es dir ergeht, diese Unterschiede kannst du kaum abtrainieren.

3. Unterschiedliche Kulturen

„Jede Beziehung ist eine interkulturelle Erfahrung“, so der Psychologe John Gottmann, der vor allem zu Ehen und Langzeitbeziehungen forscht. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Partner aus dem gleichen Land stammen, die gleiche Muttersprache sprechen oder der gleichen Religion angehören. Laut Gottmann hat unsere Familie uns kulturell so sehr geprägt, dass in der Beziehung erst eine neue Kultur entstehen muss. Klar, Paare, die schon lange zusammen sind, teilen oft Wertvorstellungen, eine Lebensphilosophie und ähnliche Ziele. Doch bei ihrer Annäherung haben sie sich oftmals nicht mit den so banal scheinenden Dingen beschäftigt, wie zum Beispiel der unterschiedlichen Kultur des Nachhausekommens. Frag dich doch einfach mal, wie dieses Ritual in deiner Familie deine eigenen Abendrituale bis heute prägt und ob du dich darüber schon einmal mit Freundinnen oder Partnern ausgetauscht hast.

Friedlich nach Hause kommen

Unterschiedliche Bedürfnisse, unterschiedliche Erholungszeiten, eine andere kulturelle Prägung – diese drei Dinge bedeuten, dass die meisten Paare nicht perfekt aufeinander eingestimmt sind, wenn sie nach Hause kommen. Der erste Schritt ist, sich bewusst zu machen, dass diese Unterschiede existieren und dass sie okay sind. Die andere Person tickt nicht anders, um dir das Leben schwer zu machen oder weil sie gern streitet. Und auch deine Bedürfnisse haben ihre Berechtigung, an dir ist nichts falsch, nur weil du erst einmal gern deine Ruhe haben möchtest.

Als nächstes solltest du für dich festhalten, was nach Hause kommen eigentlich für dich bedeutet und wie es angenehm für dich ist. Wie sieht die ideale erste halbe Stunde aus, nachdem du die Wohnung betreten hast?

Nehmt euch dann Zeit füreinander, um genau darüber zu sprechen – auch wenn dir diese Unterhaltung vielleicht trivial vorkommt. Wer fünf Mal die Woche vor dem Abendessen streitet, hat sicherlich nicht die schönste Beziehung, und wenn eine kleine Unterhaltung darüber, was ihr in dieser Zeit eigentlich braucht, die Streits reduzieren kann, dann braucht ihr euch bei diesem Gespräch auch nicht lächerlich vorkommen.

Selbstreflexion

Zu guter Letzt kannst du in diesen Situationen aber auch deine Empathie anwenden und dich außerdem selbst beobachten. Ed Batista hat einen wichtigen Punkt: Auch wenn es toll ist, dass wir in der Gegenwart unseres Partners wir selbst sein können, muss das nicht bedeuten, dass wir aufhören zu reflektieren und all das, was wir über zwischenmenschliche Kommunikation und Körpersprache wissen, ignorieren. Bevor dein Partner dich also missversteht, sag ihm, was du gerade brauchst – und zieh erst dann die Tür hinter dir zu, um ein paar Minuten Ruhe zu genießen.

Titelbild: Hernán Piñera – Flickr – CC BY-SA 2.0

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