Frau lehnt sich müde auf den Tisch
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Thank God it’s Friday – Arbeiten wir uns kaputt?

Thank God it’s Friday! Aber warum eigentlich? Warum kämpfen sich viele durch eine Arbeitswoche, die sie oft nicht wirklich mögen? Und warum scheint es für manche zur Norm geworden zu sein, Überstunden ohne angemessene Entlohnung zu machen? Darüber denkt unsere Autorin Ylva in ihrer Kolumne nach.

Thank God it’s Friday! Aber warum eigentlich? Warum kämpfen sich viele durch eine Arbeitswoche, die sie oft nicht wirklich mögen? Und warum scheint es für manche zur Norm geworden zu sein, Überstunden ohne angemessene Entlohnung zu machen?

Ich komme gerade vom Spinning und laufe um kurz nach acht abends zufällig meinem Kumpel entgegen – der gerade auf dem Heimweg von der Arbeit ist. Und nein, das ist keine Ausnahme. Seit wir uns kennen, kenne ich ihn nur, wie er Überstunden macht. Und wieder nein, er arbeitet nicht in einem Job, in dem Menschenleben davon abhängen, dass er länger erreichbar ist. Deshalb frage ich mich, ob es wirklich notwendig ist, dass er so viel arbeitet. Und dass er so viel arbeitet, ohne dafür entlohnt zu werden.

„Wieso wird uns von klein auf eingetrichtert, dass das ständige Arbeiten der einzige Weg ist? Warum muss ich generell immer mehr leisten?“

Auch ich schreibe diese Zeilen mit einer gewissen Voreingenommenheit. Ich mache Überstunden, wenn es notwendig ist. Ich verurteile insgeheim Leute, die denken, sie können, ohne ‘richtig zu arbeiten’, etwas erreichen. Aber warum? Wieso wird uns von klein auf eingetrichtert, dass das ständige Arbeiten der einzige Weg ist? Warum muss ich generell immer mehr leisten? Vor allem, wenn wir doch tagtäglich selbst das System erschaffen, in dem wir leben und arbeiten. Warum können wir nicht alle etwas entschleunigen und für ein System sorgen, das für uns größtenteils entspannt ist?

Wie oft hört oder sieht man das Kürzel TGIF? Thank God, it’s Friday – danke, dass unsere (Arbeits-)Woche endlich vorbei ist! Wir endlich Freizeit haben. Wir endlich nicht gestresst einschlafen, aufwachen und durch unser Leben gehen. Wir keine passiv-aggressiven Mails an Kund*innen und Kolleg*innen schreiben, die uns zum 10ten Mal dieselbe Frage stellen – wahrscheinlich, weil sie auch einfach gestresst sind und vergessen haben, dass wir darüber bereits geredet haben. 

Und seien wir mal ehrlich, wie viele Menschen in unserem Umfeld kennen wir, die TGIM (Thank God, it’s Monday) sagen, schreiben oder denken? Wie viele Leute feiern, dass sie wieder arbeiten dürfen? Wie viele Leute sprechen täglich davon, arbeiten zu MÜSSEN? Und das ist damit nicht wegdiskutiert, dass wir uns immer aktiv für einen Job entscheiden. Viele Menschen haben nicht das Privileg, entscheiden zu können. Immer mehr Menschen arbeiten, um über die Runden zu kommen. Aber wann haben wir kollektiv die Entscheidung getroffen, zu akzeptieren, dass viele von uns gar nicht mögen, was sie machen. Oder es hassen?

„Wann haben wir kollektiv die Entscheidung getroffen, zu akzeptieren, dass viele von uns gar nicht mögen, was sie machen. Oder es hassen?“

Auch als Frau werden mir die Grenzen des Systems, in dem wir arbeiten, immer wieder bewusst. Die rechte Hand eines weißen, männlichen Chefs ist nicht selten auch ein Mann. Schließlich ist es viel einfacher, eine persönliche Beziehung und Vertrauen zu jemandem aufzubauen, der uns ähnlich ist. Und so reproduziert sich das patriarchale System. Dem aktiv entgegenzuwirken, schwebt den meisten Männern eher nicht vor.

Aber eine Frauenquote brauchen wir auch nicht, denn wie soll die Frau denn wissen, ob sie aufgrund ihrer Fähigkeiten oder der Quote mit am großen Tisch sitzt? Ja, liebe Männer, die Frage gebe ich gerne an euch zurück, denn woher wisst ihr, ob ihr aufgrund von Fähigkeit oder aufgrund eures Geschlechts mitentscheiden dürft?

In meinen Gedanken höre ich schon die „Not all men“-Verfechter*innen laut werden. Klar sind hier viele Klischees und Stereotypen mit im Spiel. Ich möchte mich aber bewusst an alle Menschen richten, die diese Zeilen lesen. Alle Vorgesetzten, die von ihren Mitarbeiter*innen regelmäßig Überstunden verlangen. Oder die sie für ihre Arbeit nicht angemessen vergüten. An männliche, weiße Führungsriegen, für die Diversität nur ein Buzzword ist. An Frauen, die andere Frauen nicht empowern. Und Personaler*innen, die denken, die Gen Z hätte utopische Vorstellungen von Arbeitsbedingungen.

Ich glaube, dass wir am Ende des Tages alle das Gleiche wollen. Aber dafür müssen wir uns im Spiegel anschauen und Fehler eingestehen. Vielleicht auch etwas von unserer Macht abgeben. Für eine bessere, coolere und auch entspanntere (Arbeits-)Welt.

DER VOICES NEWSLETTER BY EDITION F

Dieser Text erschien erstmals in unserem Voices Newsletter, für den ihr euch HIER ANMELDEN könnt. Jede Woche teilt darin ein*e EDITION F-Autor*in ihre ganz persönlichen Gedanken zu Themen wie Sex, Gesellschaftspolitik, Vereinbarkeit, Popkultur, Mental Health und Arbeit.

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  1. so close. Wie wär es mit dem Abschaffen der Lohnarbeit und dem Zwang zum Verkaufen der Arbeitskraft? Es ist doch genug für alle da. Wir müssen es nur anders organisieren. Ich möchte nicht nur netter und ein paar Stunden weniger in meinem gesellschaftlich irrelevanten Bürojob hängen und dem Firmenchef durch meine Arbeitskraft Profit einheimsen. Ich möchte eine gemeinsam, kollektiv gestaltete Welt, in der wir zusammenarbeiten, damit alle ein gutes Leben haben.

  2. Hallo liebe Leute, ich grüße euch!
    Hmmm … gute Idee, “selbstbestimmt zu leben.” Das wünsche ich mir schon seit frühem Kindes- und Jugendalter für mein Leben, weil ich die Schufterei meiner Erwachsenenwelt um mich herum für mich nicht wollte. Nun bin ich inzwischen 77 Jahre alt geworden, habe insgesamt 51 Jahre gearbeitet und bin seit 12 Jahren in Rente. Seitdem lebe ich wirklich selbstbestimmt! Schon reichlich spät! Die schönste Zeit im Leben, in der die “Selbstbestimmtheit” wesentlich besser angebracht wäre, ist leider vorbei. Und der “Sechser im Lotto” womit die Selbstbestimmtheit besser möglich gewesen wäre, ist bedauerlicherweise auch ausgeblieben.
    Bliebe also, meiner Meinung nach, nur etwas Gravierendes an unserer Arbeitswelt dahingehend zu verändern, dass man weniger zu schuften hat, um mehr Zeit für sich zu haben. Oder eine Art von Schichtwechsel einführt. Z.B. dass ein halbes Jahr lang, oder so ähnlich, nur eine Hälfte der Bevölkerung arbeitet und danach eben die andere Hälfte. Da bliebe dann noch mehr Zeit am Stück für Privates. Das macht jedoch soviel Umstände in sozialer Hinsicht dem Nächsten auch was zu vergönnen, dass davon die wenigsten begeistert wären. Auch müssten sicherlich die Höchstgewinne in der Industrie eingeschränkt werden! Die Menschen sind halt nun mal in sozialer Hinsicht noch nicht reif genug. Wie schade.

  3. Cooler Artikel. Ich finde die Thematik ist spannend und gleichzeitig eine große Herausforderung. Es ist meines Erachtens wichtig, die eigenen Muster und Gewohnheiten zu erkennen und umzuschreiben. Je mehr Menschen das machen, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich auch die gesellschaftlichen Gewohnheiten/Strömungen oder Muster langfristig ändern. Neben dem klassischen Yoda “you must unlearn, what you have learned”, gehört aus meiner Sicht dazu, zu erkennen, dass es einen anderen/eigenen Weg gibt und dass es nicht das Ende von einem selbst oder der Welt ist, wenn man von vorgegebenen Mustern abweicht und einen neuen Weg geht.
    Bei den Überstunden finde ich wichtig, dass es ein “darf” oder “will” und kein “muss” ist. Oft fehlte mir aufgrund erlernter Erwartungen und Bilder die innere Freiheit das zu sehen oder danach zu handeln. Zusätzlich denke ich, dass es abseits von realer oder gefühlter Unfreiheit, eine Sache der Diziplin und der Selbstwerschätzung ist. Ich halte das Gleichgewicht zwischen allen eigenen Belangen für wichtig. Die Arbeit ist einer, aber eben nur einer davon.

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