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Liebe Frauen um die 50: Bleibt offen, neugierig und freut euch auf eure kreative Zeit – sie kommt!

Wie kommt es, dass Frauen um die 50 oder drüber plötzlich ihre Kreativität in Bereichen entdecken, mit denen sie bisher in ihrem Leben nichts am Hut hatten?

Weibliche Kreativität mit 50+: Wie kommt das?

Wenn ich mich in meinem engeren Freundinnenkreis so umschaue, stelle ich fest, dass wir alle in der letzten Zeit erstaunlich kreativ geworden sind. Zum Beispiel meine Freundin Marion, 54, die – Mutter von mittlerweile erwachsenen Drillingen – als Physiotherapeutin mit viel Sinn fürs Praktische in Izmir lebt. Sie häkelt neuerdings, was das Zeug hält, Gegenstände im Hippielook. Kissen, Decken, Pullover. Und beglückt  damit ihre Verwandtschaft und Freund*innen. Christiane, 53, geschäftstüchtige Inhaberin einer PR-Agentur in Köln und Mutter von zwei ebenfalls erwachsenen Söhnen, hat plötzlich mit dem Singen (auch Solo, wie sie betont!) angefangen und das Malen für sich entdeckt. Und ich selbst, eingefleischte PR-Frau, Mutter von zwei fast erwachsenen Kindern, habe seit einigen Monaten Gefallen daran gefunden, ohne Anleitung Kleider, Pullis und Neckholder für meine Tochter zu stricken. Mein Kreativitätsschub erstreckt sich auch auf die Malerei – am liebsten abstrakt und am liebsten auf riesigen Leinwänden – und viel Mut zum Einsatz ungewöhnlicher Utensilien: Tortenschaufeln und Paste, Acrylfarben und Pouring-Medien.

Drei Frauen, drei Werdegänge, drei Städte – alle plötzlich kreativ

Drei unterschiedliche Frauen aus drei unterschiedlichen Städten: Izmir, Köln und Mainz. Mit unterschiedlichen Berufen und Bildungsgängen: Die eine ist Physiotherapeutin. Die andere Unternehmerin mit BWL-Background. Und ich bin Leiterin für Unternehmenskommunikation, habe Angewandte Sprachwissenschaft studiert. Alle sind wir im gleichen Alter. Wie kommt es, dass wir plötzlich so kreativ sind? Nicht in unseren Berufen, sondern in anderen, zuvor unentdeckten Bereichen?

Kreativität in Zeiten der Wende?

Hängt es damit zusammen, dass man in der zweiten Lebenshälfte endlich Zeit zum Durchschnaufen hat? Nach all den Jahren des Schaffens, in denen es in erster Linie darum ging, Beziehungen auf- und auszubauen, für seinen Broterwerb zu sorgen, und sich als Frau, Partnerin und Mutter unter Beweis zu stellen? Und jetzt innehält, auf sein Leben zurückschaut und sich fragt:  So, das hätten wir geschafft! Und nun? Was kann ich in der mir verbleibenden Zeit noch Sinnvolles oder Schönes tun?

Ich bin sicher, dass sich Kreativität besonders dann bemerkbar macht, wenn wir an Wendepunkten im Leben angekommen sind. Wenn wir uns neu orientieren müssen. Wenn wir Krisen durchlebt haben. Wir brauchen und nutzen dann Kanäle, um diese Erfahrungen verarbeiten und ausdrücken zu können. Und das Tolle daran ist: Wir tun es für uns selbst, nicht für andere. Deshalb empfinden wir die kreative Tätigkeit auch nicht als Druck oder Muss, sondern als entspannend und zutiefst befriedigend.

In welchem Alter sind Menschen am kreativsten?

Auch Wissenschaftler*innen haben sich mit der Frage beschäftigt: In welchem Alter sind Menschen am kreativsten? Gibt es ein Alter, das uns ein Kreativitäts-Hoch beschert? Oder brauchten wir einfach nur eine gehörige Portion Disziplin und das Alter spielt keine Rolle?

Zeigt sich Kreativität mit Anfang 20?

Als Orson Welles 26 Jahre alt war, drehte er seinen Filmd „Citizen Kane“. Der Film kam 1941 heraus. Und gilt bis heute als Meilenstein der Kinogeschichte und als einer der bedeutendsten Filme, die je produziert wurden. Wie gelang dem jungen Welles ein solches Meisterwerk? Welles selbst behauptete, „Unwissenheit, pure Unwissenheit“ habe ihm dazu verholfen: „Wenn man zu viel über einen Beruf weiß, schüchtert das nur ein und man wird vorsichtig“. Durch Vorsicht entsteht keine Kunst!

Aber auch das mittlere Alter liefert starke Argumente, warum Menschen ausgerechnet dann zu kreativen Höchstleistungen auflaufen. Bruce Weinberg und David Galenson, beide Forscher an der Ohio State University, untersuchten, in welchem Alter Menschen am kreativsten sind. Für ihre Studie analysierten die Wissenschaftler, in welchem Alter Nobelpreisträger entscheidende Durchbrüche und Erkenntnisse hatten. Diese wurden als Zeiten besonders ausgeprägter Kreativität definiert, da die Preisträger*innen dann bahnbrechende Ideen hatten und diese umsetzen konnten. Zwei Phasen im Leben konnte das Team um Weinberg und Galeson als kreative Höhepunkte ausmachen:

Die erste Gruppe zeigte besonders starke Kreativität zwischen 25 und 29 Jahren, also vergleichsweise jung und noch zu Beginn. Eine zweite, große Gruppe erreichte die kreative Hochphase hingegen erst mit Mitte 50.

Innovative Ansätze – mit über 50?

Es handelte sich allerdings nicht um zwei Schübe von Kreativität, die Menschen im Leben durchlaufen. Entweder zeigte sich die Kreativität mit Mitte 20 oder mit Mitte 50 – nicht beides. Und: Die Art der Kreativität Mitte 20 ist eine andere als Mitte 50. In frühen Phasen des Lebens/der Karriere entsteht konzeptionelle Kreativität. Bisheriges Wissen und vorherrschende Vorgehensweisen werden hinterfragt. Ungeniert blickt man über den Tellerrand hinaus, um neue Ideen zu generieren und kreative Ansätze zu finden. Junge Menschen sind noch nicht an akzeptierte Theorien, Arbeits- und Verhaltensweisen gewöhnt oder kennen sie noch gar nicht. Die kritische Auseinandersetzung führt zu Innovationen. Diese wissenschaftliche Erkenntnis deckt sich mit der Einschätzung von Orson Welles, der seine Ahnungslosigkeit für den Erfolg seines Meisterwerks verantwortlich machte.

Mit Mitte 50, so fanden die Forscher*innen heraus, herrscht eine experimentelle Form der Kreativität vor. Über Jahrzehnte haben die Älteren Wissen, Erfahrungen und Fähigkeiten gesammelt. Mit Mitte 50 werden dann häufig neue Wege gefunden, die gesammelten Informationen zu analysieren und zu nutzen.

Und für Frauen gilt:  Im Alter zwischen 53 und 60 Jahren, so zeigte sich in einer Studie aus Seattle, ist das Leistungsniveau höher als zwischen 20 und 30 Jahren. Was den Wortschatz und das verbale Gedächtnis betrifft, verbessern sich Frauen sogar bis weit über das 60. Lebensjahr hinaus.

Auch die soziale Kompetenz und das Urteilsvermögen wachsen – schließlich haben Ältere jede Menge Erfahrung, die ihnen hilft, mit anderen richtig umzugehen oder Situationen korrekt einzuschätzen. „Das Gehirn wird im mittleren Alter besser“, resümiert die Entwicklungspsychologin Sherry L. Willis. „Ältere sind langsamer. Aber wann immer es darum geht, kreative Lösungen in realen Szenarien zu finden, hängen sie die Jungen locker ab. Früher nannte man diese Fähigkeit Weisheit.“

Wenngleich die hormonelle Umstellung in den Wechseljahren für einige Frauen beschwerlich sein kann, angefangen von Hitzewallungen über Stimmungsschwankungen bis hin zu Depressionen: Irgendwann ist es damit vorbei. Stattdessen stellt sich Ruhe in Körper und Geist ein. Der Östrogenspiegel hat sich auf einem Niveau wie vor der Pubertät eingependelt. Eigentlich eine richtig schöne Vorstellung: Denn im Vergleich zu pubertierenden Mädchen sind neunjährige Kinder in der Regel ausgeglichen, fröhlich und sehr aktiv.

Frauen 50+: Freut euch über eure Kreativität

Deshalb, liebe Frauen um die 50: Bleibt offen, neugierig und freut euch auf eure kreative Zeit. Sie kommt. Und sie ist eine glückliche! (Klimakterium kommt aus dem Griechischen, aus dem sich auch das Wort Klimax = Höhepunkt ableitet. Wer denkt dabei an Niedergang?)   Denn wenn ihr in etwas eintaucht und euch völlig einer Sache hingebt und in ihr aufgeht, geratet ihr in einen „Flow“ und der macht glücklich. Das Erleben des Flows beschrieb bereits 1975 der Psychologe und Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi in einer der ersten, breitangelegten Studien zum Geheimnis des Glücksgefühls und wurde damit weltweit bekannt.

Mein Appell richtet sich auch an Arbeitgeber*innen: Sie sollten verstärkt Frauen im Alter von 50+ einstellen. Ihre Kreativität steht im Zenith. Und Kreativität tut Unternehmen gut, denn sie ist der Schlüssel für das Finden von Lösungsstrategien.

Claudia Dolle ist 53 Jahre alt, Leiterin für Unternehmenskommunikation und lebt in Mainz.

  1. Danke vielmals Claudia für den schönen Artikel, der mir als 51-Jährige Geschäftsführerin, Mutter und Querdenkerin aus dem Herzen spricht. Schade an der zugrundeliegenden Studie ist nur, dass sie wieder einmal einen bias birgt: Alle genannten Kreativköpfe sind ausschließlich männlichen Geschlechts. Umso wichtiger sind Artikel wie diese, die dem Ganzen noch eine weitere Wendung hinzugeben. Dennoch ist erschreckend, wie geschlechterblind noch immer Studien und hochkarätige Wissenschaftsjournals publizieren. Mal sehen, ob ich in einem meiner nächsten Artikel ebenfalls das Thema plazieren kann, inspiriert von Deinen Gedanken! Einen schönen Tag wünscht Marion

    1. Liebe Marion, Du hast recht! Leider ist es sehr viel einfacher, auf Beiträge und Beispiele zu stoßen, die männliche Leistungen zitieren. Aber vielleicht sind wir auch selbst schuld? Das wir uns zu wenig Gehör verschaffen, uns schämen, uns auf die eigene Brust zu trommeln? Dass es uns nicht wichtig genug ist, im Scheinwerferlicht zu stehen? Oder werden wir bewusst von Männern ausgebremst? (Mansplaining kennen wir wohl alle). Ich weiß es nicht.

      Wenn ich an herausragende Frauen denke, fallen mir spontan Marie Curie, Simone de Beauvoir und Frida Kahlo ein. Ich freue mich auf jeden Fall, von Dir zu lesen!

  2. Marion, Du hast recht! Gott sei Dank habe ich auch Aussagen einer Frau gefunden. Vielleicht sind wir selbst schuld? Und genieren uns, mit unserem Wissen sichtbar zu werden? Oder es ist uns zu unbequem, nachdrücklich für unsere Wahrnehmung zu kämpfen? Ich selbst kann ein Lied davon singen, wie schwierig es sein kann, sich als Frau Gehör zu verschaffen. Ich bin in meinem Berufsleben männlicher Ignoranz, Ausbremsung, Übergriffen in mein Fachgebiet und Mansplaining begegnet. Ich freue mich auf jeden Fall auf Deinen Beitrag!

  3. Ein interessanter Artikel und so wahr. Ich werde in diesem Jahr 48 Jahre und ich habe mich diese Woche für einen professionellen 1-jährigen Art Kurs angemeldet. Das Commitment für diesen Kurs beträgt mindestens 20 Stunden malen und zeichnen pro Woche. Ich werde damit in meiner Selbständigkeit weniger vor dem Computer verbringen und mehr mit meiner Kreativität arbeiten. Schon lange bin ich mit dieser Entscheidung schwanger gegangen und habe aufgrund vieler Anzeichen diese getroffen. Ich freue mich auf diesen Prozess und es ist zum ersten Mal etwas, was ich verfolgen werde ohne ein großartiges Ziel zu haben. Für diese Entscheidung war ich viel in Stille und Rückzug und konnte mich so mehr mit meiner Intuition verbinden und diese spüren. Eine Empfehlung an die Frauen, die ihre Entscheidungen intuitiver treffen wollen – mehr Stille weniger Ablenkungen. Mein Umfeld nimmt sehr regen und interessierten Anteil daran und ist jetzt schon auf meine Bilder gespannt.

  4. Ein bisschen habe ich Schwierigkeiten damit. Zwar poppt auch bei mir mehr Kreativität auf, aber anders als jüngere Menschen habe ich keine Ahnung, wie ich mich mit gleichgesinnten und ggfls. ähnlich älteren Frauen vernetzen kann. Da fehlts mir dann doch – und ggfls. geht das mehr von uns so und deswegen sind wir leiser. Weil das Netzwerk fehlt und die Plattformen. Sitze in Mainz, bin Sachbearbeiterin im Versicherungsbereich und male, binde Bücher , schreibe schräge Texte und würde sie gerne performen. Wie? Wo? Da isses wieder, ein Gendergap. Danke für den Text Claudia, er macht Mut. Grüße. Eva

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