Im Urlaub aufs Fliegen verzichten für die Umwelt? Privilegierte Menschen mit genügend Geld und Zeit können das gerne tun, meint die Autorin. Ein Kommentar von Seyda Kurt.
Wer fliegt, der schadet der Umwelt
„Für das Klima aufs Fliegen verzichten?“, „Umweltbewusst reisen“, „Wie klimaschädlich ist Ihr Urlaub?“ – Überschriften, die zeigen: Das Thema Urlaub steht in diesem Sommer ganz im Zeichen der Diskussionen, die die Aktivist*innen von Fridays For Future angestoßen haben. Der Tenor der Artikel ist: Fliegen ist eine Klimasünde. Jede*r ist verantwortlich. Die Zeit der Ausreden und Entschuldigungen ist vorbei.
Ich habe meinen Flug in meinen Italienurlaub schon vor einigen Wochen gebucht. Ich fliege regelmäßig, auch im Inland. Ganz ohne schlechtes Gewissen. Ich halte grundsätzlich nichts davon, die Verantwortung für globale Entwicklungen, die erst einmal politische und wirtschaftliche sind, auf Einzelne abzuwälzen. „Wo die Politik nicht handelt, müssen wir den Klimaschutz selbst in die Hand nehmen, Stopp sagen und Druck aufbauen“, schrieben die Klima-Aktivist*innen Anne Kretzschmar und Matthias Schmelzer vom Netzwerk Stay Grounded kürzlich in einem Gastbeitrag auf ZEIT ONLINE.
Wer ist dieses ominöse „Wir“?
Ich zähle mich nicht zu diesem ominösen „Wir“. Und ich fühle mich nicht angesprochen, aus unterschiedlichen Gründen. Dass das Gesicht der Klimabewegung hierzulande kein diverses ist, wurde von manchen Autor*innen bereits in den vergangen Wochen diskutiert. Einer der ersten Anstöße zu der Debatte kam von der Autorin Yasmine M’Barek in der taz.die tageszeitung. Die Bewegung Fridays For Future sei die einer weißen Mittelschicht, schrieb sie zu Recht. Bewegungen, die derart homogen sind, müssen sich fragen, warum nicht-weiße Menschen aus anderen Klassen in ihren Strukturen keinen Platz finden oder sich nicht von ihren Forderungen angesprochen fühlen.
Wer steht nun in der Verantwortung? „Der weltweite Flugverkehr war 2014 für zwei Prozent der gesamten Treibhausgas-Emissionen weltweit verantwortlich“, wie Steven Davis von der University of California in Irvine im vergangenen Jahr mit einem 32-köpfigen Forscher*innenteam analysiert hat. „Zwei Prozent“, schrieb der Autor Niels Boeing in einem anderen Artikel für ZEIT ONLINE: „Zum Vergleich: Die globale Zementproduktion trug im selben Jahr vier Prozent der Emissionen bei, die weitere Bauindustrie gar zehn Prozent. Haben Sie je einen Appell vernommen, den Wohnungsbau zu stoppen?“
Das Fliegen wurde im deutschen Diskurs um Klima und Umwelt erst zum Ursprung allen Übels erklärt, als es demokratisiert wurde – als die Preise fielen, als sich immer mehr Menschen eine Flugreise leisten konnten.
Tatsächlich berücksichtigt Boeing an dieser Stelle nicht das Argument vieler Klima-Aktivist*innen, dass das Problem nicht unbedingt aktuelle Auswirkungen des Fliegens auf den Klimawandel sei, sondern der rasante Anstieg von Flugzeugpassagier*innen, der kein Ende zu nehmen scheint. „Seit 1990 gab es einen weltweiten Zuwachs an Passagieren von 100 Prozent – in Deutschland sogar 250 Prozent. Die Klimazerstörung durch das Fliegen ist fast so gravierend wie die des Autoverkehrs. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird der Flugverkehr im Jahr 2050 für fast ein Viertel aller globalen Emissionen verantwortlich sein. Das prognostiziert die Europäische Umweltagentur“, schreiben etwa Kretzschmar und Schmelzer.
Jede Stunde auf der Reise zählt
Ich bin keine Klimaexpertin. Wer am Ende Recht behalten wird, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur: Das Fliegen wurde im deutschen Diskurs um Klima und Umwelt erst zum Ursprung allen Übels erklärt, als es demokratisiert wurde – als die Preise fielen, als sich immer mehr Menschen eine Flugreise leisten konnten.
Es ist kein Zufall, dass die Forderung, auf das Fliegen zu verzichten, am lautesten von Herkunftsdeutschen kommt, die keine Familie im Ausland haben, die sie besuchen oder unterstützen müssen.
Jeden Sommer häufen sich in den türkischen Nachrichten Meldungen über Familien, die auf der Autofahrt auf dem Weg in die Türkei verunglücken. Manchmal überlebt niemand. In meiner Kindheit ist auch meine Familie manchmal mit dem Auto in die Türkei gefahren, weil die Flugtickets zu teuer waren. Wenn man schnell war, konnte man in eineinhalb Tagen die Grenze erreichen. Jede Stunde, die man auf dem Weg verbrachte, war eine zu viel. Jede Stunde, die verstrich und die Rückkehr in den Alltag in Deutschland näher brachte, bereitete Bauchschmerzen.
Es ist kein Zufall, dass die Forderung, auf das Fliegen zu verzichten, am lautesten von Herkunftsdeutschen kommt, die keine Familie im Ausland haben, die sie besuchen oder unterstützen müssen. Die jährliche Reise in das Heimatland der Eltern ist in vielen migrantischen Familien obligatorisch. Auch für meine Eltern war das so. Es war der einzige Lichtblick in ihrem Alltag, der meist aus Arbeit und Existenzängsten bestand. Sie wollten zumindest einmal im Jahr sorglos sein, Zeit mit ihrer Familie verbringen, mit ihren Eltern, die ihnen so schmerzhaft fehlten.
Wir brauchen mehr Differenzierung statt generalisierende Debatten
Ich möchte Menschen, die den Verzicht aufs Fliegen fordern, nicht unterstellen, dass sie dabei in erster Linie migrantische Familien im Sinn haben oder ehemals geflüchtete Menschen, die ihre kranken Eltern besuchen. Fairerweise richten Kretzschmar und Schmelzer ihre Kritik an eine andere Bevölkerungsgruppe: „Doch selbst in Ländern wie Großbritannien sind 15 Prozent der Bevölkerung für 70 Prozent der Flüge verantwortlich. Es sind bildungsbürgerliche, weltoffene, oft auch politisch progressiv scheinende und grün-links-wählende Menschen, die auf ruinöseste Weise den Planeten bereisen. Dass diejenigen, die den Klimaschutzdiskurs bestimmen, so viel fliegen, erklärt vielleicht auch, warum Klimapolitiker so wenig tun, den Flugverkehr einzuschränken“, schreiben sie.
Diese wohltuende Differenzierung fehlt mir häufig, wenn ständig davon die Rede ist, „wir“ müssten dies und jenes gegen den Klimawandel tun. Ich denke nicht, dass gerade meine Mutter, die immer noch mehrmals im Jahr in die Türkei fliegt, in der Verantwortung steht, darauf zu verzichten. Meine Mutter ist nicht Teil dieses privilegierten Wirs, das den Klimadiskurs anführt oder vom Fliegen profitiert hat, bevor es bezahlbar war.
Ein anderes Beispiel, das zeigt, wie generalisierend die Debatte häufig geführt wird, ist das Argument, man solle sich doch mal nicht so anstellen und die Bahnfahrt buchen, auch wenn sie teurer sei, letztendlich sei das ja alles eine Frage von Prioritäten, Verzicht und ein nötiger Schritt aus der eigenen Komfortzone. So etwas können nur Menschen von sich geben, die es in der Unbequemlichkeitszone, die für andere Realität ist, nicht mal eine Woche aushalten würden.
Klima- und Arbeitspolitik müssen zusammengedacht werden
Die Forderung, Fliegen müsse höher besteuert und teurer werden, ist verantwortungslos, wenn sie nicht in erster Linie mit der Forderung einhergeht, Bahnfahren müsse günstiger werden – und komfortabler. Nein, ich muss nicht den Zug um 4.23 Uhr zum Sparpreis von 60 Euro nehmen. Ich muss nicht fünf Tage die Woche arbeiten und mich dann schlaflos auf einen unbequemen Bahnsitz werfen, während andere bequem in der ersten Klasse ihre Füße ausstrecken.
Hinzu kommt: Bahnfahren günstiger zu machen, ist natürlich ein wichtiger Schritt, wenn man davon ausgeht, dass Geld die einzige Ressource ist, um die es hier geht. Aber was ist mit Zeit? Wenn Menschen, die in einer 50-Stunden-Woche feststecken und sich irgendwo eine Woche Urlaub frei geschaufelt haben – und das ist die Realität vieler lohnarbeitender Menschen –, sich dafür entscheiden, die Abkürzung über die Luft zu wählen, anstatt erst mal einen halben Tag durchs Land und durch den Kontinent zu tuckern, kann ich ihnen das nicht verübeln.
Mobilität ist für mich ein Grundrecht, das an viele andere Grundrechte geknüpft ist: das Grundrecht zur Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben etwa. An anderer Stelle wird Mobilität zu einem Muss: Arbeitgeber*innen erwarten eine immer größere Flexibilität. Viele Menschen sind beruflich deutschland- oder weltweit unterwegs. Wenn ich als freie Journalistin etwa quer durchs Land reise, wird mir die Reisezeit nicht bezahlt. Wenn wir eine andere, umweltfreundlichere Form von Mobilität fordern, müssen damit auch Veränderungen in der Arbeitswelt einhergehen. Wir brauchen mehr finanzielle Sicherheit statt immer mehr Flexibilität. Klimapolitik muss in Zusammenhang mit Arbeitspolitik gedacht werden.
Wir müssen über Fliegen als globales Problem diskutieren
Wenn es soweit ist, können wir gerne davon sprechen, warum „wir“ auf das Fliegen verzichten müssen. Und dieses „Wir“ sollte ein globales sein. Völlig zu Recht stellen Kretzschmar und Schmelzer fest, dass wir über Fliegen als globales Privileg diskutieren müssen. Es sei ein Privileg von wenigen, das auf Kosten vieler geht: „Es geht um Menschen und um Menschenleben. Und zwar nicht diejenigen der Vielflieger, sondern der anderen. Durch den steigenden Meeresspiegel führen Wetterextreme zu Überschwemmungen, wie im März dieses Jahres der Zyklon Idai in Mosambik, der Hunderte Menschen tötete und die Lebensgrundlagen von Zehntausenden zerstörte. Diejenigen, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen, tragen die höchsten Kosten.“
Nicht jede Person, die fliegt, ist eine zu viel. Sondern: Jede privilegierte Person, die fliegt, ist eine zu viel.
Während der Diskurs mit Blick auf das globale Außen also durchaus differenziert geführt werden kann, fehlt diese Differenzierung beim Blick nach Innen oftmals. Die Klimabewegung wird weiterhin Menschen ausschließen, solange sie mit universellen Forderungen daher kommt. Jeder Mensch, der es sich finanziell leisten kann, Bahn zu fahren, sollte es tun. Jeder Mensch, der die zeitlichen Ressourcen hat, eine notwendige Reise – ja, dazu gehört auch Urlaub – auf die doppelte oder dreifache Dauer auszudehnen, sollte es tun. Nicht jede Person, die fliegt, ist eine zu viel. Sondern: Jede privilegierte Person, die fliegt, ist eine zu viel.
Der Originaltext von Seyda Kurt ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
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