In ihrer Thirtysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche darüber, wann Untreue eigentlich beginnt.
Der gefühlte Betrug
Vor mir steht ein Häufchen Elend. „Er hat ihr über Wochen geschrieben, ohne, dass er das mir gegenüber jemals erwähnt hätte. Das fühlt sich scheiße an.“ Sie haut mit der Hand auf den Tisch: „Er sagt, ich übertreibe total. Kannst du mich wenigstens verstehen?“ Puh. „Wenn sonst nichts gelaufen ist, dann ist das doch eigentlich nicht so wild, oder?“, versuche ich die Wogen etwas zu glätten. Ich musste erst einmal darüber nachdenken, bevor ich mehr dazu sagen konnte. „Doch, natürlich ist etwas passiert! Geheimnisse. Vor mir, mit seiner Ex, das geht gar nicht! Ich fühle mich betrogen.“
Betrug, war es das wirklich? Und wann beginnt Fremdgehen überhaupt, wenn nichts Körperliches im Spiel ist? Gar nicht so einfach zu bewerten, auch wenn die Verletzung nachzuvollziehen ist.
Denn natürlich fühlt es sich nicht gut an, wenn der Mensch, der einem am nächsten ist, etwas vor einem verheimlicht. Jemanden verheimlicht – auch wenn es zu nicht viel mehr kommt, als zu Unterhaltungen und ein paar geteilten Momenten. Aber, ist das wirklich schon Untreue? Und muss man seinem Herzensmenschen tatsächlich alles erzählen – auch wenn man es selbst als nicht so wichtig betrachtet und keine Gefahr für die Beziehung sieht, außer, dass den anderen die Wahrheit womöglich verletzen würde? Wann wird ein harmloser, unbedeutender Flirt zu einem Akt der Untreue, zu emotionalem Betrug?
Wenn in Beziehungen Geheimnisse entstehen
Die australische Psychologin Melanie Schilling nennt das, was in der Beziehung meiner Freundin passiert ist, Micro-Cheating. Also einen „kleine Betrug“, der, so erzählte sie in einem Interview, immer häufiger vorkomme, da soziale Netzwerke eine ideale Plattform dafür bieten. Micro-Cheating lässt sich nach ihrer Aussage im Grunde folgendermaßen herunterbrechen: Es ist eine eigentlich harmlose Serie an kleinen, verheimlichten Handlungen, die darauf hinauslaufen, dass der Partner oder die Partnerin sich auf eine Person außerhalb der Beziehung emotional konzentriert. Etwa, dem Ex-Partner über einen längeren Zeitraum zu schreiben und eine emotionale Bindung mit jemandem aufzubauen bzw. wiederzubeleben, die vor dem Partner geheim gehalten wird. Oder auch mit jemandem zu chatten und die eigene Beziehung zu verschweigen. Der (gefühlte) Betrug liegt also letztlich vor allem in der Geheimhaltung und nicht so sehr in dem, was getan wird.
Eine interessante Überlegung über emotionales Fremdgehen – und doch stellt sich die Frage wo berechtigtes Verletzungsgefühl durch ein Ausgeschlossensein aufhört und ein für Beziehungen eventuell ziemlich ungesunder Kontrollmechanismus beginnt? Der Wunsch, dass sich der Partner voll und ganz auf nur eine Person, und zwar einen selbst fokussiert, kann erstmal harmlos, ja, fast selbstverständlich klingen. Auch, dass man gerne alles über den anderen und seine Gefühlswelt wissen möchte. Aber kann und sollte man das tatsächlich von jemandem verlangen oder sollte nicht auch jeder seinen Raum haben, auch den für Geheimnisse – zumindest wenn sie aktuelle Beziehung nicht bedrohen? Und ist es nicht viel „normaler“, auch mal mit etwas Wehmut im Herzen an eine vergangene Liebe zurückzudenken und sich dann bei dieser Person melden zu können? Ebeneso menschlich, wie ein harmloser Flirt?
Tja, und schon ist man mittendrin in einer Beziehungsgrauzone, die nicht anders als individuell bewertet werden kann. Denn die Frage nach „Betrug oder nicht Betrug“ ist doch vielmehr eine von Grenzen, die von einem selbst und in einer Beziehung gemeinsam entschieden und gesetzt werden müssen. Was brauche ich, was brauchst du und was funktioniert für uns beide so, dass wir uns aufgehoben und wohl in einer Beziehung fühlen?
Wichtiger als das „Was“ und „Wie“: Das „Warum“
Aber grundsätzlich sollte doch gelten: Eine Beziehung, so ernsthaft und wichtig sie sein mag, muss nicht das gesamte (emotionale) Leben das ganze emotionale Sein einer Person bestimmen. Und es ist doch letztlich ein für beide Seiten ungesunder Besitzanspruch, zu verlangen, dass es im Leben nur einen Menschen geben kann, mit dem man kleine, persönliche Dinge teilt – oder an den man denkt. Und doch ist ebenso richtig: wenn es sich nach Betrug anfühlt, dann ist auch dieses Gefühl ernstzunehmen und es ist wichtig, gemeinsam darüber sprechen, was los ist. Wie immer sowieso der beste Rat: sich austauschen, bevor es irgendwann noch wirklich kompliziert und (ungewollte) Verletzungen zu groß werden. Und vor allem sollte man gemeinsam über die Bedingungen sprechen, die für diese, individuelle Beziehung gelten müssen. Denn das kann niemand anderes entscheiden, als die Personen, die diese Beziehung führen.
Vielleicht geht es in der Frage aber auch weniger um ein Wie und Was, sondern um das Warum. Warum verheimlicht man seinem Partner jemanden oder etwas? Oder warum fühlt es sich wie ein (emotionaler) Betrug an, wenn man nicht über alles Bescheid weiß? Ich glaube, diesem Gefühl zu folgen, ist wichtiger als der Vorgang des „Minibetruges“ an sich. Schweigen entsteht doch meist aus Angst heraus, und Angst nicht selten aus mangelndem Vertrauen, oder auch, weil grundsätzlich Verlustängste aus früheren Erfahrungen bestehen.
Möglicherweise ist es also an der Zeit, darüber zu reden, warum man nicht offen miteinander sein kann oder, warum es Angst macht, dass möglicherweise noch jemand anderes eine platonische und dennoch intime Beziehung mit dem Herzenschmenschen haben könnte. Mit klaren Regeln wird es jedenfalls für alle entspannter.
Was denkt ihr darüber?
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