Foto: Stephan Seeber / Pexels

Warum ich mich mittlerweile schäme, Tracht zu tragen

Tracht ist heute mehr als ein Kleidungsstil: ein Statement, politische Meinung, Ausdruck eines konservativen Mindsets – denkt Autorin Eva Reisinger und will darum ihr Dirndl nicht mehr tragen. 

Während ich Bilder von Besoffenen mit Bier und Brezen in der Hand in meinem Instagram-Feed sehe und die Nachrichten rund um das Oktoberfest in München verfolge, denke ich still und heimlich an die Kleider, die in meinem Schrank hängen und mich erinnern: Da warst du auch schon. Noch gar nicht lange her.

Ich würde heute gerne so tun, als wär ich nie auf dem Oktoberfest gewesen. Als hätte ich nie Maß getrunken, Dirndl-Push-ups getragen oder Lebkuchenherzen gekauft. Aber dazu musste ich nicht mal auf die Wiesn. Auch in dem Dorf in Oberösterreich, in dem ich aufgewachsen bin, trägt man regelmäßig Tracht. Zum Frühschoppen beim Zeltfest, zur Trachtenacht in Clubs und auf Hochzeiten. Ein Dirndl gehört auf dem Land zur Garderobe – am besten gleich in mehreren Ausführungen.

Irgendwie Tradition, Ursprung, ja meine Wurzeln

Lange bedeutete Tracht für mich darum auch nichts anderes als Dorfleben. Irgendwie Tradition, Ursprung, ja meine Wurzeln. Gleichzeitig war es für mich auch immer ein bisschen wie Halloween. Eine Verkleidung, mit der ich nicht viel anfangen konnte und mich auch nicht groß identifizierte. Schon als kleines Mädchen lag ich regelmäßig schreiend auf dem Boden und weigerte mich, das Dirndl anzuziehen. Ich wollte damals unbedingt Lederhosen, was man zu meiner Zeit als Mädchen aber noch nicht trug.

Für mich ist Tracht mittlerweile gleich Andreas Gabalier

In meinem Heimatland – Österreich – sind seit Jahren rechte Parteien auf dem Vormarsch. Als wäre das nicht schlimm genug, rutscht jetzt auch noch eine unserer großen Volkspartei die ÖVP, sehr ähnlich wie die CDU, immer weiter nach rechts. Und zwar so weit, dass sie in ihrem Trachtenaufzug vermutlich bald von der Bierbank fallen werden. Die Konservativen wie die Rechten nutzen die Tracht für sich. Begriffe wie Tradition und Heimat werden dabei bewusst instrumentalisiert.

Politiker*innen lassen sich dazu in Tracht ablichten, halten Reden in Bierzelten und konstruieren ein Wir, das es eigentlich gar nicht gibt. Ihre Strategie funktioniert leider. Wenn ich heute an Tracht denke, schießen mir Bilder des österreichischen Volksmusiksängers Andreas Gabalier, von Rechtskonservativen und besoffenen, sexistischen Männern in den Kopf. Unfair, ich weiß, weil das natürlich nicht alle abdeckt, aber so ist es nun mal.

Was scheinbar die Kleidung meiner Heimat, meines Volkes sein soll, symbolisiert für mich genau das, wo ich nicht will, dass sich mein Land hinbewegt: zurück in alte Zeiten und Rollenbilder. Wo sich alles nur um Familie und Eigentum drehte. Die Frau am besten hinter dem Herd stand und die Kinder hütete. Darum halte ich nichts davon, die Vergangenheit zu verklären und frage mich: Warum sollte ich mich heute als moderne Europäerin dazu entscheiden, in Tracht herumzulaufen oder gar zu heiraten, wie es jetzt wieder viele Junge machen?

So stolz bin ich auf mein Land nicht

Wir leben in einer Zeit und einem Europa, in dem rechtes Gedankengut immer stärker wird. Dazu braucht man nur nach Großbritannien und den Brexit, in die USA und Trump, nach Frankreich und den Front National oder nach Österreich und die FPÖ blicken. Auch in Deutschland könnte die AfD am Sonntag erstmals als drittstärkste Kraft in den Bundestagswahl einziehen.

In diesen Zeiten werde ich das Gefühl nicht los, diesem Pseudo-Patriotismus etwas entgegensetzen zu müssen. Während rechte Politiker*innen die Maß Bier in der Tracht saufen und gegen Geflüchtete hetzen, möchte ich betonen, dass das nichts mit meiner Heimat zu tun hat. Ich fühle mich als Europäerin und höchstens zweitrangig als Österreicherin. Früher verband ich meine Heimat mit Familie, Dialekt und dem Zusammenrücken sowie der Hilfsbereitschaft auf dem Land. Was ich jetzt in meiner Heimat sehe, ist ein Auseinanderrücken. Zwischen links und rechts. Zwischen uns und den anderen. Andere, gegen die wir treten, ihnen die Schuld für die Probleme im Land geben und Angst vor ihnen haben. Je mehr Politiker*innen mein Land in eine rechte Richtung drängen, desto weniger will ich mit dieser angeblichen Tradition zu tun haben.

Comeback der Tracht

Elsbeth Wallnöfer ist Volkskundlerin und Philosophin und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Phänomen der Tracht. Zuletzt veröffentlichte sie das Buch „Geraubte Tradition: Wie die Nazis unsere Kultur verfälschten“. Sie erklärt den Boom der Tracht gegenüber der Tageszeitung „Der Standard“ so: „Die Hinwendung zum eigenen Kleinen hat mit Bedrohungsszenarien und innenpolitischen Kleingeistereien zu tun. Man schaut wieder stärker auf das Eigene.“

„Solange die Tracht von rechts missbraucht wird, bleibt mein Dirndl im Schrank hängen.“

Grundsätzlich soll natürlich jede*r tragen können, was auch immer er*sie will. Natürlich auch Tracht. Trotzdem halte ich es für ein falsches Zeichen uns selbst und anderen gegenüber. Es spricht nichts dagegen, stolz auf seine Heimat zu sein, aber sie darf niemals als Rechtfertigung missbraucht werden, andere auszuschließen oder nach unten zu treten.

Solange die Tracht von rechts missbraucht wird, bleibt mein Dirndl im Schrank hängen. Bis ich mich beim Tragen nicht mehr fühle, als würde ich damit meine politischen Werte verraten. Ich hoffe, dass irgendwann Zeiten kommen, in denen ich mein Dirndl wieder mit Stolz anziehen werden kann – und ohne dem Beigeschmack von Andreas Gabalier und rechten Idioten.

Der Originaltext von Eva Reisinger bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.

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