In ihrer Thirtysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche darüber, warum es so schwer und zeitgleich so wichtig ist, verzeihen zu können.
Ich verzeihe dir … oder doch nicht?
Es gibt Dinge im Leben, die sind wahnsinnig schwer zu lernen. Eines davon ist, verzeihen zu können. Also, so richtig. Und das uns selbst wie auch anderen. Damit ist nun nicht unbedingt ein Fauxpas im Alltag gemeint, ein kleiner Streit, eine unbedachte Aktion, sondern eine Situation, in der es wirklich zu echten Verletzungen gekommen ist. Aber warum tut man sich damit eigentlich so schwer? Denn eigentlich könnte das doch die einfachste Sache der Welt sein: Der andere erklärt sich, man spricht darüber, denkt darüber nach und wenn man zu dem Schluss kommt, dass das Gegenüber es wirklich ernst meint und man das annehmen möchte, dann verzeiht man. Oder eben nicht. Und fertig.
Doch, ich weiß nicht, wie es euch geht, aber manchmal braucht es doch eine Weile länger und noch ein paar Gespräche mehr, als man dachte. Manchmal will man verzeihen und schafft es einfach nicht. Und das fühlt sich beschissen an, ganz besonders, wenn es um einen uns sehr nahen Menschen, um jahrelange Beziehungen geht – um den Partner, Freunde oder ein Familienmitglied. Bin ich einfach zu nachtragend? Unentspannt? Überschätze ich die Situation? Wahrscheinlich nicht. Das Gefühl, dass einem wehgetan wurde, ist ein reales, auf das man vertrauen darf. Die Frage ist nur, woher rührt das Gefühl. Vom Holzkopf gegenüber, der sich einfach wie ein Elefant im Porzellanladen verhalten hat?
Klar, das ist wahnsinnig ärgerlich. Aber viel eher ist es wohl so, dass es mehr um uns selbst als um das Gegenüber geht. Dass es um Worte oder Handlungen geht, die sehr tief getroffen haben. Die tief reingegangen sind in das eigene Wertesystem, in schon vorhandene Wunden, Zweifel oder Ängste, die sich nun (wieder einmal) zu bestätigen scheinen. Wenn Gefühle angegriffen werden, vielleicht auch nur Ahnungen, die ganz tief in einem schlummern und nun durch jemand anderen auf den Präsentierteller gelegt werden. Oder wenn schlicht Grenzen überschritten wurden, die nicht hätten übertreten werden dürfen. Selbst wenn man möchte, kann es da wahnsinnig schwer werden zu verzeihen – und wieso sollte man das überhaupt, wenn es einen so getroffen hat?
Wenn man sich selbst nicht verzeihen kann
Und mindestens so furchtbar ist ja das Gefühl, wenn man sich selbst nicht verzeihen kann – weil man sich oder jemand anderem weh getan hat. Weil man auf eine Weise gehandelt oder Dinge gesagt hat, die nicht hätten passieren dürfen, die einen vor sich selbst erschrecken lassen. Dinge, von denen man eigentlich gar nicht glauben kann, dass sie in einem schlummern und für die man sich selbst einfach keine Absolution erteilen kann. Das sind Verletzungen, die wahnsinnig schwer lasten. Die sich wie ein Schal um den Hals legen, den man erst nur leicht merkt und der sich mit der Zeit immer enger zuzuziehen scheint. Wieso war ich diese Person? Wieso habe ich getan, was ich getan habe? Und auch hier wieder die Frage: Wieso sollte man sich etwas verzeihen, wenn es nicht zu verzeihen ist? Zumindest wir uns das nicht verzeihen können.
Nun, natürlich gibt es Vorfälle, die unverzeihlich sind. Aber in den meisten Fällen geht es eben doch. Dann ist es etwas Gutes und Gesundes, weil verzeihen auch mit loslassen zu tun hat. Etwa den Schmerz, den die Verletzung ausgelöst hat – und mit dem sich nur ein Mensch plagen muss: man selbst. Dicht zu machen und jemanden für etwas abstrafen zu wollen, ist wahrscheinlich die menschlichste Reaktion überhaupt, um sich für den Moment zu schützen und zu verteidigen. Aber solche Gefühle allzu lange mit sich herumzuschleppen, das belastet, macht schwer, macht einsam, weil die Mauer um einen herum immer höher wird oder man beginnt, sich von selbst abzuspalten, weil einem nicht jeder Anteil an sich selbst gefällt. Und das ist kein ganz ungefährlicher Mechanismus.
Ja, wir alle sind ab und an Idioten – uns selbst und anderen gegenüber. Und diesen Idioten in uns, müssen wir nicht in allen Fällen hinnehmen und wir müssen ihn auch nicht schönreden. Aber bei aller Arbeit an sich selbst: Wir strafen uns im Alltag meist schon genug für alle möglichen Dinge ab und vielleicht ist es irgendwann an der Zeit, sich dem nicht mehr allzu schnell hinzugeben, sondern auch mal abschließen zu können. Auch, um das eigene Leben sowie die Sicht auf sich und wer man ist, nicht durch andere leiten zu lassen, sondern selber Wahrheiten zu schaffen. Um sich nicht permanent runterziehen zu lassen, von dem was war sowie nach vorne gehen zu können und dabei nur den Ballast mitzunehmen, der auch wirklich getragen werden muss. Ich glaube man fährt ziemlich gut damit, Situationen, aber auch Menschen hin und wieder ad acta zu legen – selbst wenn es schwerfällt und möglicherweise Antworten auf ein Warum oder eine verständliche Erklärung für das Gewesene fehlen. Nicht um anderen einen Gefallen zu tun oder sich gefälliger darzustellen, sondern alleine für einen selbst. Aber ja, es ist und bleibt eine verdammt schwere Aufgabe.
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